Prävention gegen Jugendkriminalität Rechtzeitig die Kurve kriegen
Kinder und Jugendliche sind häufiger Tatverdächtige als im Jahr zuvor: Das ist ein Ergebnis der polizeilichen Kriminalstatistik. Ein Projekt in NRW versucht gegenzusteuern - und das ziemlich erfolgreich.
Er könne nicht aus jedem Kind einen Engel machen, sagt Sozialpädagoge Markus Witalinski. Aber immer wieder scheint es zu klappen, die Heranwachsenden auf die richtige Spur zu bekommen. Dementsprechend trägt das Präventivprojekt, für das Witalinski in Duisburg arbeitet, den Namen "Kurve kriegen".
Wer in sein Büro kommt, hat in der Regel schon einiges angestellt. Meistens liegen mehrere Anzeigen vor, die darauf hindeuten, hier könnte eine Karriere als Intensivtäter beginnen. "Das kann sehr wohl bei einer Bedrohung, Beleidigung, Sachbeschädigung, Graffiti-Schmiererei losgehen", sagt Witalinski zu seiner Auftragslage. "Es geht aber auch weiter über Körperverletzungsdelikte, über erpresserische Delikte, über einen erpresserischen Raub. Die Bandbreite ist recht breit gefächert."
Durchschnittsalter bei Ersttätern 13 Jahre
Los gehe das im Kindesalter. Im Schnitt seien die Kinder 13 Jahre alt. Sozialstunden, Arrest, Jugendgefängnis - das wäre meist der vorgezeichnete Weg. Witalinski will das verhindern. Regelmäßig besucht er betroffene Familien in Duisburg. Dafür geht er in jeden Stadtteil.
Seine "Kundschaft" sei vielfältig: Arm, reich, bildungsfern, bildungsnah, mit oder ohne Migrationshintergrund. "Ad hoc wird mir echt nichts einfallen, was mich da umhaut", so der Pädagoge. "Das heißt, ich bin da unvoreingenommen, gehe in die Haushalte rein. Wir werden nett und freundlich empfangen. Es ist ja eine Maßnahme, die auf freiwilliger Basis existiert."
"Kurve kriegen" ist eine kriminalpräventive Initiative des NRW-Innenministeriums. Sobald ein Kind das erste Mal eine Straftat begeht, gehen Polizei und Sozialpädagogen in die Familie und bieten Hilfe an. Polizei, Jugendhilfe und Sorgeberechtigte sollen hier an einem Strang ziehen.
"Es geht immer brutaler zu"
Hüseyin Cansay arbeitet seit 38 Jahren als pädagogischer Leiter im Kinder- und Jugendzentrum Seeberger-Treff in Köln-Chorweiler. Kleinere Straftaten wie Diebstahl seien hier beinahe alltäglich - aber oft auch Gewalt.
Es gehe immer brutaler zu, beobachtet er. "Mittlerweile ist es sicherlich so, dass die Hemmschwelle, Gewalt anzuwenden, bei weitem wirklich reduziert worden ist, ohne Vorankündigung, ohne alles. Dann wird direkt zugeschlagen und sicherlich in Gruppen dann auch Gewalt ausgeübt", so Cansay.
Zuwanderung und Bildungsnachteile
Die Gründe sind vielfältig: Forscher sagen, Gewalt anzuwenden sei heute akzeptierter unter Jugendlichen, Gewaltverherrlichungen verbreiteter. Laut der polizeilichen Kriminalstatistik steigt auch die Zahl von jugendlichen Tatverdächtigen ohne deutschen Pass.
Kriminologen erklären das mit mehr Zuwanderung in den vergangenen Jahren. Außerdem seien die Ausgangsbedingungen, zum Beispiel in Flüchtlingsunterkünften, schwieriger. "Sie haben häufig geringere ökonomische Ressourcen. Sie haben zunächst einmal Bildungsnachteile. All das sind Umstände, die es etwas wahrscheinlicher machen, dass man an Straftaten beteiligt ist", so Christian Walburg, Kriminologe an der Universität Münster.
Erfolgsquote bei 80 Prozent
"Frühzeitig entdecken, richtig reagieren und passgenau helfen, individuell arbeiten und nachhaltig verhindern", steht in fetten Buchstaben auf der Internetseite des Projekts "Kurve kriegen". Schon über 1.000 jungen Menschen und deren Familien konnte man nach eigenen Angaben helfen. "Wir haben eine recht geringe Abbrecherquote und dafür eine sehr hohe Absolventenquote", sagt Sozialpädagoge Witalinsiki. "Absolventenquote heißt, die Teilnehmer, die nach gut zwei bis drei Jahren 'Kurve kriegen' beendet haben, begehen keine weiteren Straftaten mehr und werden nicht zu Intensivtätern."
All das benötige aber Zeit: Von zwei Jahren müsse man mindestens ausgehen. Aber dafür liegt dann auch manch kriminelle Karriere für immer bei den Akten. 80 Prozent der jungen Straftäter würden die Kurve kriegen.