ARD-DeutschlandTrend Massive Sorgen um die wirtschaftliche Lage
Die Deutschen sehen die wirtschaftliche Lage als das aktuell drängendste Problem - laut ARD-DeutschlandTrend schätzen sie diese so schlecht ein wie seit fast 15 Jahren nicht mehr. Punkten bei dem Thema kann die Union.
Die vergangenen Tage hatten für viele Beschäftigte nichts mit besinnlicher Adventszeit zu tun. Alleine in der Auto- und Zulieferindustrie wurde die Streichung von Tausenden Jobs verkündet. Zehntausende weitere Angestellte müssen über den Jahreswechsel bangen, ob und wie sie 2025 beschäftigt sein werden. Dies schlägt sich in den Zahlen nieder: Jeder fünfte (21 Prozent) der rund 46 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland sorgt sich aktuell um den eigenen Arbeitsplatz.
Dabei ist dies nicht die größte konjunkturbedingte Angst, die die Menschen derzeit bewegt: Die generelle Sorge um den Wirtschaftsstandort Deutschland treibt drei Viertel der Menschen um; steigende Preise und Sorge um Geldprobleme im Alter sorgt die Hälfte. Die Angst, den aktuellen Lebensstandard nicht halten zu können, beschäftigt 46 Prozent der Deutschen.
Gestiegen ist in den vergangenen Jahren auch die Sorge, sich die derzeitige Wohnung nicht mehr leisten zu können (37 Prozent, +8 Prozent im Vergleich zu September 2019). Diese persönlichen wirtschaftlichen Sorgen sind bei 18- bis 34-Jährigen und Menschen mit niedrigerem Einkommen deutlich stärker ausgeprägt. Dies hat eine Befragung von 1.307 Menschen für den ARD-DeutschlandTrend in dieser Woche ergeben.
Drängendste Probleme: Wirtschaft, Zuwanderung, Außenpolitik
Nur noch 16 Prozent schätzen die wirtschaftliche Lage in Deutschland als gut ein, die deutliche Mehrheit (83 Prozent) halten sie für weniger gut oder schlecht. So kritisch wurde die Lage zuletzt zur Eurokrise Ende der 2000er-Jahre eingeschätzt.
Und auch der Blick in die wirtschaftliche Zukunft ist pessimistisch: 15 Prozent glauben, dass es in einem Jahr besser wird als heute; die Hälfte (47 Prozent) meint, es wird etwa gleich (schlecht) bleiben und 35 Prozent meinen sogar, dass es in einem Jahr schlechter wird, als es aktuell ist.
Die Wahrnehmung der Probleme hat sich in den vergangenen vier Jahren stark verschoben. Das Thema Zuwanderung wird weiterhin als drängendes Thema gesehen, der Klimaschutz hat deutlich an Bedeutung verloren.
Die größte Veränderung gibt es aber bei der Wirtschaft: Seit April 2023 wird dies zunehmend als Problem wahrgenommen. Im August des gleichen Jahres war es auf der Themenagenda dann erstmals auf Platz eins, ebbte danach wieder etwas ab und wird in diesem Monat erneut am häufigsten als das Problem genannt, das eine neue Bundesregierung nach der Wahl angehen muss. 45 Prozent (+38 im Vergleich zu September 2021) nennen dies als wichtigstes oder zweitwichtigstes Problem.
Darauf folgt das Themenfeld Flüchtlings- und Asylpolitik (23 Prozent, +1), an dritter Stelle werden bewaffnete Konflikte, Frieden, Außenpolitik genannt (18 Prozent), danach folgen Umweltschutz/Klimawandel (12 Prozent, -21) und soziale Ungerechtigkeit, Armut, Bürgergeld (11 Prozent, -5).
Union kann mit Wirtschaftskompetenz punkten
Für die Wählerinnen und Wähler wird bei der kommenden Bundestagswahl mitentscheidend sein, welche Partei überzeugende Ideen dafür hat, wie der Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert werden kann, die Inflation beherrschbar bleibt und der eigene Lebensstandard nicht sinkt.
Historisch betrachtet werden diese Kompetenzen der CDU zugeschrieben - und auch aktuell scheint sich dieses Urteil unter dem Vorsitzenden Friedrich Merz zu verfestigen: 37 Prozent trauen CDU/CSU aktuell am ehesten zu, die Wirtschaft im Land voranzubringen - mehr als jeder anderen Partei. In dem Bereich erzielt sie einen Kompetenz-Zugewinn im Vergleich zu September 2021.
Aber auch in allen anderen abgefragten Politikfeldern wird der Union aktuell mehr Kompetenz zugesprochen als noch 2021, während der SPD auf allen Feldern - mit Ausnahme der Verteidigungspolitik - weniger zugetraut wird als bei der letzten Bundestagswahl.
Bei den Grünen fällt die Bilanz gemischt aus: Während der Partei in der Außenpolitik etwas mehr zugetraut wird, büßt sie vor allem in der Klima und Umweltpolitik sowie der Asyl- und Flüchtlingspolitik deutlich ein. Die FDP ist durchgehend mit Kompetenzverlusten konfrontiert.
Die AfD gewinnt auf allen Politikfeldern an Vertrauen der Wählerschaft hinzu und erlangt vor allem bei den Jüngeren auf einigen Feldern Spitzenwerte: Unter den 18- bis 34-Jährigen trauen bei der Altersvorsorge, der Steuer- als auch bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik die meisten der AfD zu, diese Aufgaben zu lösen.
Die Erwartungen an die Linken fallen in der Sozialpolitik nochmals geringer aus als zur letzten Bundestagswahl. Dem Bündnis Sahra Wagenknecht wird am ehesten Kompetenz in der Russland- und Ukraine-Politik attestiert.
Veränderungswunsch auf neuem Hoch
Insgesamt werden die anstehenden Aufgaben als so gravierend und vielschichtig begriffen, dass eine Zäsur herbeigesehnt wird, wobei Uneinigkeit herrscht, wie weitreichend diese sein soll. Mittlerweile sieht rund die Hälfte (48 Prozent) den Bedarf an einem grundlegenden Wandel in Deutschland (+8 im Vergleich zu September 2021); weitere 46 Prozent sprechen sich für einige Kurskorrekturen aus (-5) und nur 3 Prozent (-3) meinen, es soll so bleiben wie es ist.
Als Veränderungsfelder werden von den Bürgern vor allem Wirtschaft und Zuwanderung hervorgehoben. Das letzte Mal, dass sich eine Mehrheit der Deutschen für grundlegende Reformen im Land ausgesprochen hatte, war im September 2005, als Angela Merkel (CDU) nach sieben Jahren der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder zur Bundeskanzlerin gewählt wurde. Die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik war zum damaligen Zeitpunkt auf einem Rekordhoch seit der Wiedervereinigung und mit 13,0 Prozent in etwa doppelt so hoch wie heute.
Zutrauen in Personen weiter niedrig
Die Kandidaten für die aktuelle Bundestagswahl im Februar sehen sich durch die Bank mit niedrigen Zustimmungswerten konfrontiert: Mit der Arbeit von Friedrich Merz zeigen sich 30 Prozent zufrieden, mit Robert Habeck von den Grünen 29 Prozent, mit SPD-Kanzler Olaf Scholz 23 Prozent. Über Alice Weidel äußern sich 21 Prozent zufrieden, mit Sahra Wagenknecht (BSW) und Christian Lindner (FDP) jeweils 20 Prozent.
Die Union ist weiterhin klar stärkste Kraft in der Sonntagsfrage: Bei einem Wahlgang zum jetzigen Zeitpunkt käme die Union auf 32 Prozent (-1 im Vgl. zu Mitte November), die AfD auf 18 Prozent (-1). Die Sozialdemokraten könnten mit 16 Prozent (+2), die Grünen mit 14 (+-0) Prozent rechnen. Das BSW müsste derzeit mit 5 Prozent (-1) um den Parlamentseinzug kämpfen, während FDP mit 4 Prozent und Linke mit 3 Prozent weiterhin an der Mandatsschwelle scheitern würden - wie auch alle übrigen Parteien.
Erhebungsmethode: Zufallsbasierte Online- und Telefon-Befragung (davon 60 Prozent Festnetz, 40 Prozent Mobilfunk)
Erhebungszeitraum: 02. bis 04. Dezember 2024
Fallzahl: 1.307 Befragte (774 Telefoninterviews und 533 Online-Interviews)
Gewichtung: nach soziodemographischen Merkmalen und Rückerinnerung Wahlverhalten
Schwankungsbreite: 2 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 10 Prozent, 3 Prozentpunkte bei einem Anteilswert von 50 Prozent
Durchführendes Institut: infratest dimap
Die Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden. Denn für alle repräsentativen Befragungen müssen Schwankungsbreiten berücksichtigt werden. Diese betragen im Falle einer Erhebung mit 1.000 Befragten bei großen Parteien rund drei Prozentpunkte, bei kleineren Parteien etwa einen Punkt. Hinzu kommt, dass der Rundungsfehler für kleine Parteien erheblich ist. Aus diesen Gründen wird keine Partei unter drei Prozent in der Sonntagsfrage ausgewiesen.