Ein Monat Deutschlandticket Genuss in vollen Zügen?
Erst Himmelfahrt, dann Pfingsten - die ersten Härtetests für das Deutschlandticket sind überstanden. Bilanz: Viele Züge sind voll, aber sind sie auch voller als sonst an langen Wochenenden?
Es ist rappelvoll im Regionalexpress 1 von Frankfurt/Oder nach Magdeburg am Himmelfahrtstag. Die Sonne scheint, Ausflugswetter. In Berlin wird es eng im Zug, denn Menschen wollen ins Umland, gern auch mit dem Fahrrad. Doch schon in Berlin-Wannsee kommt die Durchsage: "Alle Fahrradfahrer aussteigen bitte. Der Zug ist zu voll, die Sicherheit der Fahrgäste nicht mehr gewährleistet."
An der nächsten Station in Potsdam räumt die Bundespolizei die Fahrräder aus dem Zug. Keine schöne Situation. Und die Mitreisenden vermuten: Das ist wegen des Deutschlandtickets. Jetzt werden die Züge wieder so voll wie mit dem 9-Euro-Ticket im vergangenen Jahr.
Pro Bahn: Deutschlandticket nicht ausschlaggebend
Der Fahrgastverband Pro Bahn widerspricht da vehement. Die beiden Tickets seien in ihrer Wirkung völlig unterschiedlich. Es sei eben ein großer Unterschied, ob eine Familie neun Euro für den Wochenendausflug ausgebe oder 49 Euro pro Person, sagt Detlef Neuß, der Bundesvorsitzende von Pro Bahn. Das Deutschlandticket sei nicht sehr familienfreundlich. Folglich sei es auch deutlich weniger nachgefragt und könne nicht der Grund für eine Überlastung der Züge sein.
Verlängerte Wochenenden bei schönem Wetter seien immer schon mit überfüllten Waggons verbunden gewesen. Wie viel voller es nun wegen des Deutschlandtickets tatsächlich gewesen sei, könne nur geschätzt werden. Insgesamt sei noch nicht klar, wie viel mehr Verkehr durch das Ticket entstehe.
Volle Züge während der Rushhour
Genauer müsste das eigentlich der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wissen, dessen Mitgliedsunternehmen die Kunden transportieren. Der VDV macht gerade eine Marktbeobachtung. Die soll klären, ob und wenn ja, wie viel stärker der Öffentliche Nahverkehr seit Einführung des Deutschlandtickets ausgelastet ist. Anfang Juni sollen die Ergebnisse präsentiert werden. Vorher will man nichts veröffentlichen. Bislang schätzt also auch der VDV nur und äußert eine Hoffnung: Es werden mit der Zeit immer mehr Menschen Bus und Bahn fahren als früher.
Richtig voll seien die Verkehrsmittel bisher aber nur zu den typischen Hauptbelastungszeiten: werktags zur Rushhour mit Pendlern in und um Metropolen und auf touristisch interessanten Strecken am Wochenende, in den Ferien, oder eben zu Himmelfahrt und Pfingsten.
Vor allem Stammkunden profitieren
Die letzten belastbaren Zahlen des VDV zu verkauften Tickets stammen vom 9. Mai, da waren es sieben Millionen. Auch hier gibt es noch keine neuen Angaben. Klar scheint aber, wer das Deutschlandticket nutzt: Es sind vor allem Pendlerinnen und Pendler, die ohnehin schon mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs waren.
Gerade für die, die weite Strecken pendeln, lohne sich der Preis, sagt Gernot Liedtke vom Institut für Verkehrsforschung beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt. Denn 49 Euro lägen deutlich unter den Kosten der bisherigen Monatsabonnements. Und auch andere Berufspendler würden in dieser Hinsicht profitieren. Dazu kämen Menschen, die bisher regelmäßig Bus und Bahn mit Einzeltickets genutzt hätten und nun Vorteile sähen beim Preis und der Unabhängigkeit, die das Deutschlandticket bietet.
Wie viele Menschen nun echte Neukunden seien, die das eigene Auto stehen lassen und auf den ÖPNV umsteigen, weiß aber auch Liedtke nicht genau. Seine Schätzung: Die Öffentlichen Verkehrsmittel könnten fünf Prozent stärker ausgelastet sein.
Das richtige Angebot zur falschen Zeit?
Einig sind sich Fahrgastverband, Verkehrsunternehmen und Wissenschaft aber in einem: Das Deutschlandticket sei eigentlich eine wirklich gute Sache, allerdings komme es zum falschen Zeitpunkt. Sinnvoller wäre es gewesen, erst das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs mit den nötigen Mitteln auszubauen und zu verbessern und danach erst viel Geld für die Subventionierung der Tickets zu investieren.
Schließlich sei neben dem Preis vor allem die Qualität des Angebots ein Grund, vom Auto auf Bahn oder Bus umzusteigen. Gerade im ländlichen Raum gebe es für viele Menschen aber kaum eine Alternative zum eigenen Pkw, wenn der nächste Bahnhof mehrere Kilometer entfernt sei und der Bus im besten Falle stündlich fahre.
Viele Verbesserungen nötig
Da nun aber die politische Entscheidung getroffen wurde und das Ticket auf dem Markt sei, müsse parallel an Qualität und Quantität des Angebots gearbeitet werden. Die Bahn will alte, stillgelegte Strecken wieder in Betrieb nehmen und neue bauen. Und der VDV hat sich zum Ziel gesetzt, auf den bereits vorhandenen Strecken die Qualität zu verbessern und zum Beispiel für Pendlerinnen und Pendler auch in Stoßzeiten Sitzplätze zu ermöglichen. Für Räder soll auch mehr Platz geschaffen werden, denn unabhängig vom Deutschlandticket nimmt die Zahl der Menschen zu, die für den Weg zur Arbeit oder in der Freizeit das Rad nutzen - gern auch in Verbindung mit einer Bahnstrecke.
Aber es wird noch einige Zeit dauern, bis die Verbesserungen umgesetzt werden können. Es ist eine Frage des Geldes und des Personals. Für viele Bauarbeiten fehlen Fachkräfte. Auch Busfahrerinnen und Lokführer gibt es nicht genug.
Bis im Angebot des öffentlichen Nahverkehrs Fortschritte spürbar sind, müssen die Reisenden mit den derzeitigen Einschränkungen leben und die Verkehrsbetriebe wie die Deutsche Bahn um Kundinnen und Kunden ringen. Denn ob die Radfahrer aus dem Regionalexpress 1, die am Himmelfahrtstag in Potsdam den Zug verlassen mussten, in nächster Zeit wieder die Bahn nehmen, ist alles andere als sicher.