Sport in der Ukraine Fußballspielen bei Luftalarm
Wegen des Krieges treiben immer weniger Ukrainer Sport. Der Club Lokomotyv Kyiv will diesem Trend entgegenwirken - und fördert unter schwierigsten Bedingungen mehr als 700 Jugendliche, die dort Fußball spielen.
"Spiel den Ball her", ruft Bogdan. Der 12-Jährige kickt in der Nachwuchsmannschaft von Lokomotyv Kyiv, dem ältesten Fußballclub der ukrainischen Hauptstadt. Genau wie seine Mannschaftskameraden ist er hoch motiviert, will kein Training versäumen.
Und das obwohl der Krieg die Übungseinheiten stark beeinflusst. "Früher gab es viel mehr Möglichkeiten, um Fußball zu spielen", sagt er. "Zurzeit können wir aufgrund der Luftalarme und der Angriffe nicht immer trainieren. Unser Training kann ständig unterbrochen werden."
Mehr als 700 Jugendliche sind im Fußballclub angemeldet. Unter ihnen auch Kinder, die aus unmittelbaren Kriegsgebieten kommen.
Andrii ist aus der Südukraine geflohen. Er sagt, man solle sich die Raketen und Drohnen einfach nicht anschauen - und stattdessen Fußball spielen.
Eine Rakete zerstörte die Sporthalle
So wie Andrii. Er stammt aus Cherson in der Südukraine, floh von dort mit seiner Familie nach Kiew. Den Krieg versucht er weitestgehend auszublenden. "Während des Krieges fliegen Raketen und Drohnen", erzählt Andrii. "Man sollte sich das gar nicht anschauen, sondern einfach weiter Fußball spielen."
Wie groß die Gefahr ist, der sich die Sportler aussetzen, zeigt ein Angriff aus dem vergangenen Jahr. In einer Sporthalle, die zum Verein gehört, trainierten am Vormittag des 23. Januar einige Gewichtheber. Eine Rakete schlug ein, zerstörte das Gebäude und tötete einen Menschen.
"Wir haben damals viel Unterstützung von anderen befreundeten Fußballvereinen erhalten. Sie haben uns sowohl finanziell als auch moralisch geholfen", sagt Daria Fedorets, Pressesprecherin von Lokomotyv Kyiv. "Das hat uns dazu bewogen, weiterzumachen. Es war uns wichtig."
Mehr als 500 Sporteinrichtungen wurden in der Ukraine von Russland beschädigt oder zerstört.
"Der Sport hilft den Menschen, zu überleben"
Lokomotyv Kyiv ist kein Einzelfall. Der gesamte Sportsektor in der Ukraine ist vom Krieg betroffen. Hunderte Athleten und Trainer wurden getötet - mehr als 500 Sporteinrichtungen beschädigt oder zerstört.
Und dennoch haben auch die Erfolge bei den Olympischen und Paralympischen Spielen gezeigt, welchen Stellenwert der Sport noch immer in der Ukraine hat. "Vor allem in der jetzigen Zeit sehen wir, dass Sport ein zentrales Element der Gesellschaft ist, dass er die Menschen prägt", erklärt Matwij Bidny, Sportminister der Ukraine.
Wir merken, dass der Sport Menschen hilft, zu überleben. Er ermöglicht es ihnen, körperlich und mental gesund zu bleiben.
Matwij Bidny, Sportminister der Ukraine, betont die Bedeutung von Sport für die psychische Gesundheit der Ukrainer während des russischen Angriffskriegs.
Nur noch fünf Prozent der Ukrainer treiben Sport
Genau deshalb sei es auch wichtig, dass beispielsweise die Spiele der nationalen Fußballmeisterschaft regulär stattfinden. Doch der Profisport sei nicht vergleichbar mit dem Amateursport, sagt Bidny.
Dort gibt es ein großes Problem: "Eine Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, besagt, dass zurzeit nur etwa fünf Prozent der Menschen in der Ukraine Sport betreiben. Das ist natürlich viel zu wenig." Im europäischen Vergleich, wo die Quote bei teils über 60 Prozent liegt, ist man damit weit abgeschlagen.
Dem will die Ukraine nun mit neuen Gesetzesentwürfen entgegenwirken. Sportfunktionäre reisen zurzeit durchs Land und erklären den Kommunen die Bedeutung von Sport im Alltag - trotz der ständigen Bedrohungen durch russische Angriffe.
Es geht vor allem darum, Kinder zu fördern. Gemeinden sollen mit finanziellen Anreizen motiviert werden, ihre sportlichen Aktivitäten wieder aufzunehmen und Trainer aus der Region zu finden, die sich der Kinder annehmen wollen.
Mehr als 700 Jugendliche spielen im Fußballclub Lokomotyv Kyiv.
"Das einzige, was ablenkt, ist Fußball"
Solche Trainer gibt es bei Lokomotyv Kyiv bereits. Einer von ihnen ist Oleksandr Tschernetsky. Früher spielte er selbst professionell Fußball. Nun will er sein Wissen an die Kinder und Jugendlichen des Vereins weitergeben - insbesondere in Zeiten, die für sie sehr schwierig sind.
"Das Einzige, was den Kindern zurzeit Freude macht, was sie ablenkt, ist Fußball", so Tschernetsky. "Wir versuchen, sie von den negativen Nachrichten fernzuhalten. Sie sollen sich auf das Positive konzentrieren können."
Über die vergangenen Wochen gab es auch in Kiew mehrere Angriffe. Immer wieder musste das Training unterbrochen werden, die Jugendlichen in den vereinseigenen Schutzbunker gehen. Trotzdem machen sie hier weiter. Ihre große Hoffnung für 2025: dass sie ihren Lieblingssport bald wieder ohne Angst ausüben können.