Nach Mord an Lübcke Neue Morddrohungen gegen Politiker
Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten sind bei mehreren Politikern Morddrohungen eingegangen - auch bei solchen, die selbst schon mal angegriffen wurden. In der Politik wird über eine Mitverantwortung der AfD diskutiert.
Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke haben die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein, Morddrohungen erhalten. Beide Politiker waren in der Vergangenheit bereits Opfer von Angriffen. Auch bei anderen Politikern gingen neue Drohungen ein.
Die Polizei in Köln bestätigte eine Drohung gegen Reker - ohne weitere Details zu nennen. Der WDR berichtet, die Drohung habe offenbar einen rechtsextremen Hintergrund und stehe im Zusammenhang mit dem Fall Lübcke. Ein Kölner Polizeisprecher äußerte sich dazu nicht konkret. Zuständig sei zentral das Landeskriminalamt Berlin, da neben Reker auch andere Politiker Drohungen erhalten hätten.
Reker-Attentäter wollte Zeichen setzen
Reker war 2015 an einem Wahlkampfstand von einem Rechtsradikalen mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt worden. Der Täter wurde wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu 14 Jahren Haft verurteilt.
Er wollte nach Einschätzung des Gerichts ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung setzen. Reker war in ihrer früheren Position als Sozialdezernentin für die Unterbringung von Flüchtlingen in Köln zuständig.
Reker war an einem Wahlkampfstand angegriffen worden. Dieses Bild zeigt den Tatort kurz danach.
Drohung zwei Tage nach Festnahme in Fall Lübcke
Auch der Bürgermeister von Altena, einer Kleinstadt im Sauerland, war mit einem Messer angegriffen worden. "Ich steche dich ab. Mich lässt du verdursten, aber holst 200 Ausländer in die Stadt", sagte der Täter bei seinem Angriff auf Hollstein 2017 in einem Imbiss. Der CDU-Politiker wurde leicht verletzt, der Täter lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Hollstein bestätigte, dass er seitdem immer wieder Morddrohungen erhalten habe - zuletzt am Dienstag, also zwei Tage nachdem bekannt geworden war, dass für den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke ein Rechtsradikaler als dringend tatverdächtig gilt.
Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni mit einer Schussverletzung am Kopf auf der Terrasse seines Wohnhauses im hessischen Wolfhagen-Istha entdeckt worden und wenig später gestorben. Am Wochenende wurde der mutmaßliche Rechtsextremist Stephan E. in Untersuchungshaft genommen. Die ermittelnde Bundesanwaltschaft stuft den Mord als politisches Attentat mit rechtsextremem Hintergrund ein.
Steinmeier: Aufklärung entscheidet über Vertrauen in Rechtsstaat
Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien forderten eine rasche Aufklärung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte gestern beim Evangelischen Kirchentag in Dortmund, das Verbrechen müsse "umfassend und schnellstmöglich aufgeklärt werden". Das entscheide auch "über Vertrauen in unseren Rechtsstaat und Vertrauen in unsere Demokratie".
Der Bundespräsident fügte an, Kommunalpolitiker seien diejenigen, "die die Kärrnerarbeit unserer Demokratie leisten". Sie verdienten "nicht nur unser Vertrauen, sie verdienen Respekt, und sie verdienen vor allem Schutz vor jeder Form von Herabwürdigung, Hetze und roher Gewalt."
Bundespräsident Steinmeier sprach beim Evangelischen Kirchentag auch über den Fall Lübcke und die Drohungen gegen Politiker.
AfD verurteilt extremistische Gewalt "in jeglicher Form"
Auch die AfD forderte Aufklärung. Man verurteile "extremistische Gewalt in jeglicher Form aufs schärfste", heißt es in einer Erklärung auf der Internetseite der Partei zum Fall Lübcke. Dabei sei es "vollkommen egal, ob es sich hierbei um rechts- oder linksextremen oder islamistischen Terror" handele.
Die AfD sieht sich allerdings von mehreren Seiten mit dem Vorwurf konfrontiert, durch ihre Politik eine Mitverantwortung für Gewalt gegen Politiker zu tragen. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, am Fall Lübcke zeige sich, "wie Entgrenzung auch von Sprache, wie Hass und Hetze, wie sie auch von der AfD und von Verantwortlichen der AfD betrieben wird, Hemmschwellen so absenkt, dass sie augenscheinlich in pure Gewalt umschlagen".
Bischof: AfD muss Verhältnis zum Rechtsextremismus klären
Ähnlich äußerte sich die SPD-Politikerin Hilde Mattheis: "Die Grundlage für solche Gewalt legen rechte Brandstifter, die wieder in den Parlamenten sitzen und mit Worten zu Hass und Hetze aufstacheln". Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, forderte die AfD auf, dass sie spätestens jetzt "ihr Verhältnis zum Rechtsextremismus klärt". Auch Sympathisanten der AfD müssten sich im Klaren sein, dass sie "Rechtsextremen Deckung geben".
Steinbach: AfD soll stigmatisiert werden
Eine Rolle spielt dabei auch die frühere CDU-Politikerin Erika Steinbach, die heute Vorsitzende einer AfD-nahen Stiftung ist. Sie hatte im Februar einen Tweet mit Kritik an Lübcke veröffentlicht. In den Kommentaren dazu hatte es Drohungen und Beleidigungen gegen Lübcke gegeben, die Steinbach unkommentiert stehen ließ. Im Deutschlandfunk räumte sie jetzt ein, dass der Tweet sehr viele hasserfüllte und "extreme" Kommentare nach sich gezogen habe. Sie sei für die Reaktionen auf ihren Tweet aber nicht verantwortlich. Sie hatte den Tweet später wieder gelöscht.
Bei Facebook ist ein entsprechendes Posting allerdings noch online, der Konzern löschte nach eigenen Angaben aber Drohungen gegen Lübcke, die darunter veröffentlicht worden waren.
Steinbach erhob ihrerseits Vorwürfe gegen die CDU. Politische Kräfte seien wegen der bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg offenbar in Panik und versuchten, AfD-Anhänger zu stigmatisieren und mundtot zu machen. Zuvor hatte der CDU-Politiker Peter Tauber seine frühere Parteikollegin konkret angegriffen. Steinbach gehöre zu den Politikern, die "durch eine Sprache, die enthemmt und zur Gewalt führt" Mitschuld am Tod Lübckes habe.