Für mehr Tierwohl Vom Milchbauern zum Veganer
Ein Landwirt hat "abgestillt": Die Kühe von Jürgen Rademacher bekommen keine Kälber mehr, den Vertrag mit der Molkerei hat er gekündigt. Wirtschaftlich ist das nicht - aber er hat Unterstützer gefunden.
Die drei Kälber strecken ihre Mäuler durch das Gatter und recken sich nach dem Heu, das Jürgen Rademacher ihnen aufgeschüttet hat. Am liebsten würde der 63-Jährige Landwirt auch die drei jüngsten Tiere mit der Herde auf der Weide laufen lassen. Doch die Angst vor dem Wolf ist groß - die Kälber wären zu leichte Beute. Also stehen sie in einem Offenstall direkt am Haus.
Gleich nebenan hat der Milchbauer früher bis zu 90 Kühe gemolken. Aber damit ist nun endgültig Schluss. Rademacher hatte die Milchproduktion schon länger heruntergefahren. "Ich habe abgestillt", erklärt er, während er den Wassereimer auffüllt und Bullenkalb "Rocky" hinhält. Auf seinem Hof wird es keine weiteren Kälber geben. Und damit auch keine Milch.
Ein Leben in Freiheit statt Milchleistung
"Lebenshof Lunetal" hat der Biobauer seinen Betrieb getauft. Rund 20 solcher Lebenshöfe oder auch Gnadenhöfe gibt es in Niedersachsen. Die Idee dahinter: Die Tiere sollen nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden, sondern einfach leben dürfen. Das wünscht sich auch Rademacher für seine Kühe. Die Schwarzbunten sollen das Leben in Freiheit genießen.
Die Weidehaltung kennen seine Tiere bereits. Sie haben auch draußen gestanden, als sie noch gemolken wurden. Aber da musste Rademacher sie zweimal am Tag zum Stall und in den Melkstand treiben. Die Milch ging an eine Biomolkerei, bereits 1995 hat er seinen Hof auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Viel Arbeit, die der 63-Jährige allein bewerkstelligt hat. Aber das hat ihn nie gestört.
"Ich hatte ein Problem damit, dass wir den Kühen die Kälber wegnehmen, um die Milch zu verkaufen", sagt der Landwirt. Und auch das Töten der männlichen Nachzucht konnte er irgendwann nicht mehr vertreten. "Ich kenne es seit meiner Kindheit so, dass die Bullen zum Schlachter gehen, weil sie für den Milchviehbetrieb nutzlos sind." Auch alte Tiere, die zu wenig Milchleistung bringen, sind für einen Betrieb unwirtschaftlich und müssen aussortiert werden.
Im kommenden Jahr will Landwirt Jürgen Rademacher nicht nur Heu ernten, sondern auch Buchweizen und Lupinen.
Paten zahlen für glückliche Kühe
Ins Grübeln gekommen ist Rademacher bereits vor einigen Jahren, weil seine Nichte vegan lebt und ihm ihre Beweggründe erklärt hat. Nach und nach verzichtete auch er auf tierische Produkte. Mittlerweile ersetzt Rademacher selbst den Schuss Kuhmilch im Kaffee durch einen Haferdrink. Es gehe ihm besser, sagt er. Er fühle sich fitter, weniger müde.
Nun kann ein Milchbauer, der keine Kühe melkt, aber auf Dauer nicht leben. 1.800 Euro kostet eine seiner Kühe im Jahr, hat Rademacher ausgerechnet - inklusive Futter, Energie und Arbeitslohn. Dieses Geld erwirtschaftet Rademacher nun nicht mehr durch den Milchverkauf, sondern mit Patenschaften.
Jede seiner 30 noch verbliebenen Milchkühe hat Paten gefunden. Weltweit, wie der Landwirt betont. Sogar Geldgeber aus den USA unterstützen den veganen Landwirt, das Internet macht es möglich. Bei Instagram hat Rademacher mehr als 11.000 Follower. Besonders beliebt im Netz: Fotos von Sally, die nur ein Auge hat. Sie teilt sich die Weide mit der ältesten Kuh auf dem Hof, der 19-Jährigen Kleo. Die Paten dürfen die Kühe besuchen, viele kommen regelmäßig und tauschen sich mit dem veganen Landwirt aus oder helfen bei der Arbeit.
Getreide für Milchersatz
Im kommenden Jahr will Rademacher Buchweizen, Ölsaaten und Lupinen anbauen - Pflanzen, aus denen sich unter anderem Milchersatzprodukte herstellen lassen. Ob das klappt, die Produktion wirtschaftlich ist und er Abnehmer findet, darauf ist Rademacher selbst gespannt. Denn auch wenn er selbst Veganer ist - die allermeisten Menschen leben nicht vegan oder vegetarisch.
Der Landwirt aus Beverstedt stellt klar: Er will niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu leben hat. Was er mache, sei für ihn der richtige Weg. Trotzdem werde es natürlich weiterhin Milchproduktion in Deutschland geben. Auch wenn er sich wünschen würde, dass mehr Menschen auf pflanzliche Ernährung umsteigen.