Krankheit und Geschlecht Frauen brauchen andere Medizin als Männer
Lange ging die Medizin davon aus, dass Erkrankungen geschlechtsneutral ablaufen. Medikamente wurden vor allem an Männern getestet. Warum das falsch ist, erklärt Medizinjournalistin Daniela Remus im Interview mit tagesschau24.
Eine Krankheit, ein Medikament - egal für wen. Nach diesem Motto arbeitete die Medizin lange. Arzneimittelstudien, die Berechnung von Impfdosen oder die Suche nach Krankheitsursachen wurden in der Regel immer an Männern durchgeführt. Studien der vergangenen Jahre aber zeigen, dass dieser Ansatz nicht zielführend ist. Männer und Frauen sind biologisch verschieden und erkranken deshalb auch unterschiedlich.
tagesschau24: Woher kommen die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Krankheiten?
Daniela Remus: Ein Grund dafür ist, dass das Verhalten von Männern und Frauen, wenn man das geschlechtsstereotypisch betrachtet, unterschiedlich ist. Zwei Beispiele: Männer erkranken, was Infektionskrankheiten angeht, sehr viel öfter an Geschlechtskrankheiten. Das führt man darauf zurück, dass Männer schlichtweg ein anderes Verhalten haben als Frauen; dass sie häufiger wechselnde Geschlechtspartner haben und seltener verhüten.
Und der andere Punkt ist, dass Frauen sehr viel häufiger an Darmerkrankungen leiden. Das führt man darauf zurück, dass Frauen viel mehr Kontakt mit Kindern haben oder mit alten Menschen, weil sie die pflegen. Das heißt, die Rollenbilder, sofern man in dieser Rollenverhaftung noch lebt, haben ganz häufig auch Auswirkungen auf Krankheiten.
tagesschau24: Welche Rolle spielen hormonelle und genetische Unterschiede?
Daniela Remus: Das ist relativ neues Wissen. Die Forschung dazu erstreckt sich auf die vergangenen fünf Jahre. Man hat festgestellt - und das war ganz lange unbekannt, dass die Immunsysteme der Männer und der Frauen unterschiedlich reagieren. Das liegt daran, dass auf den Immunzellen Rezeptoren sitzen, die Geschlechtshormone binden können. Man hat festgestellt, wenn viel Östrogen gebunden wird, reagiert das Immunsystem sehr viel stärker. Das Testosteron, das männliche Geschlechtshormon, dämpft das Immunsystem eher und fährt alles ein bisschen runter.
tagesschau24: Kann man schon Schlüsse ziehen, was die Erkenntnisse für die Erkrankungen von Männern und Frauen bedeuten?
Daniela Remus: Man sieht, dass es in den Krankheitsanfälligkeiten wirklich Unterschiede gibt. Man kann zum Beispiel sehen, dass Frauen seltener an Infektionskrankheiten wie saisonaler Grippe erkranken. Männer erwischt es viel häufiger.
Aber wenn es Frauen erwischt, dann reagiert das Immunsystem auch sehr heftig und das kann vermehrt zu Komplikationen und Schwierigkeiten führen. Aus diesem Grund sind Autoimmunkrankheiten auch häufiger bei Frauen zu finden. Man vermutet, es liegt am Immunsystem, das eine Art Überrepräsentanz haben kann.
tagesschau24: Wie akzeptiert sind die Erkenntnisse bei Forschern, Ärzten und der Pharmaindustrie?
Daniela Remus: Das ist sehr unterschiedlich. Aber die Forschung macht sich auf den Weg. Es gibt zum Beispiel Vereinbarungen, dass man sagt: Wenn Arzneimittel getestet werden, dann muss auf jeden Fall festgehalten werden, ob man männliche oder weibliche Teilnehmer testet und was das für Konsequenzen hat, weil das nicht immer in einen Topf zu werfen ist.