Berichterstattung über Nahost-Krieg Wenig Vertrauen in deutsche Medien
Fast jeder Zweite hat wenig oder gar kein Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zum Krieg in Nahost, zeigt eine ZAPP-Umfrage. Woher kommt das Misstrauen?
Seit fast 11 Monaten herrscht Krieg in Gaza und Israel, seit fast 11 Monaten berichten Medien darüber, und seit fast 11 Monaten werden Medien für ihre Berichte immer wieder kritisiert. Eine Kritik ist dabei besonders laut: Deutsche Medien würden einseitig berichten, und zwar zugunsten Israels. Verlieren die deutschen Medien also gerade wichtiges Vertrauen?
Das NDR-Medienmagazin ZAPP hat bei Infratest Dimap dazu eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: 40 Prozent aller Befragten haben sehr viel oder viel Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zum Krieg in Gaza und Israel. Aber 48 Prozent, also fast jeder Zweite, hat wenig oder gar kein Vertrauen.
Auch Ausgewogenheit wird in Zweifel gezogen
"Das ist ziemlich viel für eine Umfrage zum Medienvertrauen, die repräsentativ angelegt ist", sagt Carola Richter. Sie ist Professorin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin, forscht dort unter anderem zum Thema Auslandsberichterstattung. Normalerweise gebe es immer ein gewisses Grundvertrauen in die Berichterstattung klassischer Medien: "Insofern ist das hier schon ein sehr bezeichnender Befund."
ARD-Chefredakteur Oliver Köhr findet die Zahlen erschreckend - auch wenn er betont, dass deutsche Medien als Ganzes beurteilt wurden, nicht allein der öffentlich-rechtliche Rundfunk. "Insgesamt ist es aber tatsächlich beängstigend, dass so viele Menschen kein Vertrauen in die Berichterstattung haben."
Ein weiteres Ergebnis der ZAPP-Umfrage: 38 Prozent der Befragten nehmen die Berichterstattung zum Krieg als ausgewogen wahr. Aber 31 Prozent finden, deutsche Medien ergriffen zu sehr Partei für Israel. Nur 5 Prozent der Befragten sehen eine zu starke Parteinahme für die palästinensische Seite. 26 Prozent können oder wollen keine Angaben machen.
Zu wenig palästinensische Perspektiven?
Dass fast ein Drittel eine Parteinahme für Israel empfindet, ist aus der Sicht von Kommunikationswissenschaftlerin Richter ein hoher und ungewöhnlicher Wert. Normalerweise würden mehr Menschen die Berichterstattung als ausgewogen wahrnehmen, da unterschiedliche Medien unterschiedliche Positionen vertreten.
ARD-Chefredakteur Köhr vermutet verschiedene Gründe für diesen Eindruck: "Einer mag auch sein, dass in diesem Konflikt sehr viele Menschen nach meinem Eindruck sehr fest auf einer Seite stehen." Deswegen sei es schwierig, in deren Augen objektiv zu berichten.
Wieso haben Menschen den Eindruck einer Unausgewogenheit zugunsten Israels? Ein Grund, der unter anderem in sozialen Medien immer wieder genannt wird: Palästinensische Perspektiven kämen in deutschen Medien zu wenig vor.
Um exemplarisch zu prüfen, ob dieser Eindruck stimmt, hat ZAPP sich alle Talkshows im Ersten und im ZDF angeschaut, die seit dem 7. Oktober bis Ende Juli gesendet wurden. In den 15 Talksendungen der ARD, die sich mit dem Krieg beschäftigten, gab es drei Gäste mit palästinensischem Hintergrund. Deutlich mehr, nämlich zehn Gäste, hatten die israelische Staatsangehörigkeit.
Auf die Frage, warum es bei den Talkshows so eine Unausgewogenheit gibt, entgegnet ARD-Chefredakteur Oliver Köhr: "Eigentlich kann ich mir das nicht vorstellen." Seiner Meinung nach würden die Talk-Redaktionen der ARD in aller Regel bei solchen Dingen auf Ausgewogenheit achten. "Eine deutliche Diskrepanz wäre mir aufgefallen."
In den Talkshows des ZDF ist das Bild ein anderes: In 30 Sendungen zum Krieg gibt es insgesamt acht Auftritte von Menschen mit palästinensischem Hintergrund, neun haben die israelische Staatsbürgerschaft.
Kritik an Berichterstattung über Uni-Proteste
Eine Sonderrolle bei der Berichterstattung über den Krieg in Gaza und Israel spielt der Axel-Springer Verlag. Zum Verlag gehören unter anderem die Zeitung und der Fernsehsender "Welt" sowie die "Bild", die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands.
Der Verlag hat eine eigene "Unternehmensverfassung", sie besteht aus fünf Grundsätzen. Einer davon: "Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel."
"Die Solidarität mit dem jüdischen Volk und das Existenzrecht Israels, das ist, glaube ich, etwas, was viele andere Medien auch unterschreiben würden", meint Carola Richter. Daraus leite Springer aber ab, dass man Palästinenser und alle, die sich kritisch gegenüber Israel äußern, "diskreditieren muss und dass man sozusagen dagegen dann auch anschreibt".
Ein prominentes und viel kritisiertes Beispiel aus dem Mai: Als sich Lehrkräfte von Berliner Unis gegen polizeiliche Räumungen von pro-palästinensischen Studierenden-Protesten aussprechen, schreibt die Bild polemisch über "die Universitäter" - inklusive Fotos und vollständige Namen der Lehrkräfte.
Der Springer-Verlag reagiert auf mehrere schriftliche Fragen von ZAPP lediglich mit einer pauschalen Antwort. Darin betont der Verlag, redaktionelle Unabhängigkeit sei eines seiner wichtigsten Prinzipien. "Zu dieser Unabhängigkeit gehört, dass die Redaktionen aus ihrer Sicht über die Politik der israelischen Regierung berichten, aber auch klar und deutlich über den Terrorangriff der Hamas und diesen relativierende antisemitische Aktivitäten."
Narrative der israelischen Armee
Ein weiterer Vorwurf der Kritiker der deutschen Nahost-Berichterstattung: Narrative der in Teilen rechtsextremen israelischen Regierung oder der Armee würden in deutschen Medien immer wieder unhinterfragt übernommen. Beispiele dafür gibt es tatsächlich - in Zeitungen, in Online-Medien und auch in der tagesschau.
Am 10. Juli ruft die israelische Armee alle Bewohner von Gaza-Stadt auf, den Ort zu verlassen. Am gleichen Tag ist in der tagesschau um 14 Uhr Laura Goudkamp aus Tel Aviv zugeschaltet. Auf die Frage, wohin die Zivilisten denn fliehen sollten, verweist sie zunächst darauf, dass das israelische Militär dazu Informationen an die Bevölkerung von Gaza-Stadt geben würde. Später behauptet sie: "Und auch durch Mund zu Mund kommt natürlich die Information an, wo die Menschen durch einen sicheren Korridor die Stadt verlassen können, um dort dann in den Ausläufen der Stadt in Schutzbunkern unterkommen zu können."
Soweit bekannt, gibt es in Gaza allerdings weder solche sicheren Fluchtkorridore noch Schutzbunker. Christian Limpert leitet das ARD-Studio in Tel Aviv, das inhaltlich für diese Schalte verantwortlich war. Er räumt ein: "Das ist ein Fehler, der so nicht passieren darf und der natürlich auch unseren Ruf als Studio massiv schädigt." Das Team des Studios bemühe sich jeden Tag um differenzierte und objektive Berichterstattung. Die tagesschau hatte den Fehler später korrigiert.
Richter beobachtet grundsätzlichen Trend
Es sind Beispiele wie diese, die in sozialen Netzwerken sofort geteilt werden, sich rasant verbreiten und Vertrauen kosten. Viele Menschen wenden sich schließlich ganz von traditionellen Medien ab und informieren sich nur noch über soziale Netzwerke. Die Berichterstattung von etablierten Medien nehmen sie dann oft nur noch wahr, wenn ein Account, dem sie folgen, diese Medien kritisiert. Ausgewogene Berichte bekommen so nicht dieselbe Aufmerksamkeit.
Kommunikationswissenschaftlerin Carola Richter beobachtet hier einen grundsätzlichen Trend: "Es zeichnet sich ab, dass es eine Form von Fragmentierung in der Bevölkerung geben wird und damit eben auch, dass dann unterschiedliche Perspektiven gar nicht mehr miteinander in Bezug kommen." Der Krieg in Israel und Gaza ist und bleibt eines der schwierigsten Themen für deutsche Medien.
Die Sendung zu diesem Thema sehen Sie um 23.15 Uhr im NDR-Fernsehen oder in der ARD-Mediathek.