Weihnachtsgeschäft bei Amazon Tarif egal am Hochregal?
Das Weihnachtsgeschäft ist für den Online-Händler Amazon die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Doch wie erleben Mitarbeiter den Stress dieser Wochen? Ein Besuch bei Amazon in Koblenz.
Ortstermin für die Presse zwischen Hochregalen: Im Amazon-Logistikzentrum in Koblenz ist Weihnachtsrally. Der Onlinehändler gewährt einen Blick hinter die Kulissen des Internet-Weihnachtsgeschäfts. Und nicht nur Journalisten sollen sich davon überzeugen können, wie zufrieden die knapp 1.300 Angestellten sind, auch die rheinland-pfälzische Arbeitsministerin Dörte Schall ist gekommen.
Ihr ist nicht verborgen geblieben, dass die Gewerkschaft ver.di seit vielen Jahren erfolglos einen Tarifvertrag für Amazon-Angestellte fordert: "Ich habe die Gelegenheit, mich gleich mit den Betriebsräten hier vor Ort auszutauschen", sagt die SPD-Politikerin zu Beginn des Rundgangs, "und ich würde mir gerne dazu eine Meinung bilden".
Grundsätzlich betont die Ministerien: "Es ist wichtig, dass es Sozialpartnerschaften gibt. Und wir befürworten das immer, wenn es starke Sozialpartnerschaften gibt. Denn wir wissen, dass die Beschäftigten die Experten des Unternehmens sind und wissen, wo Dinge verbessert werden können und wo es Lücken gibt."
Leistungskontrolle und kein Tarifvertrag
Amazon steht nicht nur wegen seiner Arbeitsbedingungen in der Kritik. Neben der angeblich rigorosen Leistungskontrolle der Mitarbeiter und dem nichtexistierenden Tarifvertrag soll Amazon auch geschickt Steuern vermeiden. Datenschützer bemängeln das millionenfache Abgreifen und Nutzen von Kundendaten und Einzelhändler beschweren sich über die Marktmacht des Online-Giganten.
Der Standortleiter Stefan Jansen gibt einen kurzen Überblick über sein Logistikzentrum. Mit 110.000 Quadratmetern Fläche, was in etwa zwölf Fußballfeldern entspricht, gehöre es zu den größten von Amazon in Deutschland. "Hier in Koblenz haben wir vier große Lagerhallen. Und wenn man sich die Regale hinter mir so anschaut, sieht man, die füllen sich schon. Wir sind gut vorbereitet, fürs Weihnachtsgeschäft, haben insgesamt zehn Millionen Artikel hier am Standort gelagert. Es kann also losgehen."
Mehr Personal im Weihnachtsgeschäft
Tatsächlich lasse sich anhand der Bestellungen ganz gut die Jahreszeit ablesen, erklärt Jansen. Jetzt kämen nicht nur deutlich mehr Bestellungen rein, es seien auch schon verstärkt Geschenke dabei: Süßigkeiten, Spielzeug, Elektronik und Dekoartikel. Das muss auch die Personalplanung berücksichtigen: "Wir haben im Weihnachtsgeschäft einen deutlichen Mehrbedarf an Mitarbeitern." Außerhalb des Weihnachtsgeschäfts seien rund 1.300 Mitarbeiter hier beschäftigt, zur Unterstützung im Weihnachtsgeschäft hat man hier 600 zusätzliche Saisonkräfte eingestellt, "die uns helfen, das zusätzliche Volumen zu bewältigen".
Seit neun Jahren ist Kommissionierer Timo Dietz dabei. Er ist für die Zusammenstellung der Aufträge verantwortlich. Ausgerüstet mit einem Schubwagen und einem kleinen Scanner mit Monitor ist der Picker, wie der Job hier heißt, zwischen den Regalen unterwegs, füllt Päckchen mit bestellten Artikeln und macht sie für den Versand bereit. Der Scanner sagt ihm, in welchem Fach er welches Produkt findet. Ohne Digitaltechnik wäre das unmöglich.
In der Vorweihnachtszeit sei hier im Lager die Atmosphäre schon etwas anders, sagt Timo Dietz. "Man fühlt sich wie so ein Weihnachtswichtel, der die Bestellungen für einen Weihnachtsmann oder für den fürs Christkind zusammenstellt." Wie es wohl ist, ständig Weihnachtsgeschenke für andere in der Hand zu haben? "Oftmals denkt man sich, das wäre auch eine Idee für zuhause. Könnte man vielleicht selbst kaufen, wenn man nicht schon genug Lichterketten zu Hause hätte", sagt Dietz. Er schmunzelt und schiebt seinen Wagen zum nächsten Regal.
Besonders stressig finde er seinen Job auch jetzt zu Weihnachten nicht, sagt er. Hier werde immer so gearbeitet. "Es ist einfach ein bisschen mehr los, aber es sind ja auch mehr Mitarbeiter da."
Unterstützung durch neue Technik
Im Moment plant Amazon am Standort Koblenz eine wichtige Umstrukturierung. Standortleiter Jansen erklärt, dass neue Technologie hier Arbeit übernehmen soll. "Noch gehen die Kommissionierer mit ihrem Scanner zur Ware, laufen von Fach zu Fach. Das ist Technologie, die so alt ist wie dieses Lager - zwölf Jahre."
Das soll sich ändern. "Jetzt wollen wir hier Robotics installieren, einen Transportroboter, der dann zur Ware läuft und dem Mitarbeiter die Ware bringt. Die Laufwege von Herrn Dietz werden dann wegfallen." Eine Arbeitserleichterung, die in den nächsten Jahren parallel zum laufenden Betrieb eingeführt werden soll.
"Handlanger der Technik"
Neben dem Lohn steht für die Gewerkschaft ver.di im Vordergrund, dass die Amazon-Mitarbeiter gesund bis zur Rente kommen. Dafür seien die Betriebsbedingungen wichtig. Monika Di Silvestre, Landesfachbereichsleiterin Handel bei ver.di, kritisiert, dass sich in Sachen Tarifvertrag und beim Arbeitsklima seit zehn Jahren nichts getan habe bei Amazon.
Die Arbeit werde als sehr belastend beschrieben, führt sie aus. Kommissionierer fühlten sich als "Handlanger der Technik". Sie führten den ganzen Tag nur aus, was der Scanner ihnen sage. Gleichzeitig werde ihre Arbeit überwacht. Amazon berechne eine Durchschnittsleistung für einen Bereich - liege der Mitarbeiter darunter, müsse er sich in einem Feedbackgespräch erklären.
"Dieser ständige Leistungsdruck verfolgt die Amazon-Mitarbeiter bis in den Feierabend, viele könnten nicht mehr gut schlafen", erklärt die Gewerkschafterin. "Sie gehen durchs Tor und werden zum gläsernen Menschen." Viele erhielten von Amazon nur befristete Verträge, meist für zwei Jahre. Di Silvestre befürchtet, dass künftig Personal eingespart wird, wenn auf Robotics umgestellt werde. An anderen Standorten könne man das schon beobachten.
Arbeitsministerin fordert Tarifvertrag
Nach ihrem Treffen mit Arbeitnehmervertretern und den Koblenzer Standortverantwortlichen wird auch Arbeitsministerin Dörte Schall deutlicher: "Zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelte Tarifverträge gewährleisten nicht nur Mindeststandards wie faire Bezahlung und Arbeitszeitregelungen, sie geben Beschäftigten auch eine Stimme bei der Aushandlung ihrer Arbeitsbedingungen und garantieren gleiche Bedingungen in Branchen und Betrieben. Es geht um Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und Stabilität in einer sich stetig verändernden Arbeitswelt."
Über die Arbeit im Logistikzentrum von Amazon sagt sie: "Die Arbeit im Logistikzentrum ist auch körperlich anstrengend. Es ist daher für beide Seiten eine Daueraufgabe, gemeinsam die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Blick zu halten und zu verbessern."
"Wir brauchen keinen Tarifvertrag"
Von Druck auf die Mitarbeiter habe er noch nichts gemerkt, sagt Standortchef Jansen. "Grundsätzlich sprechen wir mit unseren Mitarbeitern und haben eine gewisse Erwartungshaltung. Aber wir haben keine konkreten Zielvorgaben für unsere Mitarbeiter. Nichtsdestotrotz wissen wir natürlich, was eine Abteilung im Durchschnitt leistet. Das ist für uns auch wichtig, um entsprechend planen zu können."
Von einem Tarifvertrag für Amazon hält er nichts. "Ich bin mir sicher, dass wir keinen Tarifvertrag brauchen, um ein attraktives Vergütungspaket sicherstellen zu können." Amazon zahlt seinen Mitarbeitern seit September gut 15 Euro Einstiegslohn und nach zwei Jahren 17,32 Euro pro Stunde. Dazu gebe es Zusatzleistungen wie das Deutschland-Ticket und die Möglichkeit zur Aus- und Weiterbildung.
Ob sich nach dem Besuch der Ministerin die von ihr gewünschte Verbesserung der Arbeitsbedingungen durchsetzen lassen wird, kann aber wohl bezweifelt werden.