Ein Schild mit der Aufschrift "Rathaus" ist neben einer Treppe zu sehen.

Gewalt gegen Kommunalpolitiker Höhere Strafen - besserer Schutz?

Stand: 27.09.2024 07:53 Uhr

Hass, Hetze und Gewalt machen auch vor Kommunalpolitikerinnen und -politikern nicht Halt. Viele fragen sich: Warum soll ich mir das noch antun? Der Bundesrat beschäftigt sich heute mit einem Gesetzentwurf.

"Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich darüber spreche", sagt Martin Klußmeier. Zum Beweis zeigt er seinen muskulösen Unterarm. Wenn der 54-Jährige von "darüber" spricht, meint er die Attacken, denen er ausgesetzt war - neun Jahre lang als Ortsvorsteher von Drehenthalerhof. Das ist ein kleiner Ortsteil von Otterberg bei Kaiserslautern, etwa 400 Menschen wohnen dort.

Klußmeiers Familie lebt seit Generationen hier, der Kachelofenbauer ist sehr beliebt, zwei Mal wurde er mit 93 Prozent der Stimmen zum Ortsvorsteher gewählt. Sich für seinen Ort politisch zu engagieren, das brauchte der Pfälzer viele Jahre fast wie die Luft zum Atmen.

Deshalb ließ er sich davon lange Zeit auch nicht durch Bedrohungen abhalten. Nicht einmal, als kurz nach seinem Amtsantritt beispielsweise Vermummte im Morgengrauen mit einer Eisenstange auf ihn einschlugen. 21 Anzeigen gegen Unbekannt hat Klußmeier nach eigenen Angaben im Laufe der Zeit erstattet, immer ohne Ergebnis. Ob schriftliche Morddrohungen oder tätliche Angriffe - nie konnte zweifelsfrei bewiesen werden, wer dahintersteckt.

Nach einer Pfefferspray-Attacke durch einen Vermummten und einem weiteren Drohbrief zog Klußmeier im vergangenen Jahr aber dann doch die Reißleine und trat zurück. Auch um seine Frau, seine beiden Kinder und seine Eltern zu schützen. Ein Schritt, der Klußmeier immer noch schmerzt. Letztlich sah er für sich aber keinen anderen Ausweg.

Martin Klußmeier

Martin Klußmeier trat nach einem Angriff auf ihn zurück.

"Wie kann mich jemand so sehr hassen?"

Auch Gerd Klasen hat wegen Hass und Hetze schon an einen Rücktritt gedacht. Einmal wurde der ehrenamtliche Bürgermeister von Polch in Rheinland-Pfalz davor gewarnt, in der dunklen Jahreszeit allein spazieren zu gehen ein anderes mal wurden auf seinem gehackten Social-Media-Account pädophile Inhalte hochgeladen, außerdem wurden er und Mitglieder seiner Familie anonym angezeigt.

Der Vorwurf: illegale Geschäfte und Bereicherung. Der Kommunalpolitiker ist bis heute fassungslos, dass ihn offensichtlich jemand so sehr hasst, dass er dafür selbst straffällig wird. Einen Zusammenhang zwischen den persönlichen Attacken auf ihn und konkreten politischen Entscheidungen in Polch sieht Gerd Klasen nicht.

Gerd Klasen

Auch Gerd Klasen wurde bedroht.

Angriffe hinterlassen Spuren

Verbale, psychische oder physische Angriffe auf Kommunalpolitikerinnen und -politiker sind mittlerweile weit verbreitet. Das zeigt auch eine aktuelle Studie, an der neben dem Bundeskriminalamt auch drei kommunale Spitzenverbände mitgearbeitet haben. Für den so genannten Motra-Report werden regelmäßig Amtsträgerinnen und Amtsträger aus ganz Deutschland befragt, in welchem Maß sie mit Hass, Hetze und Gewalt konfrontiert sind.

Demnach haben 36 Prozent der Befragten in den sechs Monaten vor der jüngsten Erhebung Anfeindungen und Gewalt erlebt. 28 Prozent gaben an, bei der nächsten Kommunalwahl nicht mehr antreten zu wollen. Aus vorherigen Motra-Berichten ist bekannt, dass fast alle Betroffenen aufgrund der Angriffe an psychischen und physischen Folgen leiden.

Höhere Strafen

Schon mehrfach wurden deshalb auf Länder- und Bundesebene Gesetze verschärft. In seiner heutigen Sitzung beschäftigt sich der Bundesrat mit einer weiteren Änderung des Strafgesetzbuches. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht unter anderem vor, dass Nötigung kommunalpolitisch Aktiver genauso bestraft wird wie beispielsweise Nötigung des Bundespräsidenten oder anderer Spitzenpolitiker - nämlich mit bis zu zehn Jahren Haft.

Der Städte- und Gemeindebund unterstützt solche Gesetzesänderungen nach eigenen Angaben ausdrücklich. Diese seien angesichts des Ausmaßes und der Qualität von Anfeindungen dringend erforderlich. Zum einen wegen der massiven persönlichen Folgen für die Betroffenen, zum anderen, weil es ansonsten immer unattraktiver werde, haupt- oder ehrenamtlich ein politisches Amt zu übernehmen. Der Städte- und Gemeindebund warnt: Diese Entwicklung könnte verheerende Folgen für die Demokratie haben. Er fordert auch so genanntes politisches Stalking strafrechtlich mehr in den Blick zu nehmen. Es geht also um Stalker, die bewusst ins private Umfeld von politisch Engagierten eindringen, um ein Klima der Angst zu erzeugen.

Verschiedene Lösungsansätze

Nach Ansicht des Städte- und Gemeindebundes bringen Rechtsänderungen allein aber nichts. Diese seien nur dann erfolgsversprechend, wenn es ausreichend Personal bei Polizei, Ermittlungsbehörden und Gerichten gäbe, das entsprechend geschult und sensibilisiert sei.

Auch der Kriminologe Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sagt: "Gesetzesverschärfungen allein bringen nichts". Das zeige sich beispielsweise auch daran, dass seit 2018 Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten wieder zunehme, obwohl es zuvor wiederholt Verschärfungen gegeben hat. Gemäß Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs könnten Angriffe und Gewalt gegen politisch Aktive ohnehin auch heute schon geahndet werden. Baier betont: "Menschen hören aber nicht einfach auf, aggressiv und gewalttätig zu sein, nur weil es Gesetze gibt, die dieses Verhalten unter Strafe stellen".

Seiner Meinung nach gibt es viele Gründe für den Anstieg der Gewalt: politische Polarisierung, Inflation, die Verschlechterung der ökonomischen Lage, soziale Ungleichheit und Armut. Zudem sei es aktuell wieder kulturell akzeptierter, sich mit Gewalt durchzusetzen; das lebten nicht zuletzt Politiker wie der russische Präsident Putin und der US-amerikanische Präsidentschaftskandidat Trump vor. Eine Trendwende hält der Kriminologe für denkbar. Nur müsse man auch bei der Lösung des Problems an verschiedenen Punkten ansetzen. So sei es etwa wichtig, die Allgemeinheit dafür zu sensibilisieren, dass Gewalt nie angemessen sei - schon gar nicht gegenüber Menschen, die sich ehrenamtlich engagierten.

Rücktritt - (k)eine Option

Für das Thema sensibilisieren will auch der Stadtbürgermeister von Polch, Gerd Klasen. Er spricht deshalb mittlerweile öffentlich über die Angriffe auf seine Person - und die Angst, das Misstrauen und den Ärger, den sie in ihm ausgelöst haben. Eine Folge seiner Offenheit: Mittlerweile melden sich mehr Leute mit positiven Rückmeldungen bei ihm. Gerd Klasen zieht auch daraus Kraft, weiterzumachen. Genauso wie aus den geplanten Gesetzänderungen. Für ihn sind sie Zeichen der Wertschätzung und ein Signal: Die "große" Politik hat die Engagierten an der Basis im Blick. Er will sich auf alle Fälle weiter kommunalpolitisch engagieren - in Absprache mit der Familie. Erst neulich habe sein Sohn zu ihm gesagt: "Papa, Du darfst nicht aufhören! Sonst haben die anderen gewonnen!"

Nach Ansicht des zurückgetretenen Ortsvorstehers Martin Klußmeier aus der Nähe von Kaiserslautern hingegen bringen die geplanten Gesetzesänderungen nichts. Er sagt: "Was nutzt die höchste Strafe, wenn man die Täter nicht ermittelt." Er wünscht sich unter anderem mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote für kommunalpolitisch Aktive, die bedroht werden. Aktuell gibt es in seinem Heimatdorf keinen Ortsvorsteher mehr. Das, was Klußmeier widerfahren ist, dürfte auch andere dauerhaft abgeschreckt haben.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 16. August 2024 um 17:00 Uhr.