Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen Stigmatisierungen und Versorgungsmängel
Bei der Versorgung und Betreuung ungewollt Schwangerer gibt es viel zu tun. Wer eine Schwangerschaft abbrechen möchte, hat mitunter große Probleme, sich zu informieren und eine Klinik zu finden.
An den Moment, als der Schwangerschaftstest plötzlich "positiv" anzeigte, kann sich Laura Hessel aus Tübingen noch genau erinnern. "Das war ein Schock. Ich habe gar nicht damit gerechnet, schwanger zu sein", sagt die heute 26-Jährige. Weil sie ihre Periode unregelmäßig bekomme, habe sie nicht mit einer Schwangerschaft gerechnet, wollte mit dem Test sicher gehen.
"Schon der erste Gedanke war: 'Das kann nicht sein. Ich will das nicht.' Das Bauchgefühl, dass ich die Schwangerschaft nicht fortführen möchte, war also von Anfang an da", erzählt Hessel. "Ich habe mich dann relativ schnell mit der Person besprochen, von der ich schwanger war. Und bei ihm war das gleiche Gefühl da."
Anstrengende Wochen bis zum Abbruch
Wie anstrengend die Zeit nach dem positiven Schwangerschaftstest werden würde, hatte Hessel nicht kommen sehen. Allein einen Termin bei einer Gynäkologin zur ärztlichen Feststellung der Schwangerschaft zu bekommen, sei schwierig gewesen, weil sie nicht in ihrer Heimatstadt war.
"Es waren dann fast drei Wochen vom Schwangerschaftstest bis zum Abbruch", erzählt sie. "Und das ist natürlich eine unglaublich anstrengende Zeit. Immer wieder muss man mit Menschen, die man nicht kennt, darüber sprechen. Und immer wieder weiß man nicht, wie die Menschen reagieren würden, auf die man trifft."
Studie belegt Stigmatisierungen und Versorgungsmängel
In einer ersten umfassenden Erhebung haben Wissenschaftler von sechs Universitäten mehr als 5.000 Frauen zu ihren Erfahrungen bei gewollten und ungewollten Schwangerschaften befragt. Das Projekt "Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer" (kurz: ELSA) wird vom Bund gefördert. Erste jetzt veröffentlichte Zahlen belegen ein regionales Versorgungs- und Informationsproblem.
Demnach berichten fast 60 Prozent der befragten Frauen von Schwierigkeiten, an Informationen zum Schwangerschaftsabbruch zu kommen. Mehr als jede Vierte musste mehr als eine Einrichtung kontaktieren, um einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.
Besonders gering sei die Versorgung laut Forschern in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Hoch sei sie dagegen etwa in Stadtstaaten wie Berlin und Hamburg.
Insgesamt leben rund 4,5 Millionen Menschen in Deutschland mehr als 40 Minuten Autofahrt von spezialisierten Kliniken entfernt. "Je länger das dauert, desto schwieriger kann unter Umständen auch der Schwangerschaftsabbruch sein und auch die Belastung steigen", sagt die Leiterin der ELSA-Studie, Daphne Hahn von der Hochschule Fulda.
Neben der medizinischen Versorgung mache Betroffenen noch anderes zu schaffen: "Wir haben festgestellt, dass der größte negative Einflussfaktor auf das psychische Wohlbefinden die Stigmatisierung ist."
Verbot von "Gehsteigbelästigungen"
Stigmatisierungen und auch Proteste müssten Frauen immer wieder aushalten. Als belastend beschreiben Betroffene sogenannte "Gehsteigbelästigungen", bei denen Abtreibungsgegner vor Beratungsstellen demonstrieren.
Mit einer Überarbeitung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes will die Bundesregierung diese Protestform als "nicht hinnehmbare Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Schwangeren" künftig verbieten. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde bereits im Bundestag debattiert.
Tomislav Čunović von der ultrakonservativen christlichen Bewegung "40 Tage für das Leben" sieht darin einen Eingriff in die vom Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit: "Die Versammlungen finden immer friedlich statt. Und wenn sich dort jemand dran stört, dann muss man leider Gottes sagen, dann ist es halt so. Das muss man dann aushalten."
Den Abbruch einer Schwangerschaft nennt Čunović "vorgeburtliche Kindstötung", spricht davon, dass dem "ungeborenen Menschen (...) vorab die Menschenwürde abgesprochen" werde.
Expertenkommission empfiehlt Legalisierung
Rechtlich gesehen ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland verboten, bleibt aber bis zur zwölften Schwangerschaftswoche unter bestimmten Auflagen, etwa einem verpflichtenden Beratungsgespräch, straffrei. Eine von der Bundesregierung berufene Expertenkommission will in der kommenden Woche eine Legalisierung empfehlen.
In dem Bericht heißt es: "Der Schwangerschaftsabbruch ist daher in der Frühphase der Schwangerschaft - anders als bislang - rechtmäßig zu stellen."
Droht eine weitere Polarisierung des Themas?
Von der Opposition hagelt es bereits Kritik. Man müsse ungeborenes Leben mehr achten, sagt etwa Unions-Fraktionsvize Dorothee Bär: "Die Debatte ist ohne Not vom Zaun gebrochen. Wir haben seit über 30 Jahren einen Rechtsfrieden in unserem Land."
Laura Hessel aus Tübingen begrüßt den Vorschlag der Expertenkommission und betont, dass es wichtig sei, das Thema Schwangerschaftsabbruch endlich zu enttabuisieren. Dabei helfe eine Legalisierung.
Inzwischen studiert Hessel Medizin und hat ein klares Ziel: Als Gynäkologin möchte sie künftig selbst Patienten in schwierigen Situationen zur Seite stehen.