Vergleichsstudie zu Jugendlichen "Klicken und wischen" statt digitaler Kompetenz
Nahezu alle Jugendlichen sind online unterwegs - doch kompetent mit digitaler Technik umgehen können viele nicht. Laut einer Studie verfügen rund 40 Prozent der Achtklässler nur über rudimentäre Fähigkeiten - ein steigender Wert.
Zugriff auf ein Tablet oder Smartphone haben mittlerweile fast 70 Prozent der Erstklässler - im Teenageralter sind nahezu alle online unterwegs. Doch wie gut können Jugendliche mit Smartphone und Tablet umgehen und digitale Medien reflektiert und auch produktiv nutzen? Dieser Frage ist die internationale Vergleichsstudie "International Computer and Information Literacy Study 2023" (ICILS) nachgegangen.
"Rudimentäre Fähigkeiten"
Demnach drohen deutsche Schülerinnen und Schüler den Anschluss zu verlieren: Die durchschnittlichen computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Achtklässlern in Deutschland sind im Vergleich zu den Vorgängeruntersuchungen von 2013 und 2018 deutlich rückläufig. Rund 40 Prozent der Achtklässler verfügen demnach nur über sehr "rudimentäre (...) Fähigkeiten im kompetenten Umgang" mit Computern. Dies ist nach Ansicht der Autoren ein besorgniserregend hoher Anteil.
"Diese 40 Prozent der Jugendlichen, von denen wir denken, dass sie Digital Natives sind, können im Grunde genommen nur klicken und wischen", sagte die Studienleiterin Birgit Eickelmann während einer Pressekonferenz in der Kultusministerkonferenz in Berlin. Der Begriff Digital Natives bezeichnet Menschen, die mit digitalen Medien und Geräten aufgewachsen sind und von klein auf damit zu tun hatten.
Alltagstests am Computer
Getestet wurde etwa, ob die Schüler wissen, mit welchen Programmen sie bestimmte Dateien öffnen können, ob sie Datei-Endungen kennen oder ob sie erkennen, wie glaubwürdig recherchierte Informationen sind. Schwierigere Aufgabenstellungen sahen vor, dass Schüler eine digitale Präsentation erstellen, in der sie jüngeren Schülern die Funktionsweise der menschlichen Atmung erklären oder ein Informationsblatt für einen Rundgang in einem Museum entwerfen.
Das Ergebnis: Nur ein verschwindend geringer Anteil der Jugendlichen kann richtig gut mit Computern umgehen und ist etwa in der Lage, Informationen selbstständig zu ermitteln, sicher zu bewerten und anspruchsvolle Informationsprodukte zu erzeugen. Diese höchste Kompetenzstufe erreichten nur 1,1 Prozent der Achtklässler. Vor fünf Jahren waren es 1,9 Prozent.
Im internationalen Vergleich über dem Mittelfeld
In die repräsentative Stichprobe wurden in Deutschland etwa 5.000 Schülerinnen und Schüler sowie etwa 2.300 Lehrkräfte an 230 Schulen einbezogen. Demnach liegen deutsche Schüler im internationalen Vergleich mit 502 erzielten Punkten aktuell weiterhin über dem Mittelwert aller 35 an der Studie beteiligten Länder (476) und dem Mittelwert der 22 teilnehmenden EU-Länder (493). Schülerinnen und Schüler in Deutschland erreichten an Gymnasien mit 559 Punkten ein deutlich höheres Kompetenzniveau als an anderen Schulformen (472 Punkte).
Für die Studie wurden im Frühjahr und Frühsommer 2023 etwa 5.000 Schülerinnen und Schüler der achten Klassen in allen Bundesländern an Computern getestet. Daneben beteiligten sich Jugendliche aus mehr als 30 Ländern, darunter 22 EU-Staaten, an der Erhebung. Im internationalen Vergleich landet Deutschland im oberen Mittelfeld. Deutlich besser schnitten die Teilnehmer in Südkorea ab. In Europa waren die tschechischen Achtklässler am fittesten am PC.
Minister will Mittel anders einsetzen
Der neue Bundesbildungsminister Cem Özdemir sagte, die Ergebnisse der aus seinem Haus finanzierten Studie zeigten, dass es ein ganzheitliches Konzept für digitale Bildung brauche. Es bereite ihm Sorgen, dass die digitalen Kompetenzen auch an soziale und herkunftsspezifische Faktoren gekoppelt seien, sagte der Grünen-Politiker. Schulen brauchten eine gute Ausstattung, aber Lehrkräfte müssten Kindern auch einen sicheren und selbstbestimmten Umgang mit digitalen Medien vermitteln können.
Er setze daher darauf, dass die Gespräche zum sogenannten Digitalpakt 2.0 mit den Ländern zu einem Erfolg führten, so Özdemir. Die Verhandlungen von Bund und Ländern zur Fortführung des Digitalpakts waren unter seiner Amtsvorgängerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zu keinem Ergebnis gekommen. Mit dem im Mai ausgelaufenen Digitalpakt hatte der Bund die IT-Ausstattung in den Schulen seit 2019 mit rund 6,5 Milliarden Euro unterstützt. Mittel des Bundes sollten künftig auch für die Entwicklung von Pädagogik und Mediendidaktik eingesetzt werden, sagte Özdemir.
Der erste Digitalpakt hat laut der ICILS-Studie durchaus Wirkung gezeigt: Mussten sich 2018 in Deutschland im Schnitt noch fast zehn Schüler ein digitales Gerät der Schule teilen, waren es 2023 nur noch fünf. Der Anteil der Lehrkräfte, die digitale Medien täglich im Unterricht nutzen, stieg von 9,1 Prozent im Jahr 2013 auf zuletzt 69,9 Prozent. Damit liegt Deutschland auch hier über dem internationalen Vergleichswert (61,2 Prozent).
Forschende fordern mehr Unterstützung an den Schulen
Forschende der Universität Paderborn, die die repräsentative Studie für Deutschland koordiniert haben, fordern mehr Unterstützung, insbesondere für Schulformen jenseits der Gymnasien. Zudem bedürfe es einer "gezielteren, kontinuierlichen und zeitgemäßen Lehrerfortbildung". Schulleitungen sollten zu "Digital Learning Leaders" werden, also das Thema vorantreiben.