Rechter Terror Vom NSU bis zum Anschlag in Hanau
Die Razzia gegen Neonazis wirft ein Schlaglicht auf die Aufarbeitung krimineller Aktivitäten von Rechtsextremisten. Seit Auffliegen des NSU gab es zahlreiche Anschläge und Verfahren.
November 2011 - NSU
Nach einem Banküberfall in Eisenach bringen sich die beiden Täter in einem Wohnmobil um. Die Ermittlungen der Polizei ergeben: Es handelt sich um Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Als "NSU - Nationalsozialistischer Untergrund" hatten sie seit Ende 1998 gemeinsam mit Beate Zschäpe im Untergrund gelebt. Sie verübten unter anderem zwei Sprengstoffanschläge und begingen zehn rechtsterroristische Morde. Neun Opfer ihrer Mordserie waren Kleinunternehmer mit ausländischen Wurzeln. Das zehnte Opfer eine deutsche Polizistin.
Die Überlebende Beate Zschäpe wird 2018 nach mehr als fünf Jahren Prozess vom Oberlandesgericht München unter anderem wegen zehnfachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Mit Zschäpe verurteilt das Gericht vier Männer: zwei wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen, zwei andere wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Alle Urteile sind inzwischen rechtskräftig.
Juli 2015 - "Gruppe Freital"
Insgesamt fünf Sprengstoffanschläge begeht die sogenannte Gruppe Freital. Erstes Ziel: Das Auto eines Politikers der Linkspartei. Später explodiert ein Sprengsatz an den Fenstern einer Asylbewerberunterkunft.
2018 verurteilt das Oberlandesgericht Dresden insgesamt acht junge Männer zu mehrjährigen Haftstrafen, die beiden Anführer unter anderem wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung und versuchten Mordes. Die Urteile sind inzwischen rechtskräftig.
Oktober 2015 - Anschlag auf Henriette Reker
Einen Tag vor der Oberbürgermeister-Wahl in Köln wird die damalige Kandidatin Henriette Reker beim Wahlkampf niedergestochen. Täter ist Frank S. Sein Motiv: Fremdenhass. Er will ein Zeichen setzen gegen die flüchtlingsfreundliche Politik, für die Henriette Reker steht. Reker überlebt und wird zur Oberbürgermeisterin gewählt. Frank S. wird eine Persönlichkeitsstörung attestiert. Er bekommt 14 Jahre Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes. Die Entscheidung wird später vom Bundesgerichtshof bestätigt.
Juli 2016 - Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum in München
Am Olympia-Einkaufszentrum in München erschießt ein 18-Jähriger neun andere Menschen und sich selbst. Die meisten Opfer sind Jugendliche mit südosteuropäischen Wurzeln. Motive des Täters mit deutscher und iranischer Staatsbürgerschaft: Rache für Mobbing, psychische Probleme und rechtsradikale Ansichten. Die Waffe hatte er sich im Darknet besorgt.
Die Behörden hatten die Tat zunächst als nicht politisch motivierten Amoklauf eingeordnet. Seit 2019 wird sie aber als rechtsextremistisch motiviert eingestuft.
März 2017 - "Old School Society"
Das OLG München verurteilt vier Rechtsextremisten zu mehrjährigen Gefängnisstrafen. Sie sind Gründer und Mitglieder der sogenannten "Old School Society" - für das Gericht eine rechtsterroristische Vereinigung mit dem Ziel, Anschläge unter anderem auf Asylbewerberunterkünfte zu begehen. Nach Überzeugung der Richter waren die Anschlagsplanungen schon weit fortgeschritten. Vor ihrer Festnahme hatte die Gruppe bereits große Mengen hochexplosiven Sprengstoff besorgt.
April 2017 - Franco A.
Im bayerischen Hammelburg nimmt die Polizei Franco A. fest, er ist Oberleutnant bei der Bundeswehr. Zusammen mit zwei Komplizen soll er Anschläge auf Politiker geplant haben, etwa auf den damaligen Bundesjustizminister Heiko Maas. Ende 2015 hatte sich A. fälschlich als syrischer Flüchtling gemeldet und später in Deutschland subsidiären Schutz erhalten. Die Behörden vermuten: A. wollte den Verdacht für seine Taten gezielt auf Flüchtlinge lenken und so Hass gegen Ausländer schüren.
Anfang 2017 hatte er sich eine Waffe besorgt und diese zeitweise am Wiener Flughafen auf einer Toilette versteckt. Wegen der angeblichen Anschlagspläne klagt der Generalbundesanwalt A. an. Doch das zuständige Oberlandesgericht sieht keinen hinreichenden Tatverdacht und eröffnet das Verfahren nicht. Die Bundesanwaltschaft legt dagegen Beschwerde ein - mit Erfolg, das Verfahren läuft weiter.
September 2018 - "Revolution Chemnitz"
Auf der Schlossteichinsel in Chemnitz greift eine Gruppe Rechtsextremer Ausländer an. Die Ermittlungen ergeben: Die Attacke sollte ein erster Probelauf sein - für tödliche Anschläge in Berlin am Tag der deutschen Einheit. Die Gruppe Revolution Chemnitz habe einen bürgerkriegsähnlichen Aufstand in Deutschland provozieren wollen. Für die Ermittler steht fest: Revolution Chemnitz habe den Plan gefasst, den demokratischen Rechtsstaat in Deutschland zu überwinden.
Die Gruppierung wird ausgehoben. Das OLG Dresden verurteilt im März 2020 die acht Mitglieder wegen der Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen.
Juni 2019 - Mord an Walter Lübcke
Walter Lübcke, CDU-Politiker und Kassler Regierungspräsident, wird auf der Terrasse seines Hauses erschossen. Er hatte sich für eine liberale Flüchtlingspolitik eingesetzt. DNA-Spuren führen die Ermittler zum Rechtsextremisten Stephan E. Der gesteht die Tat zunächst, widerruft sein Geständnis aber später wieder. Die Bundesanwaltschaft klagt ihn wegen Mordes vor dem Oberlandesgericht Frankfurt an, zudem einen weiteren Mann wegen Beihilfe. Während des Hauptverfahrens legt E. ein neues Geständnis ab.
Schließlich verurteilt ihn das Frankfurter Oberlandesgericht wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe, stellt zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Der zweite Angeklagte wird weitgehend freigesprochen, eine Tatbeteiligung am Mord könne ihm nicht zweifelsfrei bewiesen werden. Alle Parteien des Strafverfahrens legen Revision ein. Der Bundesgerichtshof muss noch entscheiden.
Oktober 2019 - Anschlag Halle
An Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, versucht der Rechtsextremist Stephan B. in die Synagoge von Halle an der Saale einzudringen. Sein Ziel ist es, unter den Gläubigen ein Blutbad anzurichten. Als die Tür seinen Schüssen standhält, erschießt B. vor der Synagoge eine Frau, wenig später einen Mann in einem Döner-Imbiss. Seine Taten überträgt er live ins Internet. B. flieht und schießt auf weitere Menschen. Später wird er festgenommen.
Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilt B. zu lebenslanger Haft, stellt die besondere Schwere der Schuld fest und verhängt Sicherungsverwahrung für die Zeit nach der Haftstrafe. Die Vorsitzende Richterin spricht in der Urteilsbegründung von einer "besonders menschenverachtenden und abscheulichen Tat".
Februar 2020 - "Gruppe S."
In mehreren deutschen Städten nimmt die Polizei insgesamt 12 Männer fest. Sie sollen Gründer, Mitglieder oder Unterstützer einer rechtsterroristischen Vereinigung sein - von den Ermittlern bezeichnet als "Gruppe S.". Ziel der Gruppe - hier bei ihrem Gründungstreffen - sei es gewesen, die Bevölkerung einzuschüchtern und bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen. Dazu hätten laut Bundesanwaltschaft Einzelne oder Kleingruppen zeitgleich in mehrere Moscheen eindringen sollen und dort Menschen töten. Im April 2021 beginnt in Stuttgart-Stammheim der Prozess gegen die 12 Angeklagten. Das Verfahren läuft.
Februar 2020 - Anschlag Hanau
Im hessischen Hanau erschießt ein Mann an mehreren Tatorten - darunter ein Kiosk und zwei Shisha-Bars - insgesamt neun Menschen. Bei dem Täter handelt es sich um den 43-jährigen Tobias R. Als die Polizei die Wohnung des Mannes stürmt, findet sie ihn tot auf. Auch die Leiche seiner Mutter liegt in der Wohnung. Bei den Ermittlungen des Generalbundesanwalts tritt zu Tage: Tobias R. war Anhänger von Verschwörungstheorien und seine Tat rechtsextremistisch motiviert.