Der Türke Merih Demiral jubelt nach seinem zweiten Treffer im EM-Achtelfinale

Kritik nach EM-Spiel Warum der türkische Wolfsgruß für Empörung sorgt

Stand: 03.07.2024 15:07 Uhr

Mit dem Wolfsgruß während des EM-Achtelfinales sorgt der türkische Torschütze Demiral für Wirbel und Kritik. In der Bundespolitik werden Rufe nach Konsequenzen und einem Verbot der "Grauen Wölfe" lauter.

Nach der Wolfsgruß-Geste des türkischen Nationalspielers Merih Demiral beim EM-Achtelfinale gegen Österreich gibt es Kritik aus der Bundespolitik. "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen. Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel", schrieb Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf der Plattform X.

"Unsere Sicherheitsbehörden haben türkische Rechtsextremisten in Deutschland fest im Blick. Die 'Grauen Wölfe' stehen unter der Beobachtung des Bundesamts für Verfassungsschutz", schrieb die SPD-Politikerin weiter.

Özdemir fordert Konsequenzen

Bundesagrarminister Cem Özdemir forderte Konsequenzen. "Seine Botschaft ist rechtsextrem, steht für Terror, Faschismus", schrieb der Grünen-Politiker auf X. Die Europäische Fußball-Union UEFA müsse Konsequenzen ziehen. "Ich frage mich, warum das Zeigen des Symbols des 'Grauen Wolfes' nicht auch bei uns längst verboten ist. Diese rechtsextreme Geste steht für widerlichen Antisemitismus und die Vertreibung der letzten Christen aus dem Siedlungsgebiet der Urchristen", fügte er hinzu.

Die außenpolitische Sprecherin vom Bündnis Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen, nannte es "skandalös, dass die Bundesregierung ein Verbot der islamistisch-türkischen Organisation und ihrer faschistischen Symbolik seit Jahren verschleppt".

Ein Verbot wünscht sich auch die Kurdische Gemeinde in Deutschland. "Fans übernehmen solche Zeichen, unter türkischen Jugendlichen auch in Deutschland gilt es als cool, rechtsextrem zu sein", erklärte der Bundesvorsitzende Ali Toprak. "Man stelle sich vor, ein österreichischer Spieler hätte nach einem Torschuss einen Hitlergruß gezeigt." 

"Graue Wölfe" - eine der größten rechtsextremen Organisationen

Die Geste - Zeige- und kleiner Finger wie Ohren aufgestellt, Mittel- und Ringfinger an den Daumen gepresst - gilt als das Symbol der "Grauen Wölfe", eine Bezeichnung für die "Ülkücü"-Bewegung. Die Geste geht zurück auf einen türkischen Mythos, drückt in der Regel aber die Zugehörigkeit und das Sympathisieren mit der Bewegung und ihrer Ideologie aus.

Der politische Arm der Bewegung, die MHP, sitzt nicht nur im Parlament, sondern ist dort auch Bündnispartner der AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. 

In Frankreich sind die "Grauen Wölfe" verboten, in Österreich ihr Gruß - in Deutschland aber weder das eine noch das andere. Zugleich beobachtet der Verfassungsschutz die deutschen Ableger der "Grauen Wölfe". Er stuft die Gruppierung als eine "erhebliche Bedrohung für die freiheitlich demokratische Grundordnung" ein. Der Ideologie der "Ülkücü"-Bewegung wird im Verfassungsschutzbericht 2023 ein "übersteigerter Nationalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" wie Rassismus und Antisemitismus attestiert.

Mit mehr als 12.000 Anhängern ist sie eine der größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland. Einige ihrer Anhänger schrecken auch vor Morddrohungen gegen deutsche Politiker nicht zurück.

UEFA leitet Ermittlungen ein

Die UEFA eröffnete inzwischen ein Untersuchungsverfahren gegen Demiral. Es gehe dabei um ein mögliches unangemessenes Verhalten des 26-Jährigen, teilten Vertreter mit. Sollte Demiral bestraft werden, könnten ihm Folgen für das anstehende Viertelfinale gegen die Niederlande drohen.

Der Fußballer selbst hatte erklärt, sein Jubel habe mit "seiner türkischen Identität" zu tun. Er sagte, dass er keine versteckte Botschaft gesendet habe, sondern lediglich seinen Stolz als Türke ausdrücken wollte.

"Bitter für die türkischen Fans"

Kritiker sehen das allerdings anders. So schrieb Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal auf der Plattform X: "Seit Jahren bekomme ich von Anhängern der 'Grauen Wölfe', einer der größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland, Morddrohungen. Dass Merih Demiral hier den rechtsextremen Wolfsgruß zeigt, ist eine Verhöhnung der Opfer." Der Vorfall sei "bitter" für die türkischen Fans.

Der türkische Exiljournalist und Autor Can Dündar schrieb auf X: "Glückwunsch, Merih! Mit einem einzigen Zeichen hast du die 100-prozentige Freude auf fünf Prozent verringert."

Menschenrechtler fordern Entschuldigung

Auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (GbV) rief die UEFA auf, das Zeigen des Wolfsgrußes nicht zu dulden. "Am Jahrestag des Sivas-Massakers so prominent den Wolfsgruß zu zeigen, ist ein absoluter Skandal", sagte der GfbV-Nahostreferent Kamal Sido. "Die türkische Nationalmannschaft muss sich öffentlich vom Zeigen des rechtsextremen Symbols distanzieren." Sido forderte Demiral zudem auf, sich "bei den Millionen Aleviten, für die der Wolfsgruß ein Symbol der Unterdrückung und Verfolgung ist", zu entschuldigen.

In der zentralanatolischen Stadt Sivas wurden im Juli 1993 Teilnehmer eines alevitischen Festivals von einer religiös aufgepeitschten Menge angegriffen, 35 Menschen, zumeist alevitischen Glaubens, kamen ums Leben.

Mit Informationen von Christian Buttkereit, ARD-Studio Istanbul