EUGH zur Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen Wohnsitzauflagen nur eingeschränkt möglich

Stand: 01.03.2016 17:38 Uhr

Normalerweise dürfen EU-Länder die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen nicht einschränken, so der EuGH. Die Richter sehen aber auch Ausnahmen. Wenn wichtige Gründe vorliegen, können Behörden Flüchtlingen einen Wohnort vorschreiben.

Flüchtlinge dürfen in Ländern der Europäischen Union nicht ohne Weiteres in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. Nur wenn schwerwiegende übergeordnete Gründe vorliegen, kann dies unter Umständen zulässig sein. So lässt sich das Urteil des EuGH über die sogenannte "Wohnsitzauflage" zusammenfassen.


Die Luxemburger Richter hatten über die Fälle Ibrahim Allo und  Amira Osso zu entscheiden. Vor mehr als 14 Jahren hatten der Mann und die Frau aus Syrien in Deutschland Schutz gesucht. Statt Asyl hatten ihnen die Behörden aber nur den schwächeren, "subsidiären Schutz" zuerkannt. Weil beide Sozialhilfe beziehen, durften sie ihren Wohnort gemäß deutschem Recht nicht frei wählen. Laut EuGH-Präsident Koen Lenaerts ein Verstoß gegen die einschlägige EU-Richtlinie 2011/95.

Begründet wird die sogenannte "Wohnsitzauflage" im Allgemeinen damit, dass der Staat die Kosten für Sozialleistungen angemessen auf die Kommunen verteilen und der Bildung "sozialer Brennpunkte" vorbeugen müsse. Gegen diese Vorschrift hatten die beiden Syrer geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte den EuGH um Klarstellung gebeten. Nach dem heutigen Urteil muss das BVG in Leipzig nun prüfen, ob das Verbot der freien Wohnsitzwahl verhältnismäßig war.

Gleiche Regeln für alle?

In ihrer Entscheidung betonen die Luxemburger Richter, dass nach geltendem EU-Recht Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz generell die gleiche Freizügigkeit genießen wie jeder andere Nicht-EU-Bürger, der sich rechtmäßig in einem Mitgliedsland aufhält. Zum Beispiel ein anerkannter Asylbewerber.

Eine Ungleichbehandlung verstößt nach Meinung des EuGH im Übrigen auch gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot. Denn, so das Gericht, es sei nicht ersichtlich, weshalb subsidiär Schutzbedürftige schwieriger zu integrieren seien als Flüchtlinge, die sich aufgrund der Genfer Konvention oder als Asylberechtigte nach dem Grundgesetz in Deutschland aufhalten. Für diesen Personenkreis gelte die Wohnsitzauflage schließlich nicht.

Ausnahmen sind erlaubt

In Ausnahmefällen freilich können die Behörden von diesem Grundsatz abweichen, etwa wenn übergeordnete Interessen des Staates, dies erforderlich machten. Vor allem dann, wenn entsprechende Auflagen mit dem Ziel erteilt würden,

Vor diesem Hintergrund erkennt der EuGH durchaus an, dass "Ortsveränderungen von Empfängern sozialer Leistungen oder ihre ungleiche Konzentration im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates" zu Problemen führen könnten. Außerdem hält das Gericht eine Wohnsitzauflage für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus dann für rechtens, wenn zum Beispiel ein geeigneter Sprachkurs nur in einem bestimmten Ort zur Verfügung steht. In einem solchen Fall müsste die Einschränkung unter Umständen aber auch für einen Ausländer mit längerfristigem Aufenthaltsrecht gelten, der ebenfalls Sozialhilfe erhält.

Möglichkeit für neue Regelungen?

Nicht nur am Bundesverwaltungsgericht, auch im Innenministerium und im Bundesamt für Migration dürfte das Urteil aufmerksam gelesen werden. Angesichts des nach wie vor starken Andrangs von Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan denkt die schwarz-rote Koalition darüber nach, die umstrittene Wohnsitzauflage auf anerkannte Flüchtlinge auszuweiten. Bislang können sie ihren Wohnsitz in Deutschland frei wählen. Die juristischen Hürden sind allerdings hoch: So ist die freie Wahl des Aufenthaltsorts nicht nur im EU-Recht ein besonders geschütztes Gut. Auch in der Genfer Flüchtlingskonvention ist sie ausdrücklich festgeschrieben.

Holger Romann, H. Romann, BR Brüssel, 01.03.2016 16:19 Uhr