Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Kleine Parteien müssen weiter Unterschriften sammeln
Um bei der Bundestagswahl antreten zu können, müssen kleine Parteien Unterschriften sammeln. Ein deutlicher Nachteil, beklagte die ÖDP - und zog vor das Bundesverfassungsgericht. Doch die Hürden bleiben bestehen.
Der erste Samstag im Dezember. Es ist kalt in Bietigheim-Bissingen auf dem Kronenplatz. Hierher ist der Wochenmarkt in der baden-württembergischen Stadt in diesen Tagen ausgewichen - um auf dem Marktplatz Platz zu machen für den traditionellen Sternlesmarkt. Noch regnet es nicht an diesem Tag, doch das wird sich bald ändern.
Morgens um kurz vor neun Uhr bauen ein paar Männer am Rand des Markts einen orangefarbenen Pavillon und einen Infostand auf. Davor positionieren sie einen Aufsteller: "Jetzt unterschreiben", heißt es dort auf einem Poster. "Politische Artenvielfalt erhalten!"
Die Männer sind von der ÖDP, der Ökologisch-Demokratischen Partei. Die Partei braucht Unterschriften, um bei der Bundestagswahl antreten zu können. Und da die jetzt schon im Februar stattfinden soll, wird die Zeit knapp.
Bundeswahlgesetz macht genaue Vorgaben
Das Bundeswahlgesetz (BWahlG) regelt die Voraussetzungen, unter denen Parteien an der Bundestagswahl teilnehmen dürfen: "Wahlvorschläge können von Parteien eingereicht werden", heißt es da.
So einfach ist das aber nicht für alle. Für Parteien, die seit der letzten Wahl nicht ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder in einem Landtag vertreten waren, gibt es vorher noch ein paar Hürden. Das sind in der Regel kleine Parteien oder solche, die neu gegründet wurden.
Sie müssen der Bundeswahlleiterin oder dem Bundeswahlleiter ihre Beteiligung an der Wahl fristgerecht schriftlich anzeigen und der Bundeswahlausschuss muss daraufhin ihre Parteieigenschaft feststellen. Erst dann können sie eine Landesliste und Wahlvorschläge für die Kreiswahl einreichen. Wenn sie dafür ausreichend Unterstützungsunterschriften zusammenbekommen.
Bis zu 2.000 Unterschriften pro Bundesland
Genau das versuchen die Männer auf dem Kronenplatz in Bietigheim-Bissingen. Unter ihnen sind Sascha Fröhlich und Guido Klamt. Fröhlich ist der Direktkandidat für den Wahlkreis Neckar-Zaber, Klamt der ÖDP-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg.
Um bei der Wahl antreten zu können, muss die Partei eine Landesliste einreichen. Dafür brauchen kleine Parteien pro Bundesland die Unterschriften von einem Tausendstel der Wahlberechtigten im Land bei der letzten Bundestagswahl - höchstens aber 2.000.
In Baden-Württemberg waren bei der Bundestagswahl 2021 knapp acht Millionen Menschen wahlberechtigt. Damit gilt hier die Höchstzahl von 2.000 Unterschriften für die Landesliste. Für eine Direktkandidatin oder einen Direktkandidaten kommen pro Wahlkreis noch einmal pauschal 200 dazu. So soll unter anderem sichergestellt sein, dass die Wahl auf ernsthafte Wahlvorschläge beschränkt bleibt und ordnungsgemäß ablaufen kann.
Eine Mammutaufgabe trotz verkürzter Fristen
An einem normalen Tag bekomme man an einem Infostand 20 bis 30 Unterschriften zusammen, erzählt Guido Klamt. "Wenn wir über 30 hätten, das wär super." Klamt ist seit Ende der 1980er-Jahre für die ÖDP aktiv, hat viele Infostände mitgemacht. Einzeln gehen die Männer auf Marktbesucher zu, schildern ihr Anliegen - viele laufen weiter, ab und an aber haben sie Erfolg.
Angesichts der vorgezogenen Neuwahl wird das Bundesinnenministerium die Zeit fürs Unterschriftensammeln verlängern. Nach dem Gesetz müssen die Parteien ihre Wahlvorschläge eigentlich 69 Tage vor der Wahl einreichen. Für die anstehende Bundestagswahl soll die Frist erst 34 Tage vorher enden.
Trotzdem eine riesige Herausforderung, sagt Klamt: "Wir müssen diese Unterschriften jetzt in kurzer Zeit sammeln, am besten bis Weihnachten, und müssen dafür Infostände machen und die Leute in der Stadt ansprechen. Und das ist eben ein großes Problem: Jetzt in der Weihnachtszeit bei dem Winterwetter, da ist es schwierig, die Leute dafür zu gewinnen."
Einmal gesammelt, müssen die Unterschriften dann noch von den Gemeinden bestätigt werden. In der Regel gehen die Formulare per Post hin und her. Auch dafür geht Zeit drauf.
Klage zum Bundesverfassungsgericht
Wegen der Pflicht zum Unterschriftensammeln, den sogenannten Unterschriftenquoren im Bundeswahlgesetz, hatte die ÖDP schon im vergangenen Jahr Organklage beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Zuvor hatte der Gesetzgeber Änderungen am Wahlrecht vorgenommen, allerdings ohne gleichzeitig auch die Regelungen zu den Unterschriften anzupassen.
Im System des geänderten Wahlrechts sei es nicht mehr gerechtfertigt, dass kleine Parteien für Kreiswahlvorschläge Unterschriften sammeln müssen, so die Argumentation der ÖDP. Für Landeslisten müsse das Unterschriftenerfordernis nicht komplett wegfallen. Aus Sicht der ÖDP könne es aber nur noch bei Parteien bestehen, die zuvor noch bei keiner Wahl in Erscheinung getreten sind. Und nur, wenn sie deutlich weniger Unterschriften sammeln müssten als bisher.
Deutlich weniger Unterschriften sammeln zu müssen, das wünscht sich auch Guido Klamt Anfang Dezember auf dem Wochenmarkt in Bietigheim-Bissingen für die spontane Neuwahl: "Normalerweise haben wir ein gutes halbes Jahr dafür Zeit. Jetzt haben wir sechs Wochen dafür Zeit. Und deshalb ist es uns wichtig, dass die Anzahl reduziert wird. Sodass wir auch eine realistische Chance haben, als kleine Partei bei der Bundestagswahl antreten zu können. Und nicht auf dem Wahlzettel hinterher nur die bereits im Bundestag vertretenen Parteien aufgeführt sind. Das geht nicht nur uns so. Das geht natürlich allen kleinen Parteien so."
Keine Erleichterung für kleine Parteien
Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Wunsch nicht erfüllt: In seiner Entscheidung von heute hält es an den Unterschriftenregeln fest. Dass kleine Parteien Unterschriften sammeln müssen, beschränke zwar ihr Recht, Wahlvorschläge zu machen, so der Zweite Senat des Gerichts. Auf der anderen Seite diene es aber dem Zweck, dass nicht zu viele Parteien auf dem Wahlzettel landen.
Dadurch werde eine Stimmenzersplitterung vermieden, also dass es viele Parteien mit jeweils wenigen Stimmen gibt. Die geltenden Regeln würden stabile Mehrheits- und Regierungsverhältnisse ermöglichen. Aus Sicht des Gerichts rechtfertigen Unterstützungsunterschriften die Annahme, dass ein Wahlvorschlag bei der Wahl überhaupt eine Chance habe.
Zahlen nicht zu hoch
Auch mit der Anzahl der erforderlichen Unterschriften - bis zu 2.000 für die Landesliste und 200 pro Direktkandidat - hat das Gericht kein Problem. Die Zahlen müssten so hoch sein, dass klar werde: Der Vorschlag ist nicht völlig aussichtslos.
Gleichzeitig dürften sie nicht zu hoch sein, sonst könnte für neuen Parteien die Teilnahme an der Wahl praktisch unmöglich werden. Das gelte auch, nachdem der Gesetzgeber das Wahlrecht vor einiger Zeit geändert hat.
Für Guido Klamt, Sascha Fröhlich und die anderen wird die Weihnachtszeit nach der Entscheidung weniger friedlich, als erhofft. Auf dem Kronenplatz in Bietigheim-Bissingen sind 31 Unterschriften für die Landesliste zusammengekommen. Sie müssen weitersammeln. Und die Zeit läuft.