Mitarbeiter der Spurensicherung stehen auf dem Marktplatz hinter einem zertrümmerten Stand in Mannheim

Nach Messerangriff in Mannheim Grund zur Sorge vor islamistischen Anschlägen?

Stand: 04.06.2024 15:36 Uhr

Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen zum Attentat von Mannheim an sich gezogen. Der Fall wirft einmal mehr die Frage auf: Wie groß ist die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus?

Von Michael Götschenberg, ARD Berlin, Holger Schmidt, SWR, ARD-Terrorismusexperten

Gestern Nachmittag übernahm der Generalbundesanwalt den Fall des Messerangriffs in Mannheim. Noch ist nicht von einem islamistisch motivierten Anschlag die Rede, die Bundesanwaltschaft spricht bisher von einem Angriff aus "religiösen Gründen". Die Übernahme erfolgte außerdem aufgrund der "besonderen Bedeutung" des Falls.

Dem Vernehmen nach sieht es danach aus, dass Sulaiman A. sich im Internet radikalisiert hat. Den Sicherheitsbehörden zumindest war er bis zur Tat nicht als Islamist aufgefallen. Ein unbeschriebenes Blatt also. Allerdings, das legt die Tat nahe, scheint er die Veranstaltung der islamfeindlichen Organisation "Pax Europa" gezielt aufgesucht zu haben, bewaffnet mit einem Messer.

Nach Informationen des SWR liegt Sulaiman A. noch im Krankenhaus und ist nach einer Notoperation noch nicht vernehmungsfähig. Eines seiner Opfer, ein junger Polizist aus Neckarbischofsheim im Rhein-Neckar Kreis, ist am Sonntag verstorben.

Keine große Vorbereitung

Der Fall hat einmal mehr die Frage nach der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus aufgeworfen. Grundsätzlich sind Täter wie Sulaiman A. der Albtraum für die Sicherheitsbehörden: ein Attentäter, der sich unbemerkt radikalisiert zu haben scheint und schließlich zur Tat schreitet - mit einem einfachen Mittel, in diesem Fall einem Messer, wie es sich jeder besorgen kann.

Ein Anschlag, der keiner großen Vorbereitung bedarf. Wird er vorher nicht angekündigt, haben die Sicherheitsbehörden letztlich keine Chance, ihn zu verhindern. Deswegen hoffen die Sicherheitsbehörden in Fällen schneller und extremer Radikalisierung auch auf Hinweise aus der persönlichen Umgebung der Betroffenen.

Viele Gefährder haben die Behörden auf dem Radar

Demgegenüber gibt es eine große Anzahl islamistischer Gefährder, die die Sicherheitsbehörden bereits auf dem Radar haben und von denen sie wissen, dass sie grundsätzlich bereit sind, einen Anschlag zu verüben. Im Januar waren es laut Bundeskriminalamt 483, von denen jedoch nur etwa 200 auf freiem Fuß und in Deutschland waren.

Aber immer noch genug: Regelmäßig müssen sie in ihrer Gefährlichkeit bewertet werden, um zu entscheiden, wen man genauer ins Visier nimmt und wen weniger. Denn alle können nicht in dem Umfang überwacht werden, wie es wünschenswert wäre.

Von den islamistischen Terrororganisationen bereitet insbesondere der regionale Ableger des sogenannten "Islamischen Staats" in Afghanistan mit Namen ISPK den Sicherheitsbehörden die größten Sorgen. Vor allem deshalb, weil die Organisation erklärtermaßen auch Anschläge in Europa verüben will.

Anschlag in Moskau im März

Zuletzt machte sie im März von sich reden, als der Anschlag auf die Crocus City Hall in der Nähe von Moskau verübt wurde: Mehr als 140 Menschen wurden getötet, ISPK reklamierte den Anschlag für sich.

Rund um den Jahreswechsel wurden mehrere mutmaßliche Islamisten in Nordrhein-Westfalen festgenommen, die verdächtigt wurden, ISPK-Anhänger zu sein und einen Anschlag am Kölner Dom geplant zu haben. Nachweisen konnte man ihnen das nicht, aber der Fall machte deutlich, wie ernst die Bedrohung auch hierzulande genommen wird.

Bedrohung wieder deutlich konkreter

Grundsätzlich war die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in den vergangenen Jahren keinesfalls verschwunden, sie stand nur weniger im Vordergrund. Das hatte viel damit zu tun, dass der IS militärisch besiegt und sein "Kalifat" von der Landkarte verschwunden war.

Mit ISPK ist die Bedrohung wieder deutlich konkreter geworden. Mit Nervosität blicken die Sicherheitsbehörden deshalb auch auf die bevorstehende Fußball-Europameisterschaft. Dabei bereitet ihnen die Sicherheit in den Fußballstadien weniger Sorgen als all das, was um die EM herum passiert - von Public-Viewing-Veranstaltungen bis hin zum Fußballabend im Biergarten.

Allerdings waren die Sicherheitsbehörden in den vergangenen Monaten und Jahren ziemlich erfolgreich darin, mutmaßlich geplante Anschläge in einem frühen Stadium zu vereiteln. Oftmals infolge von Hinweisen, die die deutschen Behörden aus dem Ausland erhielten.