Hakenkreuze im Klassenchat Wenn Schüler extremistische Inhalte teilen
In Chatgruppen unter Kindern und Jugendlichen werden immer öfter auch menschenverachtende und extremistische Inhalte geteilt. Was können Lehrkräfte und Sozialarbeiter dagegen tun?
Auf dem Boden des Seminarraums liegen gelbe Karten mit Zahlen von 1 bis 10. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bekommen ein Meme gezeigt, eine Kombination aus Bild und Schrift. Alle positionieren sich bei 1: "nicht lustig". Sie spielen eine Doppelstunde durch, die sie künftig mit Kindern und Jugendlichen an Schulen oder in Jugendhäusern durchführen können.
Das Meme zeigt ein Baby mit einem Handy in der Hand. Darüber steht in weißer Schrift: "So, mir reicht's! Ich ruf Hitler an!" Bei diesem Bild würden die Schülerinnen und Schüler normalerweise bei 9 oder 10 stehen: "maximal lustig". Das erzählt Angelika Vogt, die das Seminar leitet. Sie war damit bereits an einigen Schulen. Nun schult sie andere im Umgang mit extremistischen Inhalten, die unter Kindern und Jugendlichen kursieren.
"War doch nur ein Witz"
In Öhringen bei Schwäbisch Gmünd nehmen 18 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter am Workshop "Lachen, bis es wehtut?" teil, der von der Jugendstiftung Baden-Württemberg angeboten wird.
Sie alle erleben, dass unter Kindern und Jugendlichen mehr und mehr extremistische Inhalte geteilt werden. Von Handy zu Handy wandern Bilder mit Hakenkreuzen, mit rassistischen oder homophoben Sprüchen.
"Entschuldigt wird das meistens mit: War doch nur ein Witz", sagt Angelika Vogt. Viele der Teilnehmenden nicken.
Manuel Zin ist an seiner Schule in Mosbach Ansprechpartner für rund 700 Schülerinnen und Schüler. Der Sozialarbeiter sagt, Videos und Bilder würden von älteren Jugendlichen an die jüngeren über alle möglichen Chats weitergereicht. "Extremistische Inhalte gibt es schon in den fünften Klassen."
Extremistische Inhalte erkennen
Auf der Leinwand werden immer wieder verschiedene Witze oder "Memes" gezeigt. Es geht um Blondinen, um Ostfriesen, dazwischen Inhalte mit rechtsextremistischen Symbolen wie dem Hakenkreuz, SS-Runen oder der Wolfsangel.
Das Seminar ist für eine Doppelstunde konzipiert und soll Raum geben zur Diskussion: Was ist noch Geschmackssache, was könnte verletzend sein und wo wird eine Grenze übertreten.
Die Schülerinnen und Schüler sollen so auch die rechtlichen Grundlagen kennenlernen: Welche Symbole sind nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs verboten? Was fällt unter den Tatbestand der Volksverhetzung? Eine Menge Inhalt für 90 Minuten.
Meist kein gefestigtes Weltbild
Erschreckend viele Kinder und Jugendliche würden nicht erkennen, was sie da teilen, sagt Seminarleiterin Vogt. "Wir gehen nicht davon aus, dass ein gefestigtes rechtsextremes Weltbild vorliegt." Oftmals liege der Reiz auch im Austesten von Grenzen. Kinder und Jugendliche würden spüren, dass gerade die NS-Zeit als das ultimativ Verbotene gelte.
Eine Verharmlosung sei aber ein Fehler. Angelika Vogt und ihre Kolleginnen sind auch als mobiles Beratungsteam in diesen Tagen viel unterwegs. Im vergangenen Jahr wurden sie 79 mal an Schulen oder in Kommunen gerufen, die Hilfe brauchen.
Darunter war der Fall eines Jungen, der Hitlerreden auswendig gelernt und frei vor der Klasse zitiert haben soll. Die Lehrkräfte fühlten sich mit der Situation überfordert. In solchen Fällen gehe es vor allem darum, diejenigen in den Klassen zu stärken, die dagegen aufstehen.
Immer mehr Anfragen
An einer anderen Schule galt der Hitlergruß unter Schülern als Mutprobe. Im Jahr 2024 hat die Mobile Beratung bereits 30 Anfragen erreicht. In etwa der Hälfte der Fälle ging es dabei um extremistische Tendenzen bei Kindern und Jugendlichen.
"Wir bemerken eine deutliche Steigerung an Beratungsfällen", so Vogt. Auch nach dem 7.Oktober 2023 und dem Massaker der Hamas seien noch einmal mehr Anfragen eingegangen.
Die Beratungsstelle wird über ein Projekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert. Die Förderung über "Demokratie fördern!" läuft allerdings in diesem Jahr aus.
Vogt geht zwar davon aus, dass sie auch im kommenden Jahr noch weitermachen können. "Wir wissen aber noch nicht wie und mit welchen Mitteln." Das mache die Planung extrem schwierig.
Für den Sozialarbeiter Manuel Zin ist das Seminar eine gute Hilfestellung. Er möchte die Doppelstunde mit Schülerinnen und Schülern umsetzen. Aus seiner Erfahrung erreiche man die Jugendlichen aber auch durch den direkten Kontakt zu Menschen, die von ihren Diskriminierungserlebnissen erzählen. Im April spricht eine Holocaust-Überlebende an seiner Schule.