Ein Jahr nach Fischsterben in der Oder "Herumdoktern" - ohne das Problem zu lösen
Im Sommer 2022 starben massenhaft Fische in der Oder. Wurde genug unternommen, damit sich das nicht wiederholen kann? Experten sind skeptisch - vor allem mit Blick auf die polnische Seite des Flusses.
August vor einem Jahr: Es ist heiß und trocken, die Folge sind außergewöhnlich niedrige Flusspegel. In der Oder an der deutsch-polnischen Grenze kommt es zu einer Katastrophe: Ab dem 9. August treiben Tausende tote Fische an der Wasseroberfläche.
Tagelang tappen die Behörden im Dunkeln. Meldeketten zwischen Polen und Deutschland versagen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke ist verärgert. "Ich glaube, alle Entscheidungsträger stehen jetzt in der Verantwortung, diesen Verursacher zu identifizieren", sagt Lemke damals. Mehr noch: "Die Tatsache, dass die Informationen uns wirklich sehr spät, zu spät erreicht haben, erschwert jetzt das Identifizieren der Schadensursache."
Massensterben durch hohen Salzgehalt
Etwa sieben Wochen vergehen, bis die Schadensursache offiziell geklärt ist. Zu viel Salz im Fluss führt in Verbindung mit Hitze und einem niedrigem Wasserstand zu einer giftigen Algenblüte, die das massenhafte Fischsterben verursacht hat.
Woher das Salz kommt, haben Experten inzwischen herausgefunden. Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei erklärt, das Salz komme Berichten zufolge aus den Kohlegruben im schlesischen Odereinzugsgebiet. "Dort fällt es als Sümpfungswasser an, also praktisch, um Stollen leer zu pumpen und die Kohle abbauen zu können", sagt er. Das Wasser habe einen hohen Kochsalzgehalt.
Deutschland und Polen versprechen Schutzmaßnahmen
Es folgen große Ankündigungen - auf polnischer und deutscher Seite. Das Salzwasser aus dem Bergbau dürfe nicht mehr in dem bisherigen Umfang in die Oder gelangen, der Fluss müsse besser geschützt werden. Eine Expertengruppe wird eingesetzt.
Doch wie ist die Lage ein Jahr nach der Umweltkatastrophe? Verschiedene Maßnahmen wurden getestet, doch die sind dem Wissenschaftler zufolge nicht optimal. "Das ist ein Herumdoktern an den Symptomen." Man versuche, etwas gegen die Algenblüte zu unternehmen.
Das eigentliche Problem ist aber nicht gelöst - nämlich das Einleiten von Salzwasser in den Fluss zu stoppen oder zumindest deutlich zu reduzieren.
Nach wie vor hohe Salzbelastung
Laut Forschern ist der Salzgehalt in der Oder nach wie vor hoch. Bei erneuter Hitze und Trockenheit könnte es rasch wieder zur Katastrophe kommen, sagt Wolter.
Die Lage ist nach wie vor kritisch, weil wir tatsächlich eine hohe Salzbelastung haben. Und diese Alge ist jetzt im Gewässer. Es ist keine Frage mehr, ob sie vielleicht irgendwann kommt, sie ist da. So dass wir jetzt eine deutlich größere Gefahr haben als vor einem Jahr, dass es auch zu so Blüten kommen kann.
Es handelt sich um Giftblüten, die im vergangenen August bis zu 1.000 Tonnen Fisch töteten. Auch Großmuscheln starben, die eigentlich den Zweck erfüllen, das Wasser zu reinigen.
Experten gehen von einer menschengemachten Katastrophe in der Oder aus: Erst stieg der Salzgehalt extrem an, dann kam die Algenblüte.
Bundesumweltministerin warnt vor neuer Katastrophe
Vor einer neuen Umweltkatastrophe warnt auch Bundesumweltministerin Lemke. Schon mehrfach appellierte die Grünen-Politikerin an die polnische Seite - wie kürzlich in einer Videobotschaft. Demnach sei es "die wichtigste und dringlichste Forderung, dass die Salzeinleitungen wenigstens jetzt im Sommer reduziert, eingestellt werden, damit dieses wunderbare Ökosystem nicht erneut gestört oder gar zerstört wird". Bisher führten ihre Worte nicht zum Erfolg.
Die Ministerin will ein deutsch-polnisches Frühwarnsystem etablieren, um - wenn nötig - schnell abgestimmt handeln zu können. Doch auch auf diese Forderung sind polnische Behörden bisher nicht eingegangen. Sie verweisen darauf, dass Flusswasser streng zu überwachen.
Umweltschützer und Wissenschaftler hoffen dieses Jahr mit einem blauen Auge davonzukommen - vorausgesetzt es kommt keine große Hitzewelle mehr.