Nachtschicht in der Intensivpflege Kaum Zeit zum Durchatmen
Arbeiten unter voller Konzentration, die ganze Nacht: Eine Nachtschicht in der Intensivpflege ist anspruchsvoll. Die Mitarbeitenden kämpfen um bessere Arbeitsbedingungen, die Klinik gegen Personalmangel.
Draußen ist es noch hell, als Laura Blind ihren Dienst beginnt. Es ist 20:30 Uhr. Schichtbeginn für die Intensivpflegerin der Uniklinik in Münster. Erst in guten elf Stunden wird sie das Gebäude wieder verlassen. Was sie in ihrer Nachtschicht erwartet, ist vorher schwer einzuschätzen. "Es kann entspannter werden als ein Tagdienst. Aber es kann auch wild werden", erklärt Blind. Sie hat sich gerade umgezogen, steht nun in hellblauer Pflegekleidung in einem engen Gang von der Damenumkleide. "Ich weiß noch nicht, was mich erwartet, das weiß man vor dem Dienst nie."
Dann bahnt sie sich ihren Weg, die Klinikgänge entlang, in weißes Krankenhauslicht getaucht. Durch das nächstgelegene Treppenhaus hinauf in den ersten Stock. "Intensivtherapiestation II" steht auf der Tür, vor der sie noch einem einen intensiven Stoß Desinfektionsmittel in ihre Hände sprüht.
Zwei Patienten pro Pflegekraft
"Hallo, guten Abend", grüßt sie ihre Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie die Nacht bestreiten wird. In Zimmer eins bis sechs liegen die Patientinnen und Patienten, die gerade noch von der Spätschicht betreut werden. Doch bald ist Laura dran. Im Pausenraum sitzt dann das Team zusammen. Es ist Übergabe vom Spät- auf das Nachtteam. Heute Nacht sind sie zu sechst. Die meisten Patienten hier sind nicht bei Bewusstsein. Auch die, um die sich Laura Blind kümmern wird. Jede Pflegekraft kümmert sich um zwei Patienten.
Dauerhaft piepst es in den Gängen. Immer wieder schauen die Pflegekräfte mit einem Auge auf die Bildschirme, die überall im Gang verteilt die Werte der Patienten anzeigen. Puls, Blutdruck, Sauerstoffgehalt. Alle Werte müssen im Lot sein. Die Hauptaufgabe der Pflegenden. "Es gibt schon Situationen, da denkt man: Oh Gott, oh Gott. Dass ich das jetzt hier mache", erzählt Laura Blind. "Das wird aber immer routinierter alles und auch Notfallsituationen werden routinierter. Nach und nach wächst man da rein."
Ein männlicher, eine weibliche Patientin. Darum kümmert sich die 29-Jährige heute. Vorsichtig, aber klar wissend, was zu tun ist, schreitet sie durch den Raum. "Laura Blind mein Name, ich bin für sie heute Nacht zuständig." Sie ist über den ersten Patienten gebeugt, ihre Hand streichelt über den Arm des Patienten. "Jetzt gucke ich erst auf die Geräte. Ich passe auf sie auf - Angst zu nehmen. Ich weiß, dass das schwer ist."
Blind ist während ihrer Schicht für zwei Patienten verantwortlich.
Die ganze Nacht hochkonzentriert
Alle hier wissen, jeder Zeit könnte etwas passieren. Es gilt daher höchste Konzentration - so gut es geht - auch wenn es kaum Zeit zum Durchatmen gibt. Denn nach der Pflege folgt die Bürokratie. PC-Arbeit. Alles muss notiert werden. "Es ist nicht nur ein Knochenjob, man muss auch hochkonzentriert bleiben, die ganze Nacht. Man muss auf so viel achten. Da keine Fehler zu machen beziehungsweise gut arbeiten zu können, ist elementar."
Trotzdem würde sie ihren Job niemals aufgeben. Viel eher will sie etwas an den Arbeitsbedingungen ändern. Daher war Blind eine von vielen Uniklinik-Mitarbeitenden, die in Nordrhein-Westfalen vor einem Jahr auf die Straße gingen. Allerdings ging es dabei nicht um mehr Geld, sondern primär um Entlastung für alle Klinikmitarbeitenden. Und letztendlich um mehr Zeit für ihre Patienten. "Für die haben wir das quasi gemacht." 77 Tage haben sie gestreikt.
Mehr Zeit für die Patienten
Blind fuhr häufig nach Köln, wo die Hauptverhandlungen geführt wurden. "Wenn wir für den Patienten mehr Zeit haben, dann entdecken wir auch andere Dinge, dann sehen wir was fehlt dem Patienten, wenn er gestresst ist, wenn ich denke - ich habe keine Zeit und ich muss zum nächsten Patienten, dann fehlt dieser Blick."
Erste Auswirkungen des neuen Tarifvertrags spüren sie hier jetzt schon: weniger Überstunden. Zusätzlich soll eine neue Erfassungssoftware für Arbeitszeiten eingeführt werden. Und dass sie auf Blinds Station zum Beispiel nur noch zwei Patienten pflegen müssen statt wie früher auch mal drei, erzählt sie.
Sie haben für einen besseren Betreuungsschlüssel gestreikt und bekommen ihn nach und nach. Doch nicht selten sind es auf einigen Stationen und vor allem anderen Krankenhäusern als Unikliniken weiterhin mehr als drei Patienten pro Pflegekraft, die auf Intensivstationen betreut werden.
Damit eine Entlastung für alle Pflegekräfte möglich ist und somit ja auch der Tarifvertrag umgesetzt werden kann, werden derzeit häufig nicht alle Klinikbetten belegt.
Ein neuer Tarifvertrag hat die Arbeitssituation an der Uniklinik Münster schon spürbar verbessert. Doch es fehlt Personal.
Rekrutierung im Ausland
Das Ziel soll aber natürlich sein, alle Klinikbetten belegen zu können, wenn nötig. Daher braucht es auch mehr Personal. Im Moment gibt es an der Uniklinik Münster (UKM) circa 1500 Vollzeitkräfte. "Da aktuell auf dem inländischen Arbeitsmarkt nur sehr eingeschränkt Pflegepersonal gewonnen werden kann, wird das UKM als Interimslösung in den nächsten drei Jahren insgesamt circa 550 Internationale Pflegekräfte aus dem Ausland akquirieren," erklärt die Klinikleitung.
Dass zufriedenstellendere Arbeitsbedingungen kommen, das wünscht sich auch der Pflegedirektor, Thomas van den Hooven: "Das wichtigste ist, dass eine Pflegekraft am Ende des Tages Patienten so betreuen kann, wie sie es gelernt hat und wie es für alle zufriedenstellend ist. Das bringt dann auch eine Berufszufriedenheit mit sich, wo jede Pflegekraft am Ende des Tages sagen kann: Ich habe heute einen guten Job gemacht."
Der Tarifvertrag hat die Situation prinzipiell verbessert, doch noch lange nicht für alle zufriedenstellend. In den kommenden Jahren sind noch einige Hürden zu nehmen. Und die größte Herausforderung, mehr Personal zu akquirieren, ist keine einfache.
"Wir sind für Menschen in Ausnahmesituationen da"
"Ich mache meine Job gerne. Und es tut sich einiges, aber er bleibt trotzdem anstrengend, trotz der teilweisen Entlastung", sagt Laura Blind. "Aber es ist immer gut zu wissen, dass das, was wir machen, was Besonderes ist", erzählt sie. Es ist mittlerweile mitten in der Nacht. Sie pflegt Mund, Nase, Augen der Patienten, die ohne Bewusstsein nicht in der Lage sind, sich um ihren Körper zu kümmern. Dies übernimmt Laura Blind für sie. "Wir sind für die Menschen in Ausnahmesituationen da, um ihnen helfen zu können. Man weiß einfach jedes Mal, dass man als Pflegekraft wichtig ist."
Trotzdem: Nach und nach werden die Augen müder. Der Körper weiß, was er nach gut zehn Stunden geleistet hat. Draußen wird es langsam hell, die Vögel sind laut und deutlich von draußen zu hören. Friedvoll zwitschernd kündigen sie den kommenden Tag an. "Morgen!", tönt es über den Gang. Die Frühschicht kommt. Eine Pflegekraft nach der anderen tut genau das, was Laura Blind am Abend vorher getan hat. Im Pausenraum kommen sie alle wieder zusammen. Übergabe.
Nach 11 Stunden ist die Nachtschicht dann vorbei. Die Frühkolleginnen übernehmen. Es war prinzipiell eine ruhigere Nacht ohne Zwischenfälle und trotzdem anstrengend genug: "Ich bin sehr, sehr müde", erzählt Laura Blind. "Jetzt freue ich mich auf mein Bett und weiß ja, dass ich heute Abend wiederkomme und dann geht das wieder von vorne los."