Dennis

Terror in Deutschland Wenn Jugendliche zu Terroristen werden

Stand: 30.09.2024 09:13 Uhr

Nach ARD-Recherchen hat das Bundeskriminalamt zehn bis 30 Minderjährige im Blick, denen die Behörde einen Terroranschlag zutraut. Dennis, inzwischen ein Aussteiger, war zuerst Rechtsterrorist, dann jahrelang Dschihadist.

Von Tobias Dammers, ARD Kiew

Aus dem sperrigen Pappkarton, in dem sich die Überbleibsel seiner jahrelangen Radikalisierung stapeln, zerrt Dennis ein schwarz-weißes Banner mit arabischen Schriftzeichen. Es ist die Fahne der sogenannten Terrormiliz "Islamischer Staat". In Deutschland ist die Flagge ein verfassungswidriges Kennzeichen einer verbotenen Organisation.

Danach zieht er eine scharf geschliffene Machete, eine Schussweste und einen Koran hervor. Daneben liegen schwarze Pullover mit rechtsradikalen Slogans. "Ich wollte Menschen töten, ich war da richtig scharf drauf", erzählt Dennis.

Er stammt aus Süddeutschland, ist Mitte 20, schlaksig und trägt eigentlich einen anderen Namen. Seine extremistische Einstellung führt ihn über Jahre zuerst ins rechtsterroristische Milieu, später schließt er sich gewaltbereiten Dschihadisten an, jetzt versucht er den Ausstieg aus der Szene.

Radikalisierung mit 16 Jahren

Dennis' Radikalisierung beginnt online, als er 16 Jahre alt ist. Im Internet kommt er mit Rechtsextremen aus den USA in Kontakt, die ihn ideologisch mit ihrem Hass auf Juden und Migranten prägen.

"Ich war Rassist und Antisemit", sagt er. Dies sei zu einer Zeit passiert, als er "wenige Freunde" hatte. Kurze Zeit später zieht er in eine Wohngemeinschaft von mehreren Rechtsextremen in einer norddeutschen Stadt.

Dort, so beschreibt er es, habe er mit anderen Neonazis "andersfarbigen Leuten" aufgelauert, um diese zu schlagen und "einen Nazi-Kiez zu errichten", gibt Dennis zu. Des Weiteren hätten sie bewaffnete Anschläge auf den Imam der Stadt und Grünen-Politiker geplant. Dazu hätten sie schon trainiert und Adressen herausgesucht.

Persönliche Anerkennung in der Extremisten-Szene

"Leute zu töten war erstmal nicht geplant. Wenn es aber passiert wäre, hätten wir es Kollateralschaden genannt", erzählt Dennis. Ihnen sei es vor allem darum gegangen, Amtsinhaber zum Rückzug von ihren politischen Mandaten zu bewegen - und um persönliche Anerkennung in der Extremisten-Szene. Gescheitert seien die Attentate, weil Komplizen abgesprungen seien und das Geld gefehlt habe, behauptet Dennis.

Zur gleichen Zeit hätte seine Gruppe auch Kontakt zu der rechtsextremistischen Gruppierung "Combat 18 Deutschland" gehabt, um eine regionale Untersektion der Organisation zu gründen. Im Jahr 2020 wurde "Combat 18" vom Bundesinnenministerium wegen dessen "Wesensverwandtschaft" mit dem Nationalsozialismus aufgelöst.

Nicht alle von Dennis' Angaben lassen sich unabhängig überprüfen, aber die Sicherheitsbehörden bestätigen seine Erzählungen.

Vom Neonazi zum Salafisten

Nach einigen weiteren Monaten, so schildert es Dennis, bricht er aus Enttäuschung mit der rechtsextremen Szene. Online radikalisiert er sich neu: Dieses Mal wendet er sich der Salafisten-Szene zu. Das verbindende Element zwischen Nazi- und Islamisten-Szene bildet sein ausgeprägter Judenhass.

"Keine zwei Wochen und ich hatte deutsche Kontakte in Syrien", berichtet Dennis. Er will nun nach Syrien ausreisen, um dort im Krieg für eine islamistische Miliz zu sterben. Mit einem Softairgewehr trainiert er Zuhause den Umgang mit Kriegswaffen.

Auch eine Machete bestellt er sich. "Ich dachte mir damals, vielleicht brauche ich es ja irgendwann mal", sagt er heute. Zu der Frage, ob er islamistische Anschläge in Deutschland begehen wollte, äußert Dennis sich widersprüchlich. "Ich hatte das im Hinterkopf", sagt er. "Aber ich wäre dazu nicht fähig gewesen."

BKA hat minderjährige Gefährder im Blick

Dennis ist kein Einzelfall, denn die Gefahr durch jugendliche Terroristen steigt. Im Februar 2023 ist ein damals 16-Jähriger verurteilt worden, der einen wohl rechtsextremen Anschlag auf seine Schule geplant hatte. Im Dezember wurde ein 18-Jähriger Potsdamer Rechtsextremist verurteilt, der einen Anschlag mit improvisierten Bomben vorbereitet hatte.

An Ostern konnte die Polizei vier 15- und 16-Jährige mutmaßliche Islamisten festnehmen, die Anschläge in Deutschland geplant haben sollen. Im Juni wurde ein 15-Jähriger verurteilt, der aus islamistischen Motiven einen Lkw-Angriff auf einen Weihnachtsmarkt in Leverkusen geplant hatte.

Im August mussten in Wien drei Konzerte der US-Sängerin Taylor Swift wegen Terrorgefahr abgesagt werden. Festgenommen wurden unter anderem ein 19-jähriger und ein 17-jähriger Islamist. In München schoss im September ein 18-Jähriger Österreicher vor dem israelischen Generalkonsulat um sich.

Nach Recherchen des ARD-Formats Y-Kollektiv hat das Bundeskriminalamt "eine niedrige zweistellige Zahl" an Minderjährigen im Blick, denen die Behörde einen Anschlag in Deutschland zutraut. Diese Zahl sei in den vergangenen Jahren ungefähr stabil geblieben.

Die Mehrheit dieser ungefähr zehn bis 30 Jugendlichen seien Islamisten. Dann folgten rechtsextreme Gefährder. Junge, linksextreme potenzielle Terroristen gibt es demnach weniger. Eine besondere Gefahr gehe von denen aus, die sich online und allein radikalisieren.

Der EU-Polizeibehörde Europol zufolge werden Terror-Tatverdächtige zunehmend jünger und sind häufig sogar noch minderjährig. Eine Untersuchung der Universität Hamburg kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen 2001 und 2022 rund ein Fünftel aller Beteiligten bei islamistischen Terror-Vorfällen in Deutschland minderjährig war.

Terrorabwehr mit Hinweisen aus dem Ausland

Bei der Polizei in Düsseldorf ist Colin Nierenz für Terrorabwehr zuständig. An Ostern 2024 hat der Polizeibeamte unter anderem den Einsatz gegen die Gruppe von mehreren radikalisierten 15- und 16-Jährigen geleitet. Diese wurden festgenommen, weil sie mutmaßlich islamistische Anschläge begehen wollten.

Derzeit sorgen ihn vor allem junge Täter, die sich online radikalisieren. Zuletzt, betont Nierenz, habe sein Team "mehrere" Anschläge verhindert. Dabei sei es "immer um junge, radikalisierte Täter" gegangen. Und wie zum Beispiel der Terroranschlag mit drei Todesopfern in Solingen im August 2024 zeigt, stellen insbesondere Angriffe mit Messern eine Gefahr da.

Um fortschreitende Radikalisierungen zu entdecken und Terroranschläge zu verhindern, nutzen Nierenz und seine Kollegen Daten aus beschlagnahmten Handys, Tipps aus der Bevölkerung und Ergebnisse verdeckter Ermittlungen im Internet. Daneben seien aber auch "Hinweise von benachbarten Polizeibehörden aus dem Ausland" von zentraler Bedeutung. Denn die hohen rechtlichen Anforderungen, beispielsweise beim Datenschutz, machten Terrorabwehr in Deutschland komplizierter als in anderen Ländern, so Nierenz.

Ausstieg aus der extremistischen Szene

Um Extremisten den Ausstieg aus ihren radikalen Gruppen zu ermöglichen, gibt es zahlreiche Programme, die bei diesem Schritt unterstützen. Eines dieser Projekte ist "Wendepunkt" des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Es richtet sich speziell an ausstiegsbereite Rechtsextremisten.

Häufig seien Enttäuschungen wie der Verrat durch angebliche Kameraden Momente, die die Bereitschaft zum Ausstieg wachsen lasse, erklärt die Leiterin des "Wendepunkt"-Programms. Aus Sicherheitsgründen möchte sie nicht, dass ihr Name veröffentlicht wird.

Die Beamtin sagt, sie erhalte "fast täglich" neue Anfragen per E-Mail. Diese Angabe ist nicht zu überprüfen. Generell gehe es bei einem Ausstieg sowohl um eine ideologische Distanzierung vom Extremismus als auch um eine soziale Stabilisierung. Konkret bedeutet das, dass sich ihr Team häufig zunächst um Angelegenheiten wie Behördengänge, Miete, Psychologen und Umzüge kümmere. Auch Namensänderungen seien in manchen Fällen möglich.

Folgen einer jahrelangen Radikalisierung

Laut Angaben der Bundesregierung ist in den vergangenen Jahren "eine niedrige zweistellige Zahl" an Rechtsextremisten mit "Wendepunkt" ausgestiegen. Einer davon ist Dennis, der ehemalige Neonazi-Terrorist und Dschihadist. Die Geburt seines ersten Kindes hätte ein Umdenken bei ihm erzeugt, schildert Dennis.

Bis heute begleiten ihn mehrere "Wendepunkt"-Ausstiegsbetreuer. Sie haben ihm geholfen, eine neue Wohnung für ihn und seine Familie in einem anderen Bundesland zu finden. Aber bis heute spürt Dennis auch die Folgen seiner Radikalisierung: Er ist in psychologischer Behandlung und leidet unter Albträumen von Krieg, Tod und Terror.

Die Reportage "Teenie-Terroristen: Warum wollen Minderjährige töten?" finden Sie in der ARD-Mediathek.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 06. September 2024 um 05:00 Uhr, in der ARD-Mediathek finden Sie die Reportage.