Rechtsextremismus an Schulen Wenn der Lehrer nicht mehr weiter weiß
Verbotene Nazisymbole, Witze über Juden, rassistische Beleidigungen: Sicherheitsbehörden und Beratungsstellen beobachten eine Zunahme rechtsextremistischer Vorfälle an Schulen, wie Recherchen von Report Mainz ergaben.
Mara* ist sieben und Grundschülerin, das einzige schwarze Mädchen in der Klasse, sagt sie. Dass sie anders aussieht, ließen ihre Mitschüler sie immer wieder spüren - vor allem mit rassistischen Beleidigungen. Doch die Schuldirektorin habe ihr gesagt, das N-Wort sei kein Schimpfwort.
Mara und ihre Mutter fühlen sich von der Schule im Stich gelassen, die das alles nicht sehen wolle: Man sei keine rassistische Schule, habe man ihnen gesagt. Maras Mutter aber berichtet von Angriffen und Bedrohungen. Das Mädchen hat Angst, erneut in den Schwitzkasten genommen zu werden, dass Kinder ihr wieder an den Haaren ziehen. Die Familie will nun wegziehen, damit Mara neu starten kann.
Hohe Dunkelziffer
Schilderungen von rechtsextremen und rassistischen Vorfällen hat Report Mainz während der Recherche bundesweit von zahlreichen Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern gehört. Sie erzählen von Hitlergrüßen und rechten Symbolen, die offen oder in Chatgruppen gezeigt würden. Lehrer berichten von Beleidigungen gegen Juden, Schwarze oder Transgender-Jugendliche.
Eine Sozialarbeiterin erzählt von einem starken Interesse an Hitler und dem Dritten Reich schon in der 5. Klasse. Es habe sich etwas an der Qualität geändert, sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes im Interview mit Report Mainz. "Du hast früher mal ein Hakenkreuz gesehen. Und jetzt sind es Ausdrücke und Signale, die man öfter hört und die manchmal sehr unreflektiert verwendet werden."
Rechtsextremistische Vorfälle an Schulen erfassen die Bundesländer nicht einheitlich. Manche erheben die Zahlen pro Jahr, andere pro Schuljahr, wieder andere gar nicht. In Sachsen gab es laut Landesregierung im Jahr 2019 noch 73 gemeldete rassistische oder rechtsextremistische Vorfälle. Vier Jahre später seien es schon doppelt so viele, nämlich 149, gewesen. Auch Sachsen-Anhalt, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern melden in ähnlichen Zeiträumen einen Anstieg der Fälle, wenn auch auf niedrigem Niveau. Doch die Dunkelziffer scheint hoch zu sein.
In einer bisher unveröffentlichten Umfrage des thüringischen Lehrerverbands berichten 38 Prozent der befragten Mitglieder, sie hätten seit Beginn des Schuljahres mitbekommen, dass Kollegen oder Schüler Opfer rechtsextremistisch motivierter seelischer oder physischer Gewalt geworden seien. In den meisten Fällen sei diese von Schülern ausgegangen.
Rassistische Äußerungen schon im Grundschulalter
Lena Lehmann von der Beratungsstelle Miteinander e. V. in Halle an der Saale hilft Lehrern bei rechtsextremen Vorfällen. Die Lehrer seien zum Teil überfordert, die Anfragen gingen durch die Decke, sagt sie Report Mainz: "Was für uns wirklich absolut neu ist, dass es Vorfälle gibt von GrundschülerInnen, die sich rassistisch äußern, aber die auch Hakenkreuze als Symbole nutzen." Lehmann sieht einen Zusammenhang mit den sozialen Medien: Junge Menschen hätten Zugang zu Bildern und Inhalten, auf die sie sonst keinen Zugriff hätten.
Auch Sicherheitsbehörden beobachten eine Veränderung. Der hessische Verfassungsschutz teilte Report Mainz mit, ihm seien "in jüngerer Vergangenheit vermehrt Vorfälle mit rechtsextremistischen Bezügen" bekannt geworden. Die Behörde schreibt von Kanälen im Netz, "in denen Jugendliche und junge Erwachsene gezielt mit vermeintlich unverfänglichen Inhalten angelockt werden".
Ein Beispiel sind Tiktok-Videos, in denen vordergründig zum Schutz des Waldes aufgerufen wird, wo es aber eigentlich um den Schutz der "deutschen Heimat" geht, einem völkischen Ideal also. In einem schnell geschnittenen und mit Musik unterlegten Video der Jungen Alternative werden auf einer Demonstration "Abschiebung" und "Remigration" gefordert. Ein Telegram-Kanal, der laut hessischem Verfassungsschutz gezielt Schüler anspricht, verlinkt Seiten, auf denen Sticker gekauft werden können mit Aufschriften wie "Jugend ohne Migrationshintergrund" oder "Gesunde Familien statt LGBT Propaganda".
Unsicherheit bei Lehrerinnen und Lehrern
Matthias Busch von der Universität Trier ist Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften und leitet das Projekt "ADiLA - Aktiv für Demokratiebildung im Lehramt". Er spürt in letzter Zeit vor allem durch Konflikte wie den Ukraine-Krieg oder in Israel eine Verunsicherung an Schulen, wie damit umgegangen werden soll: "Das führt dazu, dass systematisch politisch kontroverse Themen von einem Teil der Lehrkräfte nicht angegangen werden. Oder dass man glaubt, neutral sein zu müssen, auch gegenüber grundgesetzfeindlichen, rassistischen, menschenverachtenden Aussagen."
In Interviews mit Report Mainz berichten Lehrer auch von Einschüchterungsversuchen, zum Beispiel durch Eltern. "Was will ich denn machen, wenn schon der Vater mit dem Reichsbürger-Hütchen kommt? Mit solchen Eltern traut man sich nicht mehr zu reden", sagt etwa ein Lehrer, der nicht namentlich genannt werden will. Viele Gesprächspartner zeigen sich im Gespräch mit Report Mainz verunsichert, vor der Klasse nicht klar gegen Rechtsextremismus Stellung beziehen zu sollen oder zu dürfen.
Demokratiebildung als Schlüssel zur Aufklärung
Eine Empfehlung der Kultusministerkonferenz von 2018 besagt, dass Lehrer zwar den Schülern nicht ihre politische Meinung aufdrängen dürfen und dass sie das, was in der Gesellschaft kontrovers diskutiert wird, auch im Unterricht kontrovers behandeln müssen. Das heiße aber nicht, dass jede Position akzeptiert werden müsse. Matthias Busch schließt daraus: "Lehrer dürfen sich nicht nur zur Demokratie bekennen, sondern sie müssen sich zur Demokratie bekennen."
Das Thema Demokratiebildung sei jedoch bisher im Lehramt vernachlässigt worden. Nur fünf Bundesländer - nämlich Bayern, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen - antworten auf eine Anfrage von Report Mainz klar, dass Demokratiebildung in ihren Lehramtsstudiengängen ein verpflichtendes Lernmodul sei.
Busch hält er es für dringend notwendig, dass Demokratiebildung in allen Lehramtsstudiengängen im Studienplan als klares Modul verbindlich verankert wird. Lehrer müssten gestärkt werden, auch um in Fällen wie dem der siebenjährigen Mara angemessen reagieren zu können.
*Name von der Redaktion geändert