Prozessbeginn in Frankfurt am Main Prinz Reuß und sein Netzwerk vor Gericht
Es ist das zweite von drei großen Staatsschutzverfahren wegen mutmaßlicher Umsturzpläne der "Gruppe Reuß". In Frankfurt am Main stehen Prinz Reuß und acht seiner mutmaßlichen Mittäter vor Gericht.
Von außen sah es gewaltig aus, innen soll alles ganz ruhig zugegangen sein. Als das Spezialeinsatzkommando der hessischen Polizei am 7. Dezember 2022 morgens um 6 Uhr in das ruhige Wohnviertel im Frankfurter Westend einrückte, lag der mutmaßliche Terrorführer Heinrich XIII. Prinz Reuß noch im Bett.
Während Fernsehbilder vor dem Haus martialisch ausgerüstete Spezialkräfte zeigten - unter anderem mit einer schweren Kettensäge - notierte die Polizei nüchtern, dass der Zugriff innen ohne besondere Vorkommnisse erfolgt sei. Lediglich die Wohnungseingangstür musste etwas leiden. Sie sei beschädigt worden und wurde seitlich neben den Türrahmen gelegt, notieren die Ermittler. Und etwas staubig und unordentlich sei die Wohnung des Prinzen gewesen.
Sprengfallen im Garten?
Prinz Reuß habe sich kooperativ verhalten, heißt es im Durchsuchungsbericht. Er wurde "in Schlafbekleidung" vorgefunden, durfte sich aber alsbald ankleiden und auch die Handschellen abnehmen.
Ohne zu zögern offenbarte er die Entsperr-Codes für seine SIM-Karte und sein Smartphone. Sonderlich kreativ war Heinrich XIII. hier nicht: Der Code lautete familiengemäß 0013. Auch die drängende Frage der Ermittler, ob es Sprengfallen oder geheime Tunnel auf dem Gelände seines Jagdschlosses in Thüringen gäbe, verneinte er umgehend.
Prinz, Jagdschloss, Umsturzpläne
Was von heute an vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main verhandelt wird, klingt nach dem Drehbuch eines schlechten Fernsehfilms und ist doch aus Sicht des Generalbundesanwalts die wohl bislang größte Verschwörung, die es in der Geschichte der Bundesrepublik gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung gegeben hat.
Schon seit Ende April läuft ein Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart gegen acht Männer, die als Teil des Umsturzplans eine Art neue Militärstruktur für Deutschland als sogenannte Heimatschutzkompanien geplant haben sollen. Ab Mitte Juni wird in einem dritten Prozess gegen weitere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe vor dem Oberlandesgericht München verhandelt werden - darunter die angebliche Hellseherin der Gruppe.
Doch in Frankfurt steht mit Prinz Reuß der angebliche Kopf des ganzen "hochverräterischen Unternehmens" vor Gericht, wie es in der trockenen Sprache der Juristen heißt. Und sein Waldschloss in Thüringen soll eine Art Hauptquartier gewesen sein.
Illustre Verschwörergruppe
Ziel des Umsturzes sei es gewesen, einen "Rat" einzusetzen, der Deutschland in der Staatsform des Deutschen Reichs von 1871 wiederherstellt, heißt es in der Anklage. Im "Rat" hätte es demnach Posten nach Art von Ministerien geben sollen. Namen wurden bereits gehandelt, einige davon werden neben Prinz Reuß vor Gericht stehen.
Es ist eine illustre Runde. Dazu gehört zum Beispiel die 59-jährige Birgit Malsack-Winkemann, frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin außer Dienst im Land Berlin. Sie hätte laut Anklage eine Art Justizministerin werden sollen. Im Ermittlungsverfahren hat sie bereits umfangreich zu den Vorwürfen ausgesagt. Wahrscheinlich wird sie das im Verfahren auch öffentlich tun.
Mit Maximilian Eder und Peter Wörner sind außerdem zwei frühere Soldaten der Eliteeinheit "Kommando Spezialkräfte" (KSK) der Bundeswehr unter den Angeklagten. Sie sollen zu den ersten Personen gehört haben, die die Verschwörung planten. Der Angeklagte Rüdiger von P. diente früher ebenfalls in einer Spezialeinheit der Bundeswehr, aus der später das KSK entstand. Der Angeklagte Michael F. war bis zu seiner Suspendierung im Jahr 2020 Polizeibeamter in Niedersachsen und im Bundestagswahlkampf 2021 Spitzenkandidat der Splitterpartei "Die Basis".
Gefährlich, aber nicht bedrohlich für die Demokratie
Doch wie gefährlich war die Gruppe? Nach der Festnahme war die mutmaßliche Verschwörung und damit auch das Ermittlungsverfahren als "Rollator-Putsch" verunglimpft worden - allen voran von der AfD, die ertragen musste, dass eine ehemalige Bundestagsabgeordnete aus ihren Reihen zu den Beschuldigten gehörte. Schnell meldete sich nach den Festnahmen ein Anwalt im Auftrag der Partei bei der Bundesanwaltschaft und verlangte Akteneinsicht zur Rolle Malsack-Winkemanns. Der zuständige Bundesanwalt Kai Lohse lehnte das kühl ab und verwies auf die weiter laufenden Ermittlungen.
Zur Gesamtbetrachtung gehört, dass die Angeklagten offenbar irrwitzigen Verschwörungsmythen anhingen. So sollen sie überzeugt gewesen sein, dass ein mächtiger Geheimbund namens "Allianz", bestehend aus den ehemaligen Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, in absehbarer Zeit die Macht in Deutschland übernehmen werde. Gleichzeitig glaubten sie an die Existenz unterirdischer Tunnelsysteme, in denen Kinder gefangen gehalten würden, um aus deren Blut ein Verjüngungselixier zu gewinnen. Weil sie fest daran glaubten, sollten Mitglieder der Gruppe auch bis zu einer halbe Million Euro an Betrüger in der Schweiz gezahlt haben, die behaupteten, einen Zugang zu einem der Tunnelsysteme finden zu können.
Die Bundesanwaltschaft hat jedoch keinen Zweifel, dass die Gruppe entschlossen war, Menschen zu töten, um ihre Ziele zu verwirklichen. Beispielsweise, indem der Bundestag gestürmt wird. Und dabei spielt keine Rolle, ob die Ziele realistisch waren, denn auch ein untauglicher Versuch hätte Menschenleben kosten können. Die Gruppe war also durchaus gefährlich, wenn auch für die Demokratie nicht bedrohlich.
Neues Gerichtsgebäude
617 Seiten lang ist die Anklage des Generalbundesanwalts gegen die nunmehr neun Angeklagten im Frankfurter Verfahren. Ursprünglich sollten es zehn sein, ein Mann verstarb allerdings noch vor Beginn der Hauptverhandlung. Er sei einer langjährigen schweren Erkrankung erlegen, heißt es aus Justizkreisen. Alle neun Angeklagten haben mindestens zwei, manche auch drei oder vier Anwälte an ihrer Seite - schon dadurch wird es ein Prozess der Superlative.
Das Oberlandesgericht hat aufgrund der Zahl der Beteiligten, aber auch wegen der besonderen Sicherheitsvorkehrungen eilig ein neues Prozessgebäude im Frankfurter Stadtteil Sossenheim aus dem Boden gestampft. Manchmal kann die vermeintlich träge Justiz also auch schnell, wenn es sein muss. Auch wenn es seit vielen Jahren die Klagen gibt, dass die räumlichen Voraussetzungen für größere Staatsschutzprozesse im Frankfurter Justizzentrum ungenügend sind.
Kritik an Aufteilung der Verfahren
In diesem neuen Verhandlungssaal wird voraussichtlich viele Monate, vielleicht jahrelang verhandelt werden. Niemand traut sich im Vorfeld, eine halbwegs verlässliche Zeitprognose zu stellen. Denn jenseits der Zeugen und Sachbeweise aus der dicken Anklageschrift ist einerseits mit langen Aussagen einiger Angeklagter zu rechnen, andererseits dürften die beiden anderen Verfahren in Stuttgart und München unmittelbare Auswirkungen auf das Frankfurter Verfahren haben.
Gut denkbar also, dass die Vorsitzende Richterin aus München und der Vorsitzende Richter aus Stuttgart im Verfahren in Frankfurt als Zeugen über ihren jeweiligen Verfahrensverlauf gehört werden. Einen "Reisezirkus" fürchten Verfahrensbeteiligte, einzelne Anwälte fordern gar die Zusammenlegung der drei Prozesse und beklagen eine "willkürliche Aufteilung" und Nachteile für ihre Mandanten.
Sehr wahrscheinlich werden all diese Anträge vor den Oberlandesgerichten scheitern. Doch die Frage, ob die Aufteilung eines einheitlichen Sachverhalts auf drei verschiedene Gerichte durch den Generalbundesanwalt rechtlich einwandfrei war, wird über den drei Verfahren schweben, bis irgendwann nach Ende der Prozesse der Bundesgerichtshof im Rahmen der Revision einen Blick auf die Sache geworfen haben wird.