US-Wahl 2024
Europa und die US-Wahl Ende der sicherheitspolitischen Komfortzone?
Der US-Wahlkampf macht deutlich, wie groß die sicherheitspolitische Abhängigkeit Deutschlands von den USA ist. Seit Jahren fordern die USA mehr Engagement. Würde das mit einer etwaigen Präsidentin Harris anders?
Die Sicherheitslage in Europa ist heute deutlich angespannter als bei der Präsidentschaft Donald Trumps 2017. Und doch stellen sich die gleichen Fragen: Welche Auswirkungen würde eine erneute Präsidentschaft von Trump für die Sicherheit Europas haben? Wie würden sich die transatlantischen Beziehungen entwickeln? Und wie glaubwürdig wäre eine Abschreckung durch die NATO weiterhin? Fragen, die den Sicherheitsexperten Christian Mölling seit Jahren beschäftigen.
Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, zeigt sich erstaunt darüber, dass Europa nach wie vor zu wenig Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehme - trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
"Würde Kamala Harris gewinnen, gibt es die unterschwellige Hoffnung, dass die Europäer ihre sicherheitspolitische Komfortzone nicht verlassen müssen und weiter so machen können wie bisher", so Mölling. Doch der Gedanke sei falsch.
"Wir sind immer reaktiv"
"Wir tun gerne so, als ob die Amerikaner über unsere Sicherheit entscheiden und wir selbst ohnmächtig sind. Wir warten stets auf die amerikanischen Entscheidungen und sind immer reaktiv." Er kann nachvollziehen, dass viele US-Amerikaner gegenüber solch einem Anspruchsdenken den Kopf schütteln und Europa selbst in der Verantwortung sehen.
Die US-amerikanische Forderung, dass Europa mehr Geld in die eigene Verteidigung investieren sollte, existiert seit Jahren, sagt Christoph Heusgen, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, im ARD-Brennpunkt: "Egal, wer amerikanischer Präsident wird, es ist ganz klar: Die Amerikaner werden sich mehr auf die Sicherung des indopazifischen Raums konzentrieren, die Rivalität mit China wird einen größeren Stellenwert einnehmen. Und seit Obama sagen uns alle amerikanischen Präsidenten: Europäer, ihr müsst eure Hausaufgaben machen."
Diese Haltung verbindet viele Republikaner und Demokraten - und dennoch gibt es zwischen den beiden sicherheitspolitisch große Unterschiede in Bezug auf Europa. Gezeigt haben sich diese auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2024. In München zu Besuch waren Harris - als Vizepräsidentin der USA - und US-Senator J.D. Vance, zukünftig möglicher Vizepräsident Trumps.
Unterstützung für die Ukraine
Heusgen erinnert an Harris' Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz. "Kamala Harris hat sich sehr stark für die transatlantische Verbindung eingesetzt, sie hat den Geburtstag der NATO vorgefeiert. Sie hat auch gesagt, wie felsenfest sie für die Unterstützung der Ukraine steht." Ganz anders war der Besuch von J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu deuten, so Heusgen im ARD-Brennpunkt.
Er sei der einzige US-Senator in München gewesen, der sich nicht mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen habe. Zudem habe er in seinem Auftritt klargemacht, dass er gegen eine weitere Unterstützung der Ukraine sei. "Das war ein sehr starker Kontrast zwischen den beiden", so Heusgen.
Sowohl Trump als auch sein kandidierender Vize J.D. Vance fordern eine größere finanzielle Lastenteilung mit Europa in puncto Verteidigung. Vance könnte in der Ukraine-Frage noch ein größerer Hardliner sein als Trump selbst, so eine Analyse im NDR Info-Podcast "Streitkräfte und Strategien".
"Selbstgemachte Abhängigkeit und Bittstellertum"
Vance habe unter anderem gegen das 60-Milliarden-Dollar-Paket für die Ukraine gekämpft. Zitiert wird er im Podcast aus dem US-Senat im April: "Seit drei Jahren erzählen uns die Europäer, dass Putin eine existentielle Bedrohung für Europa ist und seit drei Jahren finden sie, wenn das wahr sein sollte, keine Antwort darauf."
Sicherheitsexperte Mölling versteht die teils harsche Kritik der US-Amerikaner. "Weil Europa keine Möglichkeiten geschaffen hat, sich um seine Sicherheit allein zu kümmern, ist es auch kein attraktiver Partner für die USA. Es hat nichts zu bieten und hat auch keine Alternativen zum US-Sicherheitsschirm. Das ist selbstgemachte Abhängigkeit und Bittstellertum."
Eine Warnung, die auch längst in Berlin angekommen ist. Den Europäern sicherheitspolitisch auf die Füße treten, das versuchen US-Präsidenten seit Langem. Vielleicht klappt es ja dieses Mal.