Mängel in der Abschiebepraxis Oft fehlt es an Kommunikation
Das Attentat von Solingen hat eine breite Debatte über Migration ausgelöst. Bund, Union und Länder beraten über Maßnahmen. Doch wo war der Fehler beim mutmaßlichen Täter? Würden die jetzt diskutierten Pläne daran etwas ändern?
Es ist Montag, der 5. Juni 2023. Mitten in der Nacht um 2:30 Uhr steht die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) an der Flüchtlingsnotunterkunft in Paderborn vor der Tür. Sie wollen den mutmaßlichen späteren Attentäter Issa al H. abholen und ihn in ein Flugzeug in die bulgarische Hauptstadt Sofia setzen. Der Abflug ist für 7:20 Uhr vorgesehen. Doch die ZAB trifft Issa al H. nicht an. Es soll bei diesem einen Abschiebeversuch bleiben.
Was nach einem Einzelfall klingt, ist laut Experten eher die Regel. "Es gibt viele Fälle, auch wenn es statistisch nicht wirklich gut erfasst wird, wo es nie probiert wird, wo einfach irgendwann ein Bescheid zugestellt wird", sagt Daniel Thym, Migrationsrechtler an der Universität Konstanz. "Oftmals passiert im Wesentlichen sechs Monate lang nichts und dann gibt es regulär ein zweites Asylverfahren in Deutschland. Die nordrhein-westfälischen Behörden haben es wenigstens ein Mal probiert."
Einige neue Regelungen umgesetzt
Die Bundesregierung hat das strukturelle Problem erkannt und inzwischen einige Regelungen angepasst. Eine davon: umfangreichere Möglichkeiten, Flüchtlingsunterkünfte abzusuchen. "Das ist eine der vielen Verschärfungen, die sich in den letzten Monaten ergeben haben", erklärt Sönke Leupolt, Anwalt für Ausländerrecht und Asylrecht. "Dass eben jetzt auch die Nachbarzimmer durchsucht werden dürfen nach einem Flüchtigen oder zum Teil Untergetauchten."
Eine weitere Neuerung: die Verlängerung der Abschiebehaft, die bisher bei sechs Monaten lag. "Die Länge der Abschiebungshaft ist erweitert worden auf mittlerweile 18 Monate", so Leupolt. "Es gibt einen sogenannten Ausreisegewahrsam. Das heißt, es gibt die Möglichkeit, Flüchtlinge in Gewahrsam zu nehmen, um so eine spätere Abschiebung durchführen zu können."
Kaum Kommunikation
Nach wie vor offenbart das System aber große Schwächen. Zwar soll es sogenannte Echtzeit-Listen geben, wer sich in den Asylunterkünften des Landes aufhält. Doch ausgerechnet die für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörden haben bis heute keinen Zugriff darauf.
"Da muss sich dringend etwas ändern. Und wir müssen die Einrichtungen auffordern, zu melden, wenn jemand da ist oder wo er dann ist, wenn er mal rausgeht", sagt Gregor Golland (CDU), der stellvertretender NRW-Fraktionsvorsitzender ist.
Besonders mangelhaft in diesem Fall: die Kommunikation. Hier gibt es bisher nur wenig gesetzliche Vorschriften. Die Flüchtlingsunterkunft ist bisher nicht verpflichtet, der Zentralen Ausländerbehörde mitzuteilen, wo sich die gesuchte Person zum Zeitpunkt des Abschiebeversuchs aufhält.
Ein exemplarischer Fall
"In den Flüchtlingsunterkünften selbst ist das immer ganz unterschiedlich organisiert", erklärt Leupolt. "Da gibt es einen Hausmeister, der vor Ort ist. Aber der ist ja oft kein Teil der Behörde. Sondern irgendjemand, der dort ist und der versucht zu registrieren, wer da ein- und ausgeht."
Auch die Zentrale Ausländerbehörde muss keine Meldung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über einen gescheiterten Abschiebeversuch erstellen. Auch aufgrund dieser mangelnden Kommunikationsrichtlinien passiert das, was nun exemplarisch wurde: ein Flüchtling, der eigentlich hätte abgeschoben werden soll, bleibt in Deutschland.