Atomausstieg Urteil mit unvorhersehbaren Folgen
Das Verfassungsgericht hat den Atomausstieg für zulässig erklärt. Doch gleichzeitig befanden die Richter, dass den Energiekonzernen eine Entschädigung zusteht. Das könnte sogar dazu führen, dass einzelne Meiler länger laufen.
Von entscheidender Bedeutung für das Urteil ist das Jahr 2002. Damals hatte die rot-grüne Bundesregierung mit den Energiekonzernen den Ausstieg aus der Kernenergie vereinbart. Als Ausgleich wurde den Konzernen zugesichert, dass sie noch für längere Zeit bis zum Jahr 2022 mit ihren Atomkraftwerken Strom produzieren dürfen. Fachleute sprechen in diesen Zusammenhang von Reststrommengen.
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wurden für alle Kernkraftwerke neue Abschaltdaten festgelegt. Dies hatte zur Folge, dass die beiden Konzerne Vattenfall und RWE die 2002 zugesagten Reststrommengen nicht mehr verbrauchen können. Dafür müsse der Gesetzgeber einen Ausgleich schaffen, so der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof:
Im Ergebnis erweisen sich deswegen für die Beschwerdeführer Vattenfall und RWE die Beschränkungen der 13. ATG-Novelle als unzumutbar, soweit die 2011 eingeführten Abschaltfristen bei ihnen dazu führen, dass sie die 2002 zugestellten Strommengen nicht mehr in konzerneigenen Kernkraftwerken produzieren können. Der an sich zulässigen gesetzlichen Eigentumsausgestaltung fehlt hier die verfassungsrechtlich notwendige Ausgleichsregelung.
Unklar, wie die Entschädigung aussehen könnte
Bis spätestens Mitte 2018 muss nun der Gesetzgeber eine Ausgleichsregelung schaffen. Unklar ist allerdings nach dem heutigen Urteil, wie diese aussehen wird. Das heißt: Ob und wenn ja wie viel Geld die Energiekonzerne beanspruchen können, ist völlig offen. Theoretisch wäre es auch denkbar, dass der Gesetzgeber die Laufzeiten einzelner Atommeiler verlängert. Auch das wäre als Ausgleich für die beiden Konzerne RWE und Vattenfall denkbar.
Die zweite wichtige Jahreszahl in diesem Zusammenhang lautet 2010. Damals beschloss die schwarz-gelbe Bundesregierung, dass die Laufzeiten der Atommeiler verlängert werden sollen. Daraufhin investierten die Energiekonzerne in die Atomenergie. Ein halbes Jahr später folgten Fukushima und die Kehrtwende. Für diese nutzlos gewordenen Investitionen müssen die Konzerne entschädigt werden, wovon unter anderem der Düsseldorfer Konzern E.on profitieren wird. Auch hier ist völlig offen, wie die Entschädigung aussehen soll.
Atomausstieg zulässig
Mit ihren Klagen hatten die Energieriesen allerdings nur zum Teil Erfolg. Ein ganz wichtiger Punkt im Urteil: Es war zulässig, dass der Gesetzgeber nach Fukushima das Risiko der Atomenergie neu bewertete und einen schnelleren Ausstieg festlegte. "Der Gesetzgeber darf allein wegen einer neuen, generellen und politischen Einschätzung ihrer Risiken auch ohne Erkennbarkeit in Deutschland neu aufgetauchter Sicherheitsrisiken in diesem speziellen Gebiet des Atomrechts den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie beschleunigen, ohne gegen Artikel 14 GG zu verstoßen", sagte Kirchhof.
Als nächsten Schritt wird nun die Bundesregierung mit den Energiekonzernen beraten müssen, wie eine Entschädigungsregelung aussehen soll. Im Moment verhandeln beide Seiten darüber, wer die Kosten für die Endlagerung des Atommülls trägt - gut denkbar, dass die Frage der Entschädigung damit verbunden wird.