Hubertus Heil Der Arbeiter
Besonders beliebt gemacht hat sich Hubertus Heil beim Koalitionspartner nie. Wichtiger dürften dem Arbeitsminister aber auch andere Dinge sein, etwa die Grundrente. Doch Heil musste auch Kompromisse schlucken. Eine Bilanz.
Schweiß steht Hubertus Heil auf der Stirn. Es sind knapp 30 Grad, die Sonne knallt auf der Baustelle in Berlin Moabit. Von der 16-jährigen Hellena van der Wall will Heil wissen, wie sie denn darauf gekommen sei, eine Ausbildung auf dem Bau zu machen. "Meine Mutter fährt Lkw, sie riecht manchmal nach Teer, wenn sie nach Hause kommt", erzählt sie. "Das fand ich irgendwie gut." Darum mache sie ein Praktikum, dann die Ausbildung in der Firma, das alles in der Pandemie.
Der Arbeitsminister ist zufrieden. Sein Ausbildungspakt mit Unternehmen wirkt, zumindest hier: 4000 Euro für Lehrstellen, 6000 Euro für neue Ausbildungsplätze gibt es für die Unternehmen vom Staat. Heil will keinen Corona-Jahrgang, darum die Prämien. Der Sozialdemokrat will gerechte Löhne und Renten, Jobs sichern - gerade in der Pandemie und auf den letzten Metern der Großen Koalition.
Arbeitsminister Hubertus Heil auf einer Baustelle in Berlin.
Doch es war zäh die vergangenen Jahre, sich mit der Union auf eine konkrete Zahl, eine Verordnung oder gar ein Gesetz zu einigen. Entsprechend mühsam erarbeitet sind die rund 35 Gesetze sowie zahlreiche Verordnungen und Richtlinien, die aus Heils Haus kamen.
Heils Herzkammer
Als Heil 2018 als Minister begann, nannte er das Arbeitsministerium die Herzkammer der Bundesregierung. Wenn es da zu Herzrhythmusstörungen komme, gebe es soziale Verwerfungen und ökonomische Probleme, sagte er damals. Jetzt schaut er auf viele Störungen zurück, teils waren sie vom Koalitionspartner verursacht. Die größte Störung aber war Corona.
Und da greift Heil gerne wieder auf ein Bild zurück - diesmal von Ungeheuern aus der griechischen Mythologie: "Unsere Arbeit in der Pandemie war manchmal wie ein Kampf gegen die Hydra", sagt er. "Wenn wir einen Kopf abgeschlagen hatten, ein Problem gelöst war, wuchsen gleich zwei andere nach."
Eine extreme Zeit. Arbeitsplätze mussten gesichert, Kurzarbeitergeld schnell beschlossen werden. "Als ich im April letzten Jahres die Kurzarbeiterzahl von sechs Millionen gesehen habe, wurde mir schon etwas schummrig", gesteht der SPD-Mann. Vorgeworfen wurde ihm unter anderem, man habe in Zombie-Unternehmen investiert. Das sei aber Unsinn, so Heil.
Gab es Erfolge im Kampf gegen die Folgen der Pandemie, wurden sie meistens als Erfolg der Großen Koalition gewertet, als Erfolg von Kanzlerin Merkel. Heils Partei, die SPD, bekam vom Glanz wenig ab. Im Gegenteil: Gab es Kritik im Kleingedruckten, musste Heil ran.
Maskenstreit mit Spahn
So wurde auch plötzlich eine Abteilung in seinem Ministerium wichtiger denn je: die Abteilung Arbeitsschutz, die sich um unzählige Schutz-Regelungen in der Pandemie kümmern mussten. Zuletzt bekannt durch den Streit um sichere Masken mit dem Gesundheitsministerium von Jens Spahn. Sicherheit und abgesprochene Normen von Masken gingen vor - war die klare Haltung des Arbeitsministers.
Heil polterte aber nicht gegen Spahn. Heil ist keiner, der poltert. Das sollten andere tun. Heil ist mehr der stille Kämpfer, und er musste an vielen Fronten kämpfen. Etwa gegen Widerstände der Industrie, als es um die Testpflicht in Unternehmen ging: Wer soll das bezahlen?, fragten Firmen. Jeder solle in der Pandemie einen Beitrag leisten - Heils Antwort.
Die Pflicht für Unternehmen, Homeoffice anzubieten hat er gegen große Widerstände zeitlich begrenzt in der Pandemie im Infektionsschutzgesetz festgeschrieben. Heil wollte mehr: ein Gesetz, mobiles Arbeiten auch nach der Pandemie zu regeln. Doch das wurde schon vor Monaten von Wirtschaftsminister Peter Altmaier vehement abgelehnt. Die Konservativen seien einfach noch nicht soweit, so Heils Erklärungsversuch. Eine Aufgabe für die nächste Regierung. Offen auch noch, wie endlose Zeitverträge in Zukunft beschränkt werden können. Und Selbstständige im Alter besser abgesichert werden sowie eine Reform der Grundsicherung - alles Herzensanliegen von Heil. Doch längst nicht alles konnte er durchboxen.
Auf Heils Habenseite steht ganz oben die Grundrente. Nach langem Streit mit der Union kann er hier einen Haken dranmachen. Als Meilenstein der SPD wird die Grundrente in der Partei gerne bezeichnet, im Wahlkampf gerne auch als Prunkstück der Regierungsarbeit.
Streng genommen war Heil der dritte Grundrenten-Minister seit 2009. Er ist es, der das Projekt über die Ziellinie bringt. Die Grundrente soll Rentnerinnen und Rentnern zugute kommen, die trotz langer Beitragsjahre nur geringe Altersbezüge erhalten.
Streit in der Koalition gab es darüber, wie sie finanziert werden soll, wie geprüft wird und wer sie überhaupt bekommt. Dabei sei er anfangs über den Koalitionsvertrag hinaus geschossen, so der Vorwurf aus der Union. Er wolle etwas schaffen, was den Namen Grundrente auch verdiene, erwidert Heil. Am Ende setzte er sich durch, 1,3 Millionen Frauen und Männer werden nun nach Angaben des Ministeriums einen Anspruch auf Grundrente haben - nach einer langwierigen Prüfung.
Doch die Rente wird weiterhin das bestimmende Thema für das Ministerium sein - egal, wer es in Zukunft führen wird. Denn diskutiert wird schon im Wahlkampf über Rentenniveaus und Eintrittsalter. "Ich bin klar gegen eine Rente mit 68. Und bezeichnend ist auch, dass im Wahlprogramm der CDU das Rentenniveau nicht genannt wird", sagt Heil. Da fehle der Mut, sich festzulegen.
Eine Mini-Pflegereform
Auch beim Thema Pflege gab es viel Misstöne in der Koalition. Weniger was die Missstände betrifft: Unbestritten ist die schlechte Bezahlung für Pflegende. In einer konzertierten Aktion mit den Ministern Spahn und Franziska Giffey hatten sie sich schon vor Jahren für höhere Löhne in der Branche stark gemacht. Doch Giffey ist als Familienministerin zurückgetreten, und mit der Harmonie zwischen Spahn und Heil ist es schon lange vorbei.
Als Heil einen eigenen Vorschlag zur besseren Entlohnung für Pflegerinnen und Pfleger machte, sah Spahn dies als Affront, schließlich gab es schon den Entwurf aus dem Gesundheitsministerium. Das ging Heil aber nicht schnell genug. "Wir haben wenig Zeit, darum habe ich Druck gemacht, dass es in der Legislaturperiode noch kommt", begründete Heil sein Vorpreschen.
Am Ende einigte man sich auf eine Mini-Reform. Von einem "Pflegereförmchen" sprechen Sozialverbände und Gewerkschaften. Auch hier bleibt also noch viel Arbeit für die kommende Regierung. Heil würde wohl gern weitermachen. Dafür aber müsste seine SPD bis zum 26. September ordentlich zulegen.