Programme zur Bundestagswahl Wenn Wahlprogramme unter Zeitdruck entstehen
Die Parteien müssen für die Bundestagswahl im Februar ihre Programme schneller als sonst fertigstellen. Viel Zeit für Debatten bleibt da nicht. Doch das kann auch ein Vorteil sein.
Sollte die Bundestagswahl auf den 23. Februar vorgezogen werden, wonach es durch die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers aussieht, brauchen die Wahlkämpfenden so schnell wie möglich ein Wahlprogramm. Das bedeutet Stress für alle Parteien gleichermaßen: Denn die liegen nicht einfach so in der Schublade. Damit haben aber auch alle die gleichen zeitknappen Bedingungen. Kommende Woche wollen gleich vier Parteien ihr Programm vorstellen.
Die Linkspartei hat ihres bereits vorgelegt, darin waren 2.777 seit Oktober geführte Haustürgespräche mit eingeflossen. Die AfD veröffentlichte vorab ein Zehn-Punkte-"Sofortprogramm". Doch auch wenn die Programme jetzt in den Parteizentralen schnell zusammengeschrieben werden, reicht das nicht: Wirklich gültig sind sie erst, wenn ein Parteitag sie abgesegnet hat. Bei Grünen und CDU findet dieser recht spät statt, nicht einmal vier Wochen vor dem anvisierten Wahltermin am 23. Februar.
Wie umgehen mit kritischen Themen?
Was können die Wahlkämpfenden überhaupt verlässlich an Positionen von sich geben, seien es die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten oder die Parteibasis an den Marktplatzständen? Gerade bei kritischen Themen, bei denen auch innerparteilich unterschiedliche Meinungen vorherrschen, könnte das brenzlig werden.
Bei der CDU könnte das etwa die Frage sein, ob man nach der Wahl wirklich "Taurus"-Marschflugkörper liefern würde. Bei den Grünen könnte es die Flüchtlingspolitik sein, bei der die pragmatische Gruppe um den Spitzenkandidaten Robert Habeck einen anderen Ton anschlägt als mancher vom linken Flügel.
Nur wäre die Situation dann für Habeck ungünstig, würde seine Position noch mit Änderungsantrag bei der nachträglichen Bundesdelegiertenkonferenz aus dem Programm gewählt werden. In der grünen Zentrale gibt man sich optimistisch, dass solche späten Störfeuer ausfallen - insgesamt herrsche eine große Disziplin, das gemeinsam hinzubekommen, heißt es dort.
Sähen die Programme mit mehr Zeit anders aus?
In solchen Fällen wird die fehlende Zeit durchaus auch als Vorteil gesehen - die Wahlprogramme können schlanker ausfallen, man muss beim Lösungsweg nicht so ins Detail gehen und kann nur allgemeinere Zielbeschreibungen festhalten.
Der Politologe Uwe Jun hält jedenfalls den innerparteilichen Schaden für eher gering, dass die Wahlprogramme dieses Mal schneller und damit mit weniger Basisbeteiligung auskommen müssen. Partizipationsmöglichkeiten sänken zwar automatisch durch weniger Zeit, jedoch gebe es ja die Rückkopplung durch die Wahlparteitage - zudem diskutierten Parteien fortlaufend ihre Themen.
Das gelte auch für die inhaltliche Ausrichtung der Wahlprogramme: Viel wirklich Neues wäre nach Ansicht von Jun in den kommenden Monaten nicht dazugekommen. "Wahlprogramme schöpfen aus dem Vorhandenen und versuchen, daraus Zukunftsvorstellungen zu entwickeln." Und sofern die Parteien Arbeitsgruppen oder Regionalkonferenzen dazu abhalten wollten, seien diese auch bereits gestartet gewesen, ihre Beteiligung ist nun nur verkürzt.
Union setzt auf Entlastungen und Migration
Bei der Union hat man nach einem aufwändigen Grundsatzprogramm-Prozess mit Mitgliederbefragung nun das Wahlprogramm ohne eigene Kommission erarbeitet, um schneller sein zu können - federführend waren der Generalsekretär und der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion in Abstimmung mit der CSU und den verschiedenen Parteivereinigungen wie etwa der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft.
Hinzu kommt, dass die Union den Programmprozess bereits im Sommer gestartet hat und schon verhältnismäßig weit war, um auf ein vorzeitiges Scheitern der Ampelkoalition vorbereitet zu sein. Das vorläufige Wahlprogramm ist inzwischen bekannt - die Hauptthemen sind demnach steuerliche Entlastungen und Migrationspolitik.
Wie wichtig sind die Programm überhaupt?
Wahlprogramme sind immer eine Selbstvergewisserung und Verständigung der Parteien nach innen, aber auch Munition in Koalitionsverhandlungen sowie mögliche Informationsgrundlage für Wählende - wobei die Mehrheit sie eher nicht als Vollprogramm zur Kenntnis nimmt. Nur rund 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler etwa nahmen im baden-württembergischen Landtagswahlkampf 2021 solche Programme oder deren Kurzfassungen überhaupt wahr. Dies ergab eine Studie des Kommunikationswissenschaftlers Frank Brettschneider.
"Das heißt jedoch nicht, dass die Programme unwichtig sind", erläutert Brettschneider - die Parteien können daraus Auszüge oder Werbematerial machen, die Wählende über Online-Stichwortsuchen einzelne für sie wichtige Politikfelder genauer in den Blick nehmen.
Zu wenig verständlich
Was Wahlprogramme häufig vermissen lassen, ist der Faktor Verständlichkeit. Da stecke häufig viel Fachkommunikation von den vorbereitenden Arbeitsgruppen drin, eher selten würden Fachbegriffe erläutert, sagt Brettschneider. So kam er in einer Studie über die Europawahl-Programme unter anderem zum Ergebnis, dass Einleitung und Schluss am verständlichsten waren: "Diese Kapitel werden nämlich in den Parteizentralen und nicht von Facharbeitsgruppen geschrieben."
Es könne sein, dass eine kürzere Erarbeitungszeit sogar hilfreich sei bei der Schwerpunktsetzung der Programme, so Brettschneider. "Die Parteien sind gezwungen, Prioritäten zu setzen, womit man sich in erster Linie politisch beschäftigen sollte."
Mit Informationen von Oliver Neuroth und Philip Brost, ARD-Hauptstadtstudio