Ein Pfleger eines Pflegeheims schiebt eine Bewohnerin mit einem Rollstuhl

Corona-Angst in der Pflege "Wir achten auf jedes Hüsteln"

Stand: 02.04.2020 05:04 Uhr

Kontaktverbot hin oder her: Pflegebedürftige Senioren müssen auch während der Corona-Krise versorgt werden. Ambulanten Pflegediensten fehlt Personal, Schutzkleidung - und oft das Verständnis bei Angehörigen.

Von Jasper Steinlein, ARD-aktuell

Beim Anziehen helfen, Medikamente verabreichen, Verbände wechseln, Frühstück und Abendbrot zubereiten: Die Arbeit ambulanter Pflegerinnen und Pfleger lässt sich nicht einfach aus der Ferne verrichten. Auf einer Tour müssen sie in wenigen Stunden oft zehn bis 20 Haushalte anfahren und haben dabei engsten Kontakt zu den Pflegebedürftigen - meist älteren und vorerkrankten Menschen, bei denen eine Corona-Infektion sich besonders gefährlich auswirken kann.

Das hinterlässt Spuren. "Wir achten auf jedes kleine Hüsteln, bei den Kunden genauso wie bei unseren Mitarbeitern", sagt Christian Kaunas-Nassauer. Er leitet die Ambulante Pflege im Hamburger “Hospital zum Heiligen Geist” und muss bei Personalausfällen immer wieder selbst einspringen.

Abstand halten, aber auch Fiebermessen

Seit die Corona-Krise auch in Deutschland akut ist, hat sich der Arbeitsalltag der ambulanten Pfleger verändert: Dienstbesprechungen finden per Telefon auf dem Flur statt; mit möglichst viel Abstand zwischen den Teilnehmern. Auf der Tour sollen Pfleger nach dem Klingeln erst in die Wohnung hineinrufen und fragen, wie es dem Kunden geht - und Medikamente wenn möglich schon an der Eingangstür ablegen.

Mehr Corona-Vorsorge bedeutet aber wieder mehr Kontakt: Fiebermessen ist nun mal nur aus nächster Nähe möglich. Das ist für Pfleger wie Pflegebedürftige gleichermaßen ein Risiko - und beide fühlen sich zunehmend nicht ausreichend geschützt.

Angst, ungeschützt arbeiten zu müssen

Die Mitarbeiter des Ambulanten Pflegediensts am "Hospital zum Heiligen Geist" sollen bei der Arbeit Atemmasken und möglichst auch Kittel tragen. Doch die sind gerade schwer zu beschaffen. "Wir müssen sparsam mit Schutzmaterial sein, so gut es geht", sagt Kaunas-Nassauer dazu. "Es hat schon Lieferverzögerungen gegeben, Kollegen haben sich auch schon Masken selber genäht." Desinfektionsmittel sei derzeit noch leichter zu bekommen als Schutzkleidung.

Ein Problem, das dem größten Pflege-Berufsverband in Deutschland wohlbekannt ist. "Das wird mit jedem Tag mit mehr Vehemenz an uns herangetragen: 'Wir versuchen verzweifelt, an Material zu kommen'", sagt Carola Stenzel-Maubach, Referentin für Ambulante Langzeitpflege beim Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK). "Und es wird gravierender, weil Leute Angst haben, dass sie ungeschützt arbeiten müssen."

Fehlende Schutzkleidung für die Pfleger habe schon bei den gehäuften Ansteckungsfällen in Altenheimen eine Rolle gespielt - trotz der zum Teil schon im Voraus verhängten Besuchsverbote. Bei der häuslichen Pflege sei das Infektionsrisiko auch nicht unbedingt geringer, sondern liege nur an anderer Stelle: "Ich würde da keine Unterscheidung machen", sagt Stenzel-Maubach.

Schon jetzt versuchen Pflegedienste, das Ansteckungsrisiko zu senken, indem sie Mitarbeiter immer für die gleiche Tour einteilen und sie daran erinnern, ihre privaten Sozialkontakte einzuschränken. Überprüfen können sie die Einhaltung aber nicht - und ebensowenig, ob die Pflegebedürftigen in der Zwischenzeit nicht doch Besuch hatten.

Auch der Infektionsschutz durch medizinische Untersuchungen funktioniert nicht immer, weil Ärzte ausgelastet sind: "Unsere Mitarbeiter sind gehalten, bei Erkältungssymptomen einen Abstrich machen zu lassen", sagt Kaunas-Nassauer aus Hamburg - und berichtet zugleich, dass ein Mitarbeiter nur deshalb einen Corona-Test erhielt, weil er beim Ärztlichen Notdienst seinen Pflegeberuf besonders betont hatte. Auch Stenzel-Maubach sieht das Risiko für Altenpfleger während der Corona-Pandemie nicht ausreichend im Fokus: "In anderen Berufen bekomme ich bei Krisen eine Gefahrenzulage. Die bekommen meine Kollegen nicht", sagt sie.

"Pflegen kann nicht jeder"

Vielmehr häufen sich den Experten zufolge Absagen derer, die aus Angst vor einer Ansteckung nicht mehr wollen, dass ein Pflegedienst bei ihren Angehörigen vorbeifährt, auch wenn das bedeutet, dass sie die Fürsorge nun neben Home-Office und Kinderbetreuung allein stemmen müssen. Eine Verschnaufpause bekommen die ambulanten Pfleger dadurch aber nicht, denn die Anforderungen der verbleibenden Kunden sinken keineswegs.

Pflegebedürftige wie Angehörige zeigten nicht immer Verständnis, dass "ein Mundschutz noch immer kein Massengut" sei und nicht jede Annehmlichkeit so ausführlich gewährt werden kann wie früher, berichtet Kaunas-Nassauer. "Wir versuchen so gut es geht, zu kommunizieren: Wir schützen Sie, wir schützen uns - und wir müssen alle anderen auch schützen." Vergleichbare Berichte werden auch Stenzel-Maubach beim DBfK von Kollegen zugetragen. Sie warnt: "Wenn in der ambulanten Pflege jetzt eine Infektionswelle ausbricht, dann fluten diese Pflegebedürftigen die Krankenhäuser."

Zwar gibt es angesichts der Corona-Krise immer wieder Solidaritätsbekundungen mit allen, die in Pflegeberufen arbeiten und seit Jahrzehnten auf Misstände wie geringes Ansehen, niedrige Bezahlung und Überlastung hinweisen. Die Freude darüber klingt bei den Experten angesichts ihres Arbeitsalltags aber eher verhalten: "Ich hoffe nur, dass sich diese Erkenntnisse auch halten, wenn die Krise überwunden ist", sagt Christian Kaunas-Nassauer dazu.

Die Referentin des DBfK für Ambulante und Stationäre Langzeitpflege, Stenzel-Maubach, ist mit Blick auf die mangelnden Fachkräfte eher in Sorge. Sie denkt an alle, die nun Doppelschichten arbeiten müssen und im Ernstfall auch in Krankenhäuser abgezogen werden könnten. "Pflegen kann nicht jeder", sagt sie. "Ich hoffe, dass es nach der Krise nicht noch weniger werden."