Kirchen am Tag der Deutschen Einheit "Zusammenhalten, was derzeit auseinanderdriftet"
Kirchenvertreter haben am Tag der Deutschen Einheit zu mehr Zusammenhalt und Humanität aufgerufen. Bundespräsident Steinmeier bilanzierte die Rolle des Westens bei der Wiedervereinigung kritisch. Dieser habe falsche Signale gesendet.
Der Wunsch nach mehr Mitmenschlichkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt hat im Zentrum des ökumenischen Gottestdienstes zum Tag der Deutschen Einheit gestanden. Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs mahnte in ihrer Predigt im Hamburger Michel: "Lasst uns zusammenhalten, was derzeit in Politik und Gesellschaft so auseinanderdriftet."
Das sei Aufgabe von allen - ob religiös oder nicht, Ost und West, in politischen Parteien, Klimaforen, Sportvereinen und in der Flüchtlingshilfe. "Gemeinsam nur bringen wir den Tanker durch das Meer der Zeiten, auf dem Strom des Lebens, das Gott für uns will." Das Land sei ein anderes geworden. "Bunter und vielfältiger, aber auch älter und ängstlicher." Der Ton sei rauer, die Menschen seien sehr empfindlich. "Gerade deswegen brauchen wir gemeinsame Bilder und Erzählungen, eine gemeinsame Sprache, die uns verbindet", betonte Fehrs.
Heße betont Würde asylsuchender Menschen
Hamburgs katholischer Erzbischof Stefan Heße rief in seiner Predigt bei dem Festgottesdienst zur Solidarität mit Flüchtlingen auf und forderte eine Reform des europäischen Asylsystems. "Wir brauchen einen besseren Flüchtlingsschutz und eine faire Verantwortungsteilung zwischen allen EU-Mitgliedsstaaten - kurz gesagt: Wir brauchen eine menschenwürdige und eine solidarische Flüchtlingspolitik."
Allein im September seien an manchen Tagen 5.000 Menschen auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa angekommen. Heße betonte, es gehe zu allererst um Menschen. "Hinter allen diesen Zahlen und Herausforderungen stehen einzelne konkrete Menschen, deren Würde genauso unantastbar ist wie die unsere und eines jeden Menschen."
Im Rahmen des Gottesdienstes, der unter dem Titel "Ein Strom lebendigen Wassers" auch auf die Lage der Gastgeberstadt Hamburg an der Elbe anspielte, verwies Fehrs auch auf die trennende Rolle, die der Fluss vor der Wende spielte: Die Elbe sei nach der friedlichen Revolution "nicht mehr die todbringende Trennungslinie" gewesen.
Harbarth fordert Gespräche "in Respekt und mit Stil"
Beim anschließenden zentralen Festakt in der Elbphilharmonie rief der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, zu gemeinsamen Anstrengungen und Vertrauen auf. "Vertrauen, das heißt: sich etwas zutrauen, aber auch sich trauen, etwas wagen und riskieren, mutig sein und Zumutungen aushalten", sagte er angesichts der Probleme und Herausforderungen in der Welt. In Deutschland sei vieles gut, einiges exzellent, aber manches könne und müsse verbessert werden, um auch künftig zu bestehen.
Dabei halte die Geschwindigkeit staatlicher Entscheidungen und ihrer Umsetzung mit dem Tempo, in dem sich die Wirklichkeit verändere, immer weniger mit, so Harbarth. Die lange Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren sei nur ein Symptom eines grundsätzlicheren Befunds. "Unser Staat muss deshalb tradierte Handlungsmuster selbstkritisch überprüfen und anpassen, er muss lernen, seine Komplexität zu begrenzen und zu reduzieren. Er muss - auf allen Ebenen - besser, schneller, vor allem lösungsorientierter werden."
Aber auch der handlungs- und leistungsfähige Staat brauche private Initiative und persönliches Engagement. Das Grundgesetz baue darauf, dass Bürgerinnen und Bürger sich einbringen. "Dieses Sich-Einbringen ist nicht nur Quell von Innovation und Fortschritt, von wirtschaftlicher Prosperität und ökologischer Nachhaltigkeit, sondern zugleich das unverzichtbare Band, das unsere Gesellschaft zusammenhält", sagte er. Zugleich rief Harbarth zu mehr Miteinander auf: "Die Demokratie lebt auf Dauer nur, wenn wir alle miteinander im Gespräch bleiben. Wagen wir dieses Gespräch über die Grenzen des Bekannten hinaus, in Respekt und mit Stil."
Steinmeier sieht Fehler beim Westen
Verbindendes und Trennendes hatte am Vorabend auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den tagesthemen thematisiert. Der Westen habe nicht die Notwendigkeit gesehen, sich zu verändern. Das sei ein "Teil des Dilemmas". Der 3. Oktober sei "Erinnerung, Bilanz und immer mehr der Blick auf den Horizont". Bei den Erinnerungen gebe es einen unterschiedlichen Blick der Generationen.
Die Deutsche Einheit vertrage eine selbstkritische Bilanz. Er habe in Ostdeutschland viel gelernt, betonte Steinmeier. "Es geht nicht nur um das Materielle. Es geht um das Gefühl, gleichwertig zu sein." Dabei gebe es Unwuchten. Es habe in der Vergangenheit seitens des Westens das Signal für viele Ostdeutsche gegeben: "Ihr habt ein falsches Leben gelebt." Die ostdeutsche Geschichte müsse mehr Teil der gemeinsamen Geschichte werden.
"Illegale Migration eindämmen"
Steimeier äußerte sich auch zum Thema Migration. Die Überlastungssituation in den Kommunen angesichts der Zahl der Asylsuchenden erinnere ihn an die Asylpolitik von 1992/1993, an "die Überlastungssignale, die von Bürgermeistern und Oberbürgermeistern kamen, die dann dazu geführt haben, dass die Politik handelt - und die Erwartung haben die Menschen in der gegenwärtigen Situation auch". so Steinmeier.
Ein erster Schritt sei getan, indem die Bundesregierung der Krisenverordnung zur EU-Asylreform zugestimmt habe. Es sei aber auch wichtig anzuerkennen, dass die Ankunftszahlen runter müssten. "Die sogenannte illegale Migration müssen wir eindämmen", so Steinmeier. Es brauche eine Begrenzung der Zugänge. Eine konkrete Zahl könne er nicht nennen - dafür brauche es aber Antworten von der Politik.
Die Begrenzung sei am Ende aber nur zu erreichen, wenn Deutschland mit anderen europäischen Mitgliedstaaten Kontrollen an den Außengrenzen durchführe. Für Menschen, die keine oder kaum eine Chance auf Asyl haben, solle das Prüfverfahren an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden, und sie sollten dann auch von dort aus abgeschoben werden, so Steinmeier. "Dann werden sich auch die Ankunftszahlen in Deutschland verringern." Man solle darauf verzichten, so zu tun, als gebe es den einen Hebel, mit dem das Problem morgen verschwinde.