Fehlendes Personal in Kitas Sind Quereinsteiger eine Lösung?
Geschlossen, verkürzte Öffnungszeiten, große Gruppen: Das ist Kita-Alltag für viele Familien. Es fehlt an Betreuungsplätzen und Personal. Viele Bundesländer wollen mit Quereinsteigern das Problem angehen - auch Brandenburg.
Nicht jede Tätigkeit in einer Kindertagesstätte müsse durch langjährig ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher wahrgenommen werden - so begründet Brandenburgs Bildungsminister Steffen Freiberg sein Vorhaben, auch Kitas für Quereinsteiger zu öffnen. In Schulen ist das bereits gängige Praxis.
Künftig soll es nach den Plänen des SPD-Politikers möglich sein, grundsätzlich bis zu jede fünfte Stelle mit einer sogenannten "Ergänzungskraft" zu besetzen. Die könnte dann unter Anleitung mit den Kindern arbeiten, vorausgesetzt sie hat einen Berufsabschluss und 300 Stunden pädagogische Mindestqualifizierung absolviert.
Bisher ist das in Brandenburg nur mit kompliziert zu erwirkenden Ausnahmeregelungen möglich. Der Vorschlag ist Teil eines Reformplans des Ministeriums gegen den Personalmangel - und sorgt seit der Veröffentlichung Anfang August für reichlich Diskussionen.
GEW befürchtet Entprofessionalisierung
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schätzt, dass es derzeit in Brandenburg einen akuten Bedarf von 3.000 bis 4.000 Fachkräften in Kitas gibt. Die Gewerkschaft fürchtet aber auch um das Niveau der Kitabetreuung, wenn künftig Quereinsteiger aus verschiedenen Berufsfeldern kommen können.
Der GEW-Landesvorsitzende Günther Fuchs sagt: "Wenn es ein zusätzliches Angebot wäre, dann wäre es sinnvoll. Aber es sollen ja künftig bis zu 20 Prozent der Stellen mit nichtqualifiziertem Personal besetzt werden dürfen. Das ist ein gravierender Eingriff in die Qualität der Kitas." Wenn schon Quereinsteiger, dann müssten diese gleich wie alle anderen Erzieherinnen und Erzieher bezahlt und berufsbegleitend zu solchen ausgebildet werden, so der Gewerkschafter.
Kita-Träger begrüßen Reformpläne
Die kommunalen Spitzenverbände in Brandenburg, die mit Kommunen und Landkreisen die Mehrzahl der Kita-Träger vertreten, unterstützen die Vorschläge und betonen gleichzeitig, dass auch Ergänzungskräfte adäquat für die Erziehungsarbeit in den Kitas qualifiziert werden müssen. Das Ministerium greife endlich längst gestellte Forderungen nach einer Liberalisierung des Zugangs zu einer Beschäftigung in den Kitas auf, sagt der Landesgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Jens Graf.
Der Fröbel e.V., ein freier Träger von Kitas, Krippen und Horten, unterhält bundesweit 224 Einrichtungen, 45 davon in Brandenburg. Von bundesweit gut 4.100 Stellen für pädagogische Fachkräfte sind laut Fröbel 301 gerade unbesetzt. Um bei den derzeitigen Herausforderungen Personal für die Kitas zu finden, sei es notwendig, andere Wege zu gehen, sagt Fröbel-Sprecher Michael Kuhl. Er begrüße, dass Brandenburg dies auch tun wolle.
Wichtig sei dabei, dass zusätzliche Belastungen für die Träger bei der erzieherischen Aus- und Weiterbildung von Quereinsteigern auch refinanziert werden. Das hätten Erfahrungen in anderen Bundesländern gezeigt.
In anderen Bundesländern üblich
Quereinsteiger in Kitas sind in anderen Bundesländern gang und gäbe - vor allem im Westen. Zum Beispiel in Bayern: Hier fehlen einer aktuellen Studie im Auftrag Familienministeriums zufolge rund 14.400 Fach- und Ergänzungskräfte in den Krippen und Kitas. Der Bedarf könnte je nach Zuwanderung bis 2029 noch um etwa 2.000 bis 5.200 Beschäftigte steigen.
Diese Lücke versuchen die Bayern zu schließen und setzen auf praxisintegrierte Aus- und Weiterbildung. Die haben sie aus pragmatischen Gründen auch für Quereinsteiger geöffnet - anders als etwa in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern, wo ein pflegerischer Berufsabschluss Zugangsvoraussetzung ist.
Quereinsteiger lernen so berufsbegleitend, werden bezahlt und können sich modular von einer Assistenz- bis zur Ergänzungs- oder Fachkraft ausbilden lassen. Träger wie der Fröbel e.V. sehen das aber nicht als Ersatz für vollausgebildete Fachkräfte an. Diese würden am ehesten die genauen Bedürfnisse der Kinder erkennen. Auch seien die Quereinsteiger während der Ausbildung nur bedingt eine Entlastung, da sie ja auch Erzieherinnen und Erzieher binden würden, die sie anleiten müssen.
Das Bundesamt rechnet mit einer weiteren Steigerung des Männeranteils. Vor allem unter den jüngeren Beschäftigten sind die Zahlen verhältnismäßig hoch: Vergangenes Jahr waren 12,6 Prozent der pädagogischen Kita-Beschäftigten unter 30 Jahren männlich. Bei den Beschäftigten ab 50 Jahren waren es dagegen 2,8 Prozent. Am höchsten war der Männeranteil bei den Beschäftigten unter 20 Jahren mit 17,9 Prozent, am niedrigsten bei den 60- bis 64-Jährigen mit 2,0 Prozent.
Das Bundesamt zählte nur die unmittelbar mit der pädagogischen Betreuung befassten Beschäftigten, nicht diejenigen in Leitung und Verwaltung. Steigende Zahlen gibt es den Angaben zufolge auch beim Nachwuchs: Unter den Absolventinnen und Absolventen der schulischen Erzieher-Ausbildung lag der Männeranteil im Jahr 2021 bei 17,7 Prozent. 2012 betrug er noch 13,3 Prozent.
Eine Mammutaufgabe
Eltern freuen sich über jede helfende Hand, sagt Sören Gerulat, einer der Bundesprecher und Vorstandsmitglied im Brandenburger Kitaelternbeirat. Doch kurzfristig helfen Quereinsteiger, die erst qualifiziert werden müssen, auch nicht gegen den Personalmangel - mittelfristig ein wenig und langfristig vielleicht, so Gerulat.
Bund und Land müssten Gerulat zufolge mehr in die Qualität der frühkindlichen Bildung investieren. Erzieherinnen und Erzieher müssten besser bezahlt, die Ausbildung erleichtert und so der Beruf attraktiver gemacht werden.
Das sehen Arbeitnehmervertreter wie die Gewerkschaft ver.di und die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeber ähnlich. Bereits 2021 haben beide Seiten in seltener Einmütigkeit neue bundeseinheitliche Regeln für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern gefordert. Diese sollte effizienter, praxisnäher und so konkurrenzfähiger werden, etwa dadurch, dass sie für die Auszubildenden kostenlos ist und diese eine angemessene Vergütung erhalten, was längst noch nicht die Regel ist. Ziel sei es, mehr pädagogisches Personal in die Kitas zu bringen - eine Mammutaufgabe.
Laut Bertelsmann-Stiftung bräuchte es bundesweit zusätzliche 308.800 Fachkräfte, wenn man allen Ansprüchen gerecht werden will - sowohl denen der Eltern nach einem Kita-Platz als auch denen nach einer kindgerechten Personalausstattung. Fachkräfte, die jährlich rund 13,8 Milliarden Euro kosten würden.
Mit vier Milliarden unterstützt der Bund in diesem und im nächsten Jahr Länder und Kommunen bei der Organisation der Kinderbetreuung. Und die nächste Herausforderung ist schon in Sicht: Ab 2026 führt der Bund einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung auch in Grundschulen ein. Um den zu erfüllen, wird ebenfalls mehr Personal gebraucht.