Vorfälle in Chemnitz "Das hat auf unseren Straßen keinen Platz"
Die Bundespolitik ist sich einig: "Hetzjagden" wie in Chemnitz dürfe es nicht geben und sie dürften sich nicht wiederholen. Aus der FDP dringt Kritik an der Kanzlerin: Sie sei an den Vorfällen nicht ganz unschuldig.
Am Tag nach den neuen gewaltsamen Ausschreitungen in Chemnitz verurteilen Politiker und Einsatzkräfte die Vorfälle - und wollen Sachsen gegen weitere Stimmungsmache wappnen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte die Gewaltbereitschaft und den Hass, die sich bei der Demonstration am Vortag Bahn gebrochen hatten. "Es darf auf keinem Platz und auf keiner Straße zu solchen Ausschreitungen kommen", sagte sie in Berlin. Hetzjagden und Zusammenrottungen, wie sie in Videoaufnahmen zu sehen seien, hätten "mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun".
Gleichzeitig stellte sich Merkel hinter den Einsatz der Polizei. Die Beamten hätten "natürlich alles unternommen, um die Dinge vernünftig zu Ende zu bringen, noch mehr Gewalt zu verhindern". Bei den erneuten Demonstrationen am Montag war es teilweise wieder zu Ausschreitungen gekommen. Nach Angaben der Polizei wurden 20 Menschen verletzt, darunter zwei Einsatzkräfte.
Für Donnerstag hat "Pro Chemnitz" nach Angaben der Stadtverwaltung erneut eine Kundgebung mit 500 Teilnehmern angemeldet. Am Samstag hat die AfD Sachsen in Dresden zu einer Demonstration aufgerufen. Auch hier wurden 500 Teilnehmer angekündigt.
Die Polizeidirektion Chemnitz hat Details zum Einsatz bei der Demonstration sowie Gegendemonstration am Montagabend veröffentlicht. Demnach waren 591 Beamte im Einsatz, um beide Lager voneinander zu trennen. Dennoch kam es zu Zusammenstößen, bei denen nach bisherigen Erkenntnissen 18 Teilnehmer und zwei Polizisten verletzt wurden.
Bislang liegen 43 Anzeigen vor - unter anderem wegen
- des Verdachts auf Landfriedensbruchs (zwei Fälle),
- das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (zehn),
- Körperverletzungsdelikten (elf)
- und Verstößen gegen das Sächsische Versammlungsgesetz (drei).
Auf der Versammlung, zu der die Gruppierung "Pro Chemnitz" augerufen hatte, seien Personen aus "dem rechten Spektrum und der gewaltbereiten Fußballszene" präsent gewesen.
Seehofer bietet Polizei Unterstützung an
Bundesinnenminister Horst Seehofer bot der sächsischen Polizei Unterstützung durch den Bund an. Die Polizei in Sachsen sei in einer schwierigen Situation. Rückhalt für seinen Vorschlag erhielt der CSU-Chef von der Kanzlerin.
In Bezug auf den Tod eines 35-jährigen Deutschen, der nach einer Auseinandersetzung am Wochenende seinen Verletzungen im Krankenhaus erlag, sprach Seehofer sein Mitgefühl aus: "Ich bedauere diesen Todesfall zutiefst. Die Betroffenheit der Bevölkerung hierüber ist verständlich", sagte er mit Blick auf den Messerangriff. Die mutmaßlichen Täter, ein 22-jähriger Iraker und ein 23-jähriger Syrer, sitzen in Untersuchungshaft.
Rechtspopulistische Gruppen hatten die Empörung über den Todesfall geschürt und am Sonntag und Montag zu Demonstrationen aufgerufen. Videos von Hetzjagden auf ausländisch aussehende Mitbürger verbreiteten sich im Netz. Seehofer sagte dazu, die Betroffenheit über den Todesfall rechtfertige "unter keinen Umständen den Aufruf zu Gewalt oder gewalttätige Ausschreitungen".
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat Sachsens Polizei Hilfe angeboten.
"Allein der Staat sorgt für Recht und Sicherheit"
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte seine Anteilnahme am Tod des 35-Jährigen. Doch die "Erschütterung über diese Gewalttat wurde missbraucht, um Ausländerhass und Gewalt auf die Straßen der Stadt zu tragen". Die Gewalt müsse geahndet werden, forderte Steinmeier und bezog sich sowohl auf tätliche Angriffe als auch auf Volksverhetzung. Er fügte hinzu: "Der Staat - und allein der Staat - sorgt in diesem Land für Recht und Sicherheit." Wer "Frieden und Sicherheit" wolle, dürfe nicht "selbsternannten Rächern" hinterherlaufen.
Bundesaußenminister Heiko Maas rief zur Verteidigung demokratischer Werte auf. "Wir müssen alles tun, um Menschenwürde, Demokratie und Freiheit zu verteidigen, nicht nur in Chemnitz, sondern überall auf der Welt", sagte Maas. Vor 55 Jahren habe der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede über den Traum von Gleichberechtigung aller Menschen gehalten, sagte Maas. "Solange radikale Hetzjagden veranstaltet werden, haben wir noch viel zu tun, damit der Traum von Gleichberechtigung Wirklichkeit wird."
Justizministerin Katarina Barley warnte vor dem Entstehen rechtsfreier Räume. Es dürfe nicht der Anschein entstehen, dass es Räume und Orte gebe, in denen der Rechtsstaat das Recht nicht durchsetzen könne.
Kubicki gibt Merkel Mitschuld
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki nutzte die Vorfälle in Sachsen, um am politischen Kurs der Union Kritik zu üben. Merkel trage eine Mitschuld, warf Kubicki der Kanzlerin vor:
"Die Wurzeln für die Ausschreitungen liegen im 'Wir-schaffen-das' von Kanzlerin Angela Merkel."
Mit diesem Satz hatte Merkel 2015 ihre Entscheidung, die deutschen Grenzen für Flüchtlinge offen zu halten, verteidigt. Die Regierung sei damit gescheitert, der Bevölkerung im ehemaligen Osten der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung genügend zu integrieren und ihr die nötige Wertschätzung entgegenzubringen, sagte Kubicki weiter. "Wie sollen sich Menschen fühlen, die glauben, alles was ihnen jahrelang vorenthalten oder gestrichen wurde, werde auf einmal Flüchtlingen gewährt?"
Vorwürfe hagelte es aber auch gegen die sächsische Landesregierung. Diese habe die rechten Strukturen in ihrem Bundesland und deren gute Vernetzung viel zu lange verharmlost, kritisierte der FDP-Vize weiter.