Ausfälle in Unternehmen Senkt Krankschreibung per Telefon die Hemmschwelle?
Die Erkältungssaison ist in vollem Gange. Als Ursache für den hohen Krankenstand sehen viele Arbeitgeber die telefonische Krankschreibung. Doch was ist dran an der Kritik?
Die telefonische Krankschreibung nennt Volker Wollersheim auch "Telefonjoker". Er ist Mitgesellschafter eines Maschinenbau-Unternehmens aus Niederkassel. In seinem Betrieb hat sich der Krankenstand nach seinen Beobachtungen in den letzten Jahren verdoppelt. Seit Beginn der Corona-Pandemie und der Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung beobachtet Wollersheim eine Veränderung: "Ich habe den Eindruck, dass bei einigen die Hemmschwelle gesunken ist. Es scheint einfacher, sich schnell telefonisch krankschreiben zu lassen, als persönlich in die Arztpraxis zu gehen."
Mit 155 Mitarbeitern könnte das für das Unternehmen zu einem wirtschaftlichen Problem werden. Der Betrieb stellt Maschinen her, die zur Produktion von Verpackungsmaterial dienen. "Wenn viele Kollegen fehlen, gerät möglicherweise mein Lieferplan ins Wanken", erklärt Wollersheim. Im schlimmsten Fall droht die Stornierung eines Auftrags - ein Szenario, das bereits vorgekommen sei.
Akkordarbeit in der Weihnachtszeit
Kneipenbesitzer Martin Schlüter reagiert allergisch auf den Begriff "telefonische Krankschreibung". Er betreibt eine Kneipe in der Kölner Innenstadt mit 27 Mitarbeitern und ist im Dezember voll ausgebucht. Diese Woche sind drei Mitarbeiter krank. "Das heißt Chaos pur. Ich bin rund um die Uhr hier. Das ist schon Hardcore", so Schlüter.
Auch er findet, dass telefonische Krankschreibung das krank sein zu "einfach" machen würde. Das sei gerade für Betriebe in der Gastronomie fatal. Denn sie seien auf jeden Mitarbeiter angewiesen. "Ich kenne Kollegen, die machen ihr Lokal zu oder machen viele Ruhetage, weil sie es nicht mehr allein gestemmt bekommen." Am liebsten würde Schlüter die telefonische Krankschreibung wieder abschaffen.
Daten zeigen kein auffälliges Muster
Die telefonische Krankschreibung gerät bei vielen Arbeitgebern in die Kritik und wird oft als Ursache für steigende Krankmeldungen gesehen. Doch was steckt wirklich dahinter?
Forscher des Leibniz-Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) haben sich mit dieser Fragestellung beschäftigt: "Nach unseren Analysen hat die telefonische Krankschreibung zu keinem Anstieg in den Krankschreibungen geführt. Zu Beginn der Einführung während der Corona-Pandemie, sind die Krankschreibungen sogar gesunken", erklärt Professor Nicolas Ziebarth. Selbst während der zeitweiligen Aussetzung der telefonischen Krankschreibung sei kein auffälliges Muster in den Daten erkennbar gewesen.
Laut Ziebarth gibt es andere Gründe für den Anstieg der Krankenzahlen in Deutschland. So werden Krankmeldungen seit 2022 elektronisch erfasst. Dadurch wissen die Krankenkassen inzwischen viel besser, wie viele Menschen tatsächlich krankgemeldet sind. Zudem habe die Zahl psychischer Erkrankungen zugenommen und es gebe seit der Pandemie mehr Atemwegsinfektionen.
Lösungen für weniger Krankheitstage
Andreas Dautz kümmert sich weltweit um die Gesundheit von 600.00 Mitarbeitern. Er ist Chef-Betriebsarzt der DHL und macht neben einem relativ hohen Durchschnittsalter in Deutschland auch die Zunahme psychischer Erkrankungen für den hohen Krankenstand mit verantwortlich. Für ihn liegt die Lösung besonders im Arbeitsumfeld: "Haupteinflusshebel auf die Gesundheit der Beschäftigten ist die Erhöhung der Arbeitszufriedenheit."
Ebenso sei es entscheidend, den Mitarbeitenden Perspektiven aufzuzeigen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Teams gegenseitig unterstützen. "Soziale Unterstützung ist ein Riesenschutzfaktor für die Gesundheit", betont Tautz.
Betriebsklima zentral für Gesundheit
Das Betriebsklima spielt eine entscheidende Rolle, darin ist sich auch Volker Wollersheim vom Maschinenbau-Unternehmen in Niederkassel sicher. Er zeigt volles Verständnis, wenn jemand krank ist, wünscht sich jedoch gelegentlich eine bessere Kommunikation. Denn ab und zu komme einfach nur eine kurze E-Mail bei der Personalabteilung an. Nach dem Motto: "Ich komme heute nicht."
"Ich würde mir wünschen, dass sich die Mitarbeiter trauen, auch direkt mit ihren Vorgesetzten zu sprechen, wenn sie krank sind," so Wollersheim. Eine offene und klare Kommunikation ist seiner Meinung nach ein Schlüssel, um auch sensible Themen wie Krankschreibung besser für alle Seiten zu meistern.