Debatte über Privatisierung von Endlagern "Der Widerstand wäre ausgehebelt worden"
Der Rückzug erfolgte schnell: Nun soll doch das Bundesamt für Strahlenschutz für das geplante Endlager Gorleben zuständig bleiben. Welchen Vorteil aber hätte eine Privatisierung des Baus für die Regierung gehabt? Darüber sprach tagesschau.de mit dem ARD-Korrespondenten Hans Jessen.
tagesschau.de: Warum hat die Regierung erwogen, den Bau eines Endlagers an einen privaten Anbieter zu vergeben?
Hans Jessen: Der Plan hatte Charme für die Regierung. Wenn der Betrieb von atomaren Endlagern tatsächlich privatisiert worden wäre, dann hätte sie das Bundesamt für Strahlenschutz umgehen können. Und damit wäre auch kritischer Widerstand gegen den Bau eines Endlagers ausgehebelt worden.
tagesschau.de: Was sprach denn dagegen, dem Bundesamt für Strahlenschutz die Hoheit zu belassen?
Jessen: Das Amt wurde vor 20 Jahren gegründet und ist dem Umweltministerium unterstellt. In seinen ersten Jahren war es mehrheitlich atomfreundlich. Durch Umbesetzungen auch an der Spitze ist das Bundesamt dann eher zu einer atomkritischen Institution geworden. Im Moment hat es als Betreiber immer die Möglichkeit einer kritischen Sicht auf die Dinge. Das ist für diejenigen, die einen zügigen Ausbau Gorlebens wollen, ein Hemmschuh.
Ohne Beteiligung der Öffentlichkeit
tagesschau.de: Ist nicht die gesamte Neufassung des Atomgesetzes von dem Ziel geprägt, den Ausbau rasch voranzutreiben und Einspruchmöglichkeiten weitestgehend auszuschalten?
Jessen: In der Tat sehen die Pläne für die Neufassung des Gesetzes vor, wieder Enteignungen zu ermöglichen - diese Möglichkeit gab es früher schon einmal, ist dann aber ausgesetzt worden. Der Grund dafür ist: Im Moment sieht es so aus, dass in Gorleben Salzrechte existieren. Das bedeutet, dass die Eigentümer von oberirdischem Grund und Boden auch die Rechte am Salzstock haben. Wenn sie nicht zustimmen, dass der Salzstock erkundet wird, kann das auch nicht geschehen. Diesem Problem könnte man Herr werden, wenn man die Eigentümer enteignet. Dazu passt auch, dass die weitere Erkundung von Gorleben nach dem Bergrecht durchgeführt wird. Dieses Recht stammt noch aus den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Es bedeutet, dass die Öffentlichkeit an der Erkundung nicht beteiligt wird. Auch das ist ein Weg, eine kritische, öffentliche Beteiligung zu vermeiden.
tagesschau.de: Die Abtretung von hoheitlichen Aufgaben ist ja nichts Neues, wenn man etwa an den TÜV denkt. Warum soll das nicht auch beim Bau eines Endlagers möglich sein?
Jessen: Formalrechtlich kann man das so sehen. Es ist aber ein Unterschied, ob es um die Betriebssicherheit eines Autos für zwei Jahre oder um den sorgsamen Umgang mit Material geht, das tausende Jahre strahlen und ein Risiko darstellen wird. Soll man das in die Hand derjenigen geben, die den Müll auch produzieren? Oder wäre es nicht besser, wenn eine möglichst neutrale und dem Gemeinwohl verpflichtete Institution - also der Staat selbst - Aufsicht und Betrieb in der Hand hielte?
Viel Müll, spezielle Interessen
tagesschau.de: Welche Unternehmen wären für einen solchen Auftrag in Betracht gekommen?
Jessen: Nach derzeitigem Kenntnisstand wären das die Energiewerke Nord (EWN) gewesen. Sie sind aus der Kernenergiewirtschaft der DDR hervorgegangen und beschäftigen sich vor allem mit dem Rückbau alter Kernanlagen wie etwa dem AKW Greifswald. Sie haben aber keine Erfahrung mit der Deponierung von Strahlenmüll. Sie besitzen hingegen viel Müll und haben deshalb ein Interesse an einer schnellen Endlagerung. Dieses Unternehmen gehört zu 100 Prozent dem Bund. Das machte diese Lösung so elegant. Man hätte dann argumentieren können, dass gar nicht die Privatwirtschaft ins Spiel kommt, sondern ein reines Bundesunternehmen, das auch dem Gemeinwohl verpflichtet ist.
tagesschau.de: Das Unternehmen EWN war ja auch an der Einlagerung von radioaktivem Müll im maroden Endlager Asse beteiligt. Sprach das für oder gegen das Unternehmen?
Jessen: Das führt natürlich zu der Frage, ob ausgerechnet diejenigen, die bei der Asse schmutzige Geschäfte mitgemacht haben, als Sanierer resozialisiert werden sollten. Das sahen viele Kritiker skeptisch.
An der Spitze der Bewegung
tagesschau.de: Umweltminister Röttgen hat sich über den Sommer eher atomkritisch gegeben. Nun drückt sein Ministerium mit der Atomnovelle aufs Tempo - wie erklären Sie sich das?
Jessen: Das ist schwer zu bewerten. Bei Röttgen mischt sich gewiss fachliches Interesse mit persönlichem Ehrgeiz. Er gilt ja als eines der Nachwuchstalente der CDU. Röttgen weiß, dass die Frage nach der Energiesicherheit eine der Fragen ist, die auch über das Wohl und Wehe von politischen Parteien mitentscheidet. Deswegen hat er früher als andere in der Union erkannt, dass es der CDU/CSU nicht nützen würde, wenn sie sich ewig an die Kernenergie bindet. Man darf voraussetzen, dass er davon überzeugt war, dass es sinnvoll ist, wenn der Ausstieg aus der Kernenergie nicht zu weit hinausgeschoben wird. Er hat auch versucht, das zu propagieren. Auch durch taktische Fehler musste er erkennen, dass der Widerstand gegen seinen moderaten Kurs im Regierungslager sehr hoch war. Es ist dann auch mit Zustimmung der Kanzlerin ein anderer Kurs beschlossen worden, und da hat sich Röttgen wohl gesagt: 'Wenn ich den nicht verhindern kann, setze ich mich an die Spitze der Bewegung'. Da geht es auch um sein politisches Überleben.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de