Grüne nach der Niedersachsen-Wahl Ein Erfolg mit Warnsignalen
Die Grünen haben in Niedersachsen ein Rekordergebnis eingefahren. Aber so richtig freuen kann sich die Partei nicht. Denn in der Ampel und auch innerhalb der eigenen Reihen könnte der Druck weiter steigen.
In den ersten Reihen jubeln sie auf der Wahlparty in Hannover. So gehört sich das, wenn man sich ganz vorn hinstellt. Aber weiter hinten wird es schon verhaltener. Kein Wunder: Ein bisschen mehr hatte man sich doch zugetraut, am besten eine Verdopplung des Ergebnisses von 2017. "Klar hätten wir uns ein paar Stimmen mehr erhofft", sagt Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang noch am Abend in ihrem Interview-Marathon in der Berliner Bundesgeschäftsstelle.
In den verhaltenen Hannoveraner Jubel, das weiß die Parteispitze, mischen sich einige Risiken. Da ist zunächst der noch stärkere Druck auf die Berliner Koalition: Die FDP hat auf Wahlschlappen und fallende Umfragewerte bislang mit dem Versuch reagiert, sich in der Ampel stärker zu profilieren und am besten die Grünen vor sich herzutreiben. Es ist wahrscheinlich, dass die Liberalen diese Strategie auch nach dem Desaster in Niedersachsen weiter fahren. Parteichef Christian Lindner und andere haben das am Wahlabend schon angedeutet.
Bloß nicht zu sehr mit der FDP streiten
Und die Grünen? "Ich drücke der FDP die Daumen, dass sie reinkommen", hatte Omid Nouripour dem Koalitionspartner am frühen Abend in einem Fernsehinterview zugerufen. Aus diesem Wunsch dürfte auch das eigene Parteiinteresse gesprochen haben. Auffällig oft betont die grüne Spitze nun, man wolle "gemeinsam" agieren. Nouripour spricht von einem "Vertrauensverhältnis" in der Ampel. Es wirkt wie das Beschwören der Koalitionspartner, jetzt bloß nicht noch nervöser und zerstrittener aufzutreten.
Denn genau dieses Verhältnis zwischen Grünen und FDP - das zuletzt ohnehin angespannt war - könnte einen weiteren Vertrauensverlust nur schwer verkraften. Es gibt einfach zu viele Themen, bei denen sich beide verhakt haben. Und die Zeit drängt, zum Beispiel in der AKW-Frage.
Hinter den Erwartungen zurückgeblieben
Auch die Grünen selbst gehen aus dem Ergebnis längst nicht so gestärkt wie erhofft hervor: Noch im Sommer wären in Niedersachsen laut Umfragen über 20 Prozent denkbar gewesen. Vieles deutet darauf hin, dass die Partei über den Herbst und Winter einen weiteren Sinkflug antritt: Ihre Bundesminister, besonders Wirtschaftsminister Habeck, verlieren in Umfragen, wie etwa im jüngsten ARD-DeutschlandTrend, ihre sehr hohen Beliebtheitswerte. Die Arbeit der Ampel insgesamt wird immer kritischer betrachtet.
Bislang waren vor allem Habeck und Baerbock so etwas wie Superstars ihrer Partei und deren heimliche Vorsitzende. Kohlekraftwerke wieder ans Netz, Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und mehr - das hat die Basis erstaunlich ruhig hingenommen. "Muss halt", so war die Grundstimmung. Wahlerfolge und Umfragehochs haben vieles geglättet.
Auch parteiintern gibt es Zwist
Doch in den letzten Wochen nimmt die Kritik parteiintern zu. Ende der Woche, beim Bundesparteitag in Bonn, könnte es doch mal lauter zugehen bei den sonst so zahm gewordenen Grünen. Und die Kritik betrifft vor allem den Kurs der beiden Minister im Rampenlicht.
Mit einem Dringlichkeitsantrag versuchen zahlreiche Abgeordnete, doch noch die Abbaggerung von Lützerath zu verhindern. Der AKW-Streckbetrieb sei eine "getarnte Laufzeitverlängerung", kritisieren Berliner Grüne. Die Regierungsmitglieder hätten in der öffentlichen Wahrnehmung "den Bezug zur Lebensrealität der allermeisten Menschen verloren", attestiert ein Antrag, der deutlich mehr Entlastungszahlungen fordert. Und selbst in der Frage, wie die Bundesregierung dem russischen Angriffskrieg begegnen soll, gibt es mittlerweile Zwist in der Partei.
Wenn die Grünen in Hannover in eine Koalition eintreten, dann regieren sie in 12 von 16 Bundesländern mit. Aber Regieren hat auch einen Preis - "cost of ruling" nennt die Wissenschaft das. Und dieser Preis scheint in Krisenzeiten noch höher zu sein. Für die Grünen ist die kritische Frage vielleicht nicht, wie sie jetzt abschneiden, sondern wo sie am Ende dieses Winters stehen.