Betreuung für unter Dreijährige Kita-Rechtsanspruch mit Lücken
Fast jedes Kind über drei Jahren wird in einer Kita betreut. Eltern jüngerer Kinder gehen aber oft leer aus. Wie kann das sein - zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz?
Schon für seine ältere Tochter hatte Thomas Schlegat Schwierigkeiten einen Kitaplatz in Koblenz zu finden - das war vor zweieinhalb Jahren. Jetzt ist sein jüngster Sohn 14 Monate alt und soll möglichst bald auch in eine Tagesbetreuung. Beide Eltern sind wieder vollzeitbeschäftigt und brauchen für ihre drei Kinder Betreuung, wenn nicht einer seine Arbeitszeit erheblich reduziert.
Insbesondere für Familien wie die von Schlegat sollte 2013 mit dem Anspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige die Planung und damit der Alltag erleichtert werden. Doch den Schlegats geht es wie immer noch vielen Eltern - sie finden trotz intensiver Suche keine Kita, die ihren Sohn aufnehmen kann.
Gleich nach der Geburt beginnt die Suche
"Wir haben gleich nach der Geburt über das städtische Onlineportal zwei Anfragen für einen Kitaplatz in den beiden Einrichtungen gestellt, in denen die beiden älteren Geschwisterkinder betreut werden und auch persönlich mit den Leitungen gesprochen", berichtet er. In einer Einrichtung habe es keinen Platz mehr gegeben, in der anderen hätte die Eingewöhnung schon mit elf Monaten beginnen sollen, was den Eltern zu früh war. Die Anfrage, ob der Sohn ab September kommen dürfe, sei im folgenden Mai abgelehnt worden.
"In den folgenden drei Wochen haben wir sechs Anfragen an weitere Kitas gestellt. Es folgten weitere fünf Absagen. Bei einer Einrichtung ist die Anfrage noch offen, laut der Kitaleitung ist aber mit dem Beginn der Eingewöhnung noch in diesem Jahr nicht zu rechnen." Der Familie wurden erst für nächstes Frühjahr möglicherweise freiwerdende Plätze in Aussicht gestellt.
Also reichte Schlegat einen Antrag auf Kitaplatzvermittlung beim Jugendamt ein. Daraufhin bekam er eine Liste mit Tagesmüttern zugeschickt.
Das Gesetz hilft, obwohl es hakt
Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz gibt Eltern die Möglichkeit, für ihren Nachwuchs die Betreuung einzuklagen. Zwar nehmen Betroffene dieses Recht nur höchst selten in Anspruch, die meisten Experten urteilen dennoch positiv über den gesetzlichen Betreuungsanspruch. Ohne ihn dürfte Deutschland noch weitaus schlechter dastehen.
SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller nennt die gesetzliche Errungenschaft "insoweit bedeutend, als die Eltern früher mit leeren Händen dastanden, wenn es mit dem Kitaplatz nicht geklappt hat". Eltern, so führt sie weiter aus, müssten sich an der Suche nach wie vor beteiligen, "sich rechtzeitig kümmern, bei verschiedenen Kitas anfragen und sich auf Wartelisten setzen lassen. Außerdem muss rechtzeitig ein Betreuungsbedarf beim zuständigen Jungendamt angemeldet werden."
Finde man dennoch keinen Platz, könne man Widerspruch einlegen, ohne dafür einen Anwalt einzuschalten. Verlaufe auch das erfolglos, bliebe der Gang zum Verwaltungsgericht. In bestimmten Fällen steht den Eltern Schadenersatz zu. "Hatten sie wegen des fehlenden Kitaplatzes Verdienstausfälle, können diese ebenfalls eingeklagt werden. Auch für die Mehrkosten für eine private Unterbringung, zum Beispiel bei einer Tagesmutter, können die Eltern von der Stadt Schadenersatz verlangen", so Lagmöller.
Gestiegene Nachfrage
Stefan Sell, der Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz geht davon aus, dass der gesetzliche Anspruch der Eltern auch zu einer gestiegenen Nachfrage nach Betreuung geführt hat. Man hätte sich an die veränderten Bedingungen gewöhnt: "Eltern, die vor 15 Jahren nicht auf die Idee gekommen wären, einen Kitaplatz für ein zweijähriges Kind zu suchen, bekommen in ihrem Umfeld mit, dass es normaler wird, Zweijährige, manche sogar schon mit dem vollendeten ersten Lebensjahr, jedenfalls stundenweise, außerhäusig betreuen zu lassen." Das neue, zusätzliche Angebot schaffe also eine Nachfrage, die nicht immer gedeckt werden könne.
Betreuungsprobleme für Unter-Dreijährige
Für Kinder im Alter von unter drei Jahren gibt es Betreuungsprobleme. Das unterstreichen Zahlen des Deutschen Städtetages. Dessen stellvertretende Hauptgeschäftsführerin Verena Göppert erklärt: "Wurden im März 2006 noch 254.000 Kinder unter drei Jahren betreut, stieg die Zahl auf 596.300 zum 1. März 2013 und weiter auf rund 838.700 Kinder zum 1. März 2022. Die Betreuungsquote beträgt mittlerweile 35,5 Prozent."
Das habe dazu geführt, dass auch das Personal in der Kindertagesbetreuung ganz erheblich verstärkt werden musste. "Die Zahl des pädagogischen Personals einschließlich Leitungs- und Verwaltungskräften betrug im Jahr 2012 rund 468.400 und eine Dekade später im Jahr 2022 bereits rund 731.000 Beschäftigte. Hinzu kamen etwa 42.000 Beschäftigte in der Kindertagespflege."
Hier stoßen wegen des Fachkräftemangels viele Städte an ihre Grenzen, erklärt Göppert. "Es müssen Betreuungszeiten häufig eingeschränkt werden, wenn zum Beispiel Personalstellen nicht besetzt werden können oder Beschäftigte länger krankheitsbedingt ausfallen. Deshalb müssen die Länder rasch die Ausbildungskapazitäten sowie Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten ausbauen."
Familienministerin sieht sich in der Pflicht
Mit Blick auf die Lücke zwischen Betreuungsquote und Betreuungswünschen der Eltern, schreibt das Bundesfamilienministerium, sei der Bedarf noch nicht gedeckt, der Ausbau müsse dringend weitergehen. "Im letzten Jahr besuchten etwa 92 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen ein Angebot der frühkindlichen Bildung in Deutschland. Das ist ein sehr gutes Ergebnis", meint Ministerin Lisa Paus.
Aber es klaffe immer noch eine Lücke zwischen dem Betreuungsbedarf der Eltern und dem Angebot für alle Altersgruppen. Als Bundesfamilienministerin sei es auch ihr Job dafür zu sorgen, dass der Ausbau und die Qualität in der Kindertagesbetreuung zügig vorankämen, so die Grünen-Politikerin.
Nach Prognosen der Bertelsmann Stiftung vom vergangenen Herbst fehlen in diesem Jahr bundesweit etwa 384.000 Kitaplätze. Beim Ausbau der Plätze und einer kindgerechten Betreuung gibt es demnach deutliche Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland. Um den Betreuungsbedarf der Eltern zu erfüllen, müssten zusätzlich zum vorhandenen Personal weitere 93.700 Fachkräfte im Westen und 4900 im Osten eingestellt werden.
Tagesmutter teurer als die Kita
Schlegat, der Vater aus Koblenz, ist seit zwei Jahren im Stadtelternausschuss aktiv, um für eine bedarfsgerechtere Betreuungslandschaft in seiner Stadt zu kämpfen. Sein Problem und das von unzähligen anderen Eltern ist trotz des Rechtsanspruchs nicht gelöst. Er hat jetzt Kontakt zu einer Tagesmutter, die seinen Sohn ab September betreuen könnte. Zwar sei da der Betreuungsschlüssel besser als in der Kita, sagt er, doch die gesetzlichen Anforderungen bezüglich der Qualifikation des Personals seien deutlich geringer.
Außerdem sind die Kosten für eine Tagespflegeperson viel höher und damit für viele Eltern keine erschwingliche Alternative mehr zur eigenen Betreuung. "In unserem Fall bedeutet die alternative Betreuung Mehrkosten von 550 Euro monatlich."