Zwei Züge begegnen sich im Mittelrheintal bei Assmannshausen im Rheingau

Gesetz im Bundestag Weniger Schienenlärm auch fürs Mittelrheintal?

Stand: 27.06.2024 16:29 Uhr

Mehr als 400 Güterzüge rattern pro Tag durchs enge Mittelrheintal. Bürgerinitiativen kämpfen seit Jahrzehnten gegen den Lärm. Was erwarten sie vom "Schienenlärmschutzgesetz", das heute im Bundestag verabschiedet wird?

Malerisch ist es, das Mittelrheintal, Wälder und Weinberge auf steilen Hängen säumen den Flusslauf, stolze Burgen zeugen von vergangenen Zeiten, und nicht nur um den Loreleyfelsen ranken sich Sagen und Legenden. Traumhaft schön könnte das sein, liefen da nicht rechts und links des Rheins Gleise. Auf denen donnern tagein, tagaus Personen- und vor allem Güterzüge durchs enge Tal: ein Alptraum für die Anwohner.

Eine der wichtigsten Verkehrsachsen Europas

In den kleinen Ortschaften trennen oft nur wenige Meter die Häuser und Gärten vom Bahnverkehr. Die Strecke ist eine der wichtigsten europäischen Verkehrsachsen - und eine der am meisten befahrenen. Mehr als 400 Güterzüge sind es innerhalb von 24 Stunden, haben Bürgerinitiativen gezählt. Die Waggons rattern vor allem nachts, wenn Strecken frei sind, mit bis zu 100 Kilometern pro Stunde über die Gleise.

"110 Dezibel laut, das entspricht einem Presslufthammer, dazu die Erschütterungen - das macht die Menschen krank", schimpft Willi Pusch, Vorsitzender der Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Bahnlärm. "Seit mehr als zwei Jahrzehnten kämpfen wir dafür, dass sich das bessert. Passiert ist wenig."

Lärmschutz könnte so einfach sein

Dabei haben Bund und Bahn durchaus Maßnahmen ergriffen: Bis 2028 sollen in 20 Kommunen zwischen Leutesdorf im Norden von Rheinland-Pfalz und Wiesbaden zusätzliche Lärmschutzwände gebaut werden. 130 Millionen Euro kostet das, finanziert vom Bund und den Ländern Rheinland-Pfalz und Hessen. Durch das Verbot alter Güterzüge mit alten, lauten Bremsen soll außerdem Lärm reduziert werden - das sieht steht im Schienenlärmschutzgesetz.

"Augenwischerei" nennt das Frank Groß von der Bürgerinitiative Pro Rheintal. "Sogenannte Flüsterbremsen machen aus 40, 50 Jahre alten Waggons noch lange keine leisen Fahrzeuge. Veraltete Technik erzeugt bei diesen Geschwindigkeiten brutalen Lärm. Das einzige, was wirklich helfen würde: ein Tempolimit auf 50 Stundenkilometer für Güterzüge."

Frank Groß

Frank Groß von der Bürgerinitiative Pro Rheintal plädiert für ein Tempolimit.

10.000 Menschen haben vor wenigen Tagen eine Initiative mit dieser Forderung unterschrieben. Die Fahrzeit für Züge auf der Strecke Genua-Rotterdam würde sich im Mittelrheintal damit um gerade mal zwölf Minuten verlängern, haben die Bürgerinitiativen ausgerechnet - aus ihrer Sicht ein Klacks.

Doch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der sich in seiner Zeit als rheinland-pfälzischer Verkehrsminister noch stark für die Belange der Mittelrheintalbewohner machte, hat der Forderung nach dem Tempolimit schon vor mehr als einem Jahr eine Absage erteilt.

Auf Anfrage teilte ein Sprecher des Ministeriums mit: "Nach derzeit geltendem Recht kann nur der Betreiber der Eisenbahninfrastruktur die Geschwindigkeit von Zügen festlegen." Der Wunsch nach einer Geschwindigkeitsbeschränkung für den Schienengüterverkehr sei verständlich, "jedoch würde dies seine Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen und die Position als klimafreundlicher Verkehrsträger im Wettbewerb mit der Straße deutlich schwächen".

 

Könnte ein Tunnel eine Alternative sein?

Kein Tempolimit, zu laute Züge - eine verfahrene Situation. Die Forderung nach einer Alternativstrecke, idealerweise in Form eines Eisenbahntunnels für den Güterverkehr, ist so alt wie der Protest gegen den Bahnlärm. "Andere Länder haben doch vorgemacht, dass das geht, schauen wir nur in die Schweiz", bekräftigt Willi Pusch von der Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Bahnlärm.

Seine Vorstellung: Ein System von 108 Kilometern Länge mit einer Steigung von einem Prozent. Das spare 40 Kilometer Wegstrecke, weil man die ganzen Kurven im Mittelrheintal nicht mehr fahren müsste.

"Man kann die doppelte Menge an Waren transportieren, und man kann Geschwindigkeiten bis 160 km/h fahren", so Pusch. "Das könnte innerhalb von 15 Jahren realisiert werden. Und davon würde auch der Personenverkehr in der Region profitieren, der Tourismus, weil die Züge wieder freie Strecke hätten und pünktlich wären."

Willi Pusch

Willi Pusch von der Bürgerinitiative im Mittelrheintal setzt sich für eine andere Streckenführung ein.

Ganz anders dagegen die Auffassung von Frank Groß des Bürgernetzwerks Pro Rheintal: "Davon zu fabulieren, den Menschen Hoffnungen zu machen ist haushaltspolitischer Humbug und unseriös. Aus Lärmschutzgründen, und das ist ausschlaggebend, wäre so etwas niemals genehmigungsfähig."

Auf die Frage, wie es um die Alternativstrecken steht, antwortet das Bundesverkehrsministerium: "Das BMDV hat im Jahr 2019 für eine rechtsrheinische Neubaustrecke eine vertiefende Machbarkeitsstudie beauftragt." Unter Berücksichtigung des aktuellen Verkehrsaufkommens konnte das Ministerium nach eigenen Angaben noch kein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis feststellen.

"Das BMDV wird auf Basis künftiger Verkehrsprognosen die Entwicklung im Blick behalten und die Methodik der Bundesverkehrswegeplanung kontinuierlich an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse anpassen", so das Ministerium. "Bis eine wirtschaftlich tragfähige Lösung vorliegt, wird das BMDV weiterhin erhebliche finanzielle Mittel in den Lärmschutz investieren, um die Lärmbelastung für Anwohnerinnen und Anwohner entlang des Mittelrheins weiter zu verringern."

 

Streckenausbau sorgt für mehr Stress

Doch den lärmgeplagten Anwohnern der Bahnstrecken im Mittelrheintal droht darüber hinaus neues Ungemach. Die Politik will mehr Güter von der Straße auf die Schiene bringen, dafür sollen von 2025 an 750 Kilometer Gleise pro Jahr saniert werden. Die Strecke zwischen Wiesbaden und Koblenz wird zu einem sogenannten Hochleistungskorridor ausgebaut. Im Klartext: zu einer Rennstrecke für Güterwaggons.

Bis zu 1.000 Züge könnten dann täglich durch das Tal rattern, dank neuer Betriebstechnik in kürzeren Abständen, aber - so ist der Plan jetzt - nicht leiser als bisher. Willi Pusch von der Bürgerinitiative sagt dazu: "Noch mehr Lärm, noch mehr Erschütterungen, das ist absolut unzumutbar! Hier wird seit Jahrzehnten Flickschusterei betrieben, egal, welche Partei regiert. Ein paar neue Weichen, ein bisschen Digitalisierung, das wird nicht reichen."

Der Lärm im Mittelrheintal und der Krach zwischen Betroffenen und der Politik - trotz Schienenlärmschutzgesetz wird er wohl bleiben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 10. Dezember 2020 um 17:13 Uhr.