Solidaritätsdemo für Israel "Schutz jüdischen Lebens ist Bürgerpflicht"
Emotionale Großkundgebung in Berlin: Tausende Menschen haben ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt - und ihre Solidarität mit Israel gezeigt. Bundespräsident Steinmeier sagte, der Schutz jüdischen Lebens sei "Bürgerpflicht".
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei einer Großveranstaltung in Berlin seine Solidarität mit Israel bekundet und alle Bürgerinnen und Bürger zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland aufgerufen.
Dies sei Staatsaufgabe, "aber es ist auch Bürgerpflicht", sagte Steinmeier vor Tausenden Teilnehmenden der Kundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel am Brandenburger Tor. Er bitte "wirklich alle Menschen in unserem Land", diese Pflicht auch anzunehmen.
"Seit dem 7. Oktober ist nichts mehr, wie es war", so Steinmeier. Noch nie seit dem Ende der Shoah seien durch einen Angriff so viele Jüdinnen und Juden ermordet worden. Israel habe das Recht, sich gegen diesen Terror zu verteidigen. "Und Deutschland steht dabei fest an Israels Seite", so der Bundespräsident.
Den Angehörigen der von der Hamas verschleppten Geiseln rief der Bundespräsident zu: "Wir Deutschen leiden, wir beten, wir flehen mit Euch." Die Deutschen wollten alles für eine Freilassung tun. An die Geiselnehmer appellierte Steinmeier, die unschuldigen Menschen freizulassen.
Nach dem Angriff der militant-islamistischen Hamas habe Israel das Recht, sich zu verteidigen - bei der Demo war das auf Schildern zu lesen und vom Bundespräsidenten zu hören.
Hilfe für Menschen im Gazastreifen "Gebot der Menschlichkeit"
Angesichts antisemitischer Ausschreitungen der vergangenen Tage nannte es Steinmeier "unerträglich, dass Jüdinnen und Juden heute wieder Angst haben - ausgerechnet in diesem Land". Es sei ebenfalls unerträglich, dass jüdische Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Schule schickten und das Berliner Holocaust-Mahnmal von der Polizei geschützt werden müsse. "Jeder einzelne Angriff auf Jüdinnen und Juden, auf jüdische Einrichtungen ist eine Schande für Deutschland."
Zugleich betonte der Bundespräsident, dass der Terror auch Menschen im Gazastreifen treffe, "deren Interessen die Hamas nur vorgibt zu vertreten". Es seien die Terroristen, die Gaza in einen zerstörerischen, militärischen Krieg geführt hätten. "Wir müssen und werden uns für den Schutz von Zivilisten einsetzen; sie brauchen humanitäre Hilfe und humanitäre Korridore. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit", betonte Steinmeier.
"Notfalls muss abgeschoben werden"
Der Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, Daniel Botmann, forderte in Berlin "mehr als Absichtserklärungen (...), mehr als Solidaritätsbekundungen". "Wir verlangen Taten", sagte er. Es sei unerträglich, wenn jüdische Eltern Angst um ihre Kinder haben müssten. Botmann betonte, er sei stolz auf jede einzelne jüdische Gemeinde, die ihre Schule, ihre Kita oder ihre Synagoge weiter geöffnet hat - "weil es ihr Recht ist".
Botmann sprach sich zudem für härtere Konsequenzen von Antisemitismus aus: "Wer antisemitische Parolen schreit und keine deutsche Staatsbürgerschaft hat, muss ausgewiesen und notfalls auch abgeschoben werden." Wer die deutsche Staatsbürgerschaft habe, müsse empfindlich bestraft werden.
Israels Botschafter will kein "Ja, aber" mehr hören
Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, warnte auf der Großkundgebung vor einer Ausbreitung des Terrors der Hamas. Oft werde vor einem Flächenbrand durch den Nahostkonflikt gewarnt, sagte Prosor. Aber auch in Deutschland müsse ein Flächenbrand verhindert werden, "sonst kommt der Terror aus dem Gazastreifen auch in Deutschland an", sagte Prosor angesichts der antisemitischen Ausschreitungen in Deutschland der vergangenen Tage. "In diesen Tagen sind in Deutschland Synagogen zu Zielscheiben geworden."
Davidsterne seien auf Häuser geschmiert worden, in denen Jüdinnen und Juden leben. "Das darf nicht geduldet werden - null Toleranz für jede Form von Antisemitismus", rief Prosor unter Beifall. Er kündigte an: "Wir müssen jetzt im Gazastreifen die gesamte Infrastruktur des Terrors beseitigen - und wenn wir das tun, möchte ich wirklich kein 'Ja, aber' mehr hören." Er ergänzte: "Diesmal müssen wir bis zum Ende gehen."
Esken und Nouripour warnen vor Pauschalverurteilungen
Bei der Großkundgebung sprachen auch Politiker. CDU und FDP forderten einen härteren Kurs in der Migrationspolitik. "Wir haben ein großes Problem in Deutschland mit dem politischen Islam, dessen Bestandteil auch Judenhass ist", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. "Hier wurde zu lange weggeschaut. Wir müssen Abschiebungen intensivieren und die Einwanderung von Antisemiten unterbinden."
Ähnlich äußerte sich Bijan Djir-Sarai, Generalsekretär der FDP. "Wir müssen über Fragen wie Migration und Defizite in der Integrationspolitik viel deutlicher reden, wir müssen Klartext reden", sagte der Liberale. "Wir müssen deutlich machen, dass Menschen, die unsere Werte ablehnen, hier nichts zu suchen haben." Es sei schwer zu ertragen, dass die Terrorangriffe der radikalislamischen Hamas auf Berliner Straßen gefeiert worden seien. "Diese Menschen wollen wir nicht hier haben", sagte Djir-Sarai.
SPD-Chefin Saskia Esken vermied in ihrer Ansprache auf der Kundgebung derartige Forderungen. Sie warnte vor Pauschalverdächtigungen gegen Muslime. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtsextremisten den Terror der Hamas in einen fundamentalen Hass gegen den Islam wenden", sagte Esken. "Die Muslime, die mit uns leben, haben diesen Hass nicht verdient."
Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Omid Nouripour. Die Mehrheit der Muslime in Deutschland lehne den Terror der Hamas ab - dies sage er ausdrücklich auch "als Deutscher muslimischen Glaubens", so Nouripour.
Laut Polizei 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Die Solidaritätskundgebung stand unter dem Motto "Aufstehen gegen Terror, Hass und Antisemitismus - in Solidarität und Mitgefühl mit Israel". Zu ihr aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Initiativen, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und dem Zentralrat der Juden.
Es sprachen auch Angehörige der Geiseln sowie Vertreter von Parteien, Kirchen und Religionsgemeinschaften. Zahlreiche Demonstrierende schwenkten israelische Flaggen, zu sehen waren auch iranische und kurdische Fahnen sowie Transparente mit Aufschriften wie "Schluss mit dem Terror gegen Juden!". Zu lesen war auch: "Ich trauere mit den Angehörigen der israelischen Opfer - und der zivilen Opfer unter den Palästinensern."
Mit eindringlichen Worten schilderten Angehörige von Geiseln der Hamas ihren Schmerz und forderten die Befreiung der Verschleppten.
"Die Zeit läuft ab"
Eine Angehörige stimmte ein Geburtstagslied für ihre Schwester an, die mit ihrem Kind von der Hamas entführt worden war. "Ich weiß nicht, wo sie ist, ich kann sie nicht in die Arme nehmen", sagte die Frau. "Die Zeit läuft ab für meine Schwester und mehr als 200 Menschen, die in Gaza gefangen gehalten werden."
Ein Mann, dessen Töchter und Frau entführt wurden, sagte: "Ich möchte meiner Tochter und meiner Frau sagen: Haltet durch bitte, Euer Vater liebt Euch, habt keine Angst, umarmt einander. Unsere Liebe wird gewinnen und ihr werdet wieder in meine Arme zurückkehren."
Laut Angaben der Veranstalter kamen 25.000 Menschen. Die Berliner Polizei, die mit einem massiven Aufgebot vor Ort war, nannte 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Besondere Vorkommnisse oder Störungen gab es laut einer Sprecherin nicht.