Jens Spahn, Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz (von li. nach re.) auf dem Parteitag in Hamburg
Reportage

CDU-Parteitag Auf einmal nicht mehr "knochentrocken"

Stand: 07.12.2018 19:33 Uhr

Kramp-Karrenbauer, Merz oder Spahn - kaum ein Delegierter wagte eine Prognose, wer Nachfolger der CDU-Vorsitzenden Merkel werden würde. Das Ergebnis fiel denkbar knapp aus und beendete das kurze Comeback von Merz.

Es ist 16:57 Uhr, als in den Hamburger Messehallen das kurze, aber heftige politische Comeback des Friedrich Merz endet und sein Traum von der Wahl zum CDU-Vorsitzenden platzt. Zu diesem Zeitpunkt verkündet der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther auf dem Parteitag der CDU das Ergebnis der Stichwahl: Auf Merz entfallen 48,2 Prozent, auf seine Konkurrentin Annegret Kramp-Karrenbauer 51,7 Prozent.

Offenes Rennen

Hamburg, das ließ sich schon vorher sagen, würde ein außergewöhnlicher Parteitag werden. Am Vormittag lässt sich unter den Delegierten noch keine klare Stimmung ausmachen. Ein Drittel, so heißt es von einem Mitglied aus der Parteispitze, sei noch unentschieden. Die Delegierte Ute Bertram aus Hildesheim will die Auftritte der Kandidaten abwarten, auch wenn sie eine leichte Präferenz hat, die sie aber für sich behält. Wichtig ist ihr, "dass es nach dem 7. Dezember auch einen 8. Dezember gibt" - soll heißen: dass der oder die neue Vorsitzende die Partei nicht spaltet, sondern zusammenbringt.

Eine Erwartung, die auch Egon Primas aus Thüringen teilt. Er erwartet allerdings, dass die künftige Parteispitze die CDU wieder in die Nähe der 40 Prozent bringt - ohne dass er das mit einem Namen verbinden will.

Merkel hält sich raus

Merkel, um deren Erbe es geht, hält sich wie schon in den Wochen zuvor, aus der Nachfolgedebatte heraus. In ihrer letzten Rede als CDU-Vorsitzende skizziert sie das, was sie wohl als ihr Vermächtnis betrachtet und damit dem oder der Nachfolgerin mit auf den Weg gibt, spricht über christdemokratische Werte, die Würde des Menschen, erinnert aber auch daran, wie sehr die Partei zu Beginn ihrer Amtszeit am Boden lag und wie sie mit kühlem Kopf und "knochentrockener" Politik die Wende geschafft habe.

Sie beschwört die Kraft der Partei und verweist auf die Wahlsiege des vergangenen Jahres unter anderem im Saarland, wo die CDU unter Kramp-Karrenbauer auf mehr als 40 Prozent kam. Ist dies doch ein Hinweis, eine klitzekleine Wahlempfehlung für Kramp-Karrenbauer?

Auftritt nach dem ABC

Die Generalsekretärin tritt als Erste ans Rednerpult, die Kandidaten sprechen in der alphabetischen Reihenfolge. Als sie im Februar ihre Bewerbungsrede als Generalsekretärin hielt, wurde sie begeistert für ihren engagierten Auftritt gefeiert, und mancher im Saal fühlt sich später an diesen Auftritt erinnert.

Kramp-Karrenbauer schlägt, anfangs etwas nervös und mit belegter Stimme, wie alle Kandidaten einen breiten Bogen und streift die großen Themen der Zeit: Kimawandel, Digitalisierung, Bürokratieabbau, Leistungsbereitschaft, starker Staat. Vieles davon bleibt so vage, wie es bei 20 Minuten Redezeit vage bleiben muss.

Aber die Generalsekretärin appelliert immer wieder an den Mut in Partei und Gesellschaft, an das Miteinander. Auch hebt sie ihre politische Erfahrung als Ministerin, Landeschefin und erfolgreiche Wahlkämpferin hervor - ein kleiner Gruß an Konkurrent Merz. Kramp-Karrenbauer trifft, wie es scheint, damit den richtigen Ton, der Applaus für sie ist immer wieder kräftig, mit Jubelspuren.

"Unerträglicher Zustand"

Merz, der nach ihr spricht, kommt dagegen schwer in Fahrt und wirkt zunächst seltsam zurückgenommen. Kramp-Karrenbauer hatte weitgehend frei gesprochen, Merz liest ab, beschreibt länglich die Veränderungen der Welt in den vergangenen 25 Jahren. Merz geht es in seiner Rede vor allem um einen Strategiewechsel, um eine schärfere Abgrenzung der CDU nach rechts, links und zu Populisten. Als er hierauf zu sprechen kommt und den Aufstieg der AfD "unerträglich" nennt, brandet erstmals breiter Beifall auf. Es ist das Thema, das die CDU so schmerzt wie kein zweites.

Merz grenzt sich deutlich von der Politik Merkels ab und kritisiert, die CDU lasse "zu viele Menschen mit ihren Fragen allein" - auch beim Thema Migration. Er fordert eine "Agenda für die Fleißigen" und fordert mehr Debatten in der Partei. Wo Merz die Trennlinie zu Merkel zieht, trifft er deutlich den Nerv der Delegierten, auch, wenn er den Koalitionspartner SPD aufs Korn nimmt. Da ist ihm der Beifall gewiss, und doch scheint es, hat er einen Teil seiner Rede verschenkt.

"Es ist uns nicht egal"

Jens Spahn kann im Vergleich dazu gelassen ans Mikrofon treten. Er ist der Außenseiter im Rennen, deutlich abgeschlagen in den Umfragen, und er versteht das, für sich zu nutzen. Spahn kann es kaum erwarten loszulegen, schlabbert gleich mal die Anrede an die Anwesenden und kommt umgehend auf sein Alter zu sprechen. Er werde immer wieder zu Geduld aufgefordert, berichtet er und fragt zurück: Wie wäre die Vereinigung Deutschlands verlaufen, wie die Erweiterung Europas, wenn man immer nach der Geduld gegangen wäre.

Spahn stellt seine Kandidatur überaus selbstbewusst in einen großen historischen Kontext. Sein Leitmotiv ist das Engagement - "es ist uns nicht egal", sagt er immer wieder in unterschiedlichen Zusammenhängen. Auch Spahn wendet sich gegen ein Weiter so, blickt aber zugleich weiter voraus als Merz und skizziert seine Vorstellungen von einem Deutschland im Jahr 2040, mit ähnlichen Akzenten wie Merz, aber eben zu einer Zeit, in der dieser die politische Arena längst verlassen haben wird.

Einer für die Zukunft

Auch wenn der Beifall für Spahn am Ende kürzer ausfällt, viele Delegierte hat er damit beeindruckt. Spahn habe seinen Nachteil zu seinem Vorteil gemacht, sagen anschließend auch Parteimitglieder, die nicht für ihn stimmen wollen, er sei einer für die Zukunft. Überhaupt ist das Lob für alle drei Kandidaten ist groß, auch weil sie weitgehend fair miteinander umgegangen sind.

Der erste Wahlgang bringt dann das erwartete Ergebnis - Spahn scheidet aus, Kramp-Karrenbauer und Merz gehen in die Stichwahl. Der Vorsprung für die Generalsekretärin ist mit 45 zu 39,2 Prozent deutlich - aber reicht dies auch bei der zweiten Abstimmung? Wie verhalten sich die Anhänger Spahns - stimmen sie für Merz, der ihnen politisch näher stehen dürfte, oder entscheiden sie sich für Kramp-Karrenbauer, womöglich um den konservativen Platzhirschen wieder zurück ins politische Abseits zu schieben? Theorien und Mutmaßungen gibt es viele in der Messehalle.

Emotionaler Moment

Als Ministerpräsident Günther schließlich das Ergebnis mitteilt, wirkt Kramp-Karrenbauer überwältigt, vergießt ein paar Tränen. Die Bundeskanzlerin gratuliert ihr ausgesprochen herzlich, nimmt sie in den Arm. Auch Merz gratuliert fair und ruft zur Unterstützung der neuen Führung auf, teilt aber zugleich höflich mit, dass er nicht für die Stellvertretung oder einen Platz im Parteipräsidium kandidieren wolle.

Möglicherweise, überlegt die Delegierte Marion Eich-Born, habe den Ausschlag gegeben, dass Merz die Rede eines Kanzlerkandidaten, Kramp-Karrenbauer aber die einer Kandidatin für den Parteivorsitz gehalten habe. Damit habe sie die Seele der Partei erreicht. Noch wichtiger ist ihr aber, wie engagiert die Partei in den vergangenen Wochen über ihren künftigen Kurs diskutiert habe. Davon sei sie "begeistert", sagt sie - und: "Ich bin das erste Mal seit Jahren wieder richtig stolz, CDU-Mitglied zu sein."