Eisenhüttenstadt: Geflüchtete warten in einem Raum der Erstaufnahme auf dem Gelände der Zentralen Ausländerbehörde Brandenburgs (ZABH).
Player: videoUnion drängt auf Asylverfahren in Drittstaaten: Entwurf des Prüfberichts liegt vor

Verfahren in Drittstaaten Bericht rät von deutschem Asyl-Alleingang ab

Stand: 23.03.2025 08:00 Uhr

Die Bundesregierung hält weiter einen Bericht zu Asylverfahren in Drittstaaten zurück. Ein Entwurf liegt nun dem ARD-Hauptstadtstudio vor. Darin wird von einem Alleingang abgeraten. 

Von Philipp Eckstein und Claudia Kornmeier, ARD-Hauptstadtstudio

Asylverfahren in Staaten außerhalb der Europäischen Union auslagern - im vergangenen Jahr war das eine prominente Forderung unionsgeführter Bundesländer und von CDU/CSU. Die Bundesregierung sagte zu, die Umsetzbarkeit zu prüfen - doch das Ergebnis hält sie seit Monaten zurück. Dem ARD-Hauptstadtstudio liegt nun ein Entwurf des Abschlussberichts vor.  

Darin wird von einem deutschen Alleingang abgeraten: Eine Umsetzung könne "aufgrund der damit verbunden Komplexität des Themas allenfalls auf europäischer Ebene gelingen". Und: Das Drittstaatenkonzept tauge "nicht als Massenverfahren". Es könne allenfalls "ein Baustein von vielen zur Migrationssteuerung" sein. 

Für die unterschiedlichen Drittstaatenmodelle bestünden "gewisse rechtliche Risiken", die "Steuerungswirkung" sei "ungewiss" und es gebe "teils erhebliche praktische Herausforderungen und Hürden". Der Entwurf liest sich damit ähnlich skeptisch wie ein erster Sachstandsbericht, den die Bundesregierung im Juni 2024 veröffentlicht hatte. Eine grundsätzliche Neubewertung ist also auch dann nicht zu erwarten, wenn es vor einer Veröffentlichung noch redaktionelle Änderungen geben sollte. 

Anknüpfen an geltendes Recht

Der Entwurf des Fazits konzentriert sich ganz auf die Möglichkeit, an geltendes europäisches Recht anzuknüpfen und bestimmte Gruppen von Schutzsuchenden in sichere Drittstaaten zu bringen, damit sie dort Schutz beantragen. 

In Betracht komme das Modell etwa für Menschen ohne Identitätsdokumente oder für Situationen, in denen Flüchtlinge instrumentalisiert würden - sofern dies "innerhalb eines kurzen Zeitraums nachweisbar zu einem außergewöhnlich gestiegenen Migrationsdruck führt". So könne der Druck auf betroffene Mitgliedstaaten reduziert und gleichzeitig die Rechte von Schutzsuchenden gewahrt werden. 

Bislang dürfen Flüchtlinge nach dem Europarecht allerdings nur in ein Land geschickt werden, zu dem sie eine "Verbindung" haben. "Völkerrechtlich vorgeschrieben" sei dies nicht und es enge "politische Handlungsspielräume" ein, heißt es dazu in dem Entwurf. Tatsächlich gibt es auf europäischer Ebene Verhandlungen darüber, dieses sogenannte Verbindungselement abzuschaffen. 

Player: videoClaudia Kornmeier, ARD Berlin, zur Debatte über Asylverfahren in Drittstaaten

Claudia Kornmeier, ARD Berlin, zur Debatte über Asylverfahren in Drittstaaten

tagesschau24, 23.03.2025 16:00 Uhr

Wären Drittstaaten überhaupt dazu bereit?

Hinzu kommt das praktische Problem: "Nur eine relativ kleine Anzahl von Staaten in relevanten Regionen" komme überhaupt für ein solches Drittstaatenmodell in Frage. Es gebe allerdings "bisher keine Hinweise darauf, dass diese Drittstaaten bereit wären, über eine entsprechende Kooperation zu verhandeln, obwohl entsprechende Diskussionen in einer Reihe europäischer Mitgliedstaaten sehr offen geführt werden".  

Sollte es doch zu Verhandlungen kommen, sollten diese auf europäischer Seite gemeinsam geführt werden, so die Empfehlung in dem Berichtsentwurf. Würden einzelne Mitgliedstaaten allein vorgehen, bestünde die Gefahr eines Wettbewerbs untereinander mit nachteiligen Auswirkungen. Außerdem könnten so die Kosten solcher Kooperationen auf mehrere Länder verteilt werden. 

Kein Thema im Sondierungspapier

Anfang März hatten CDU, CSU und SPD gemeinsam ein Sondierungspapier vorgestellt, in dem erste Eckpunkte eines möglichen gemeinsamen Regierungsprogramms benannt werden. Das Thema Drittstaatenmodelle taucht darin nicht auf.  

Ein Anzeichen dafür, dass es zumindest in den Sondierungsgesprächen dazu keine grundsätzliche Einigung gegeben hat oder man das Thema wegen der praktischen Schwierigkeiten auf die europäische Ebene schieben will. Zu erfahren ist aber auch: Es soll weiter darüber beraten werden. Es könnte also im Koalitionsvertrag auftauchen. 

Immerhin hatten CDU und CSU in ihrem Wahlprogramm gefordert, dass jeder, der in Europa Asyl beantragt, "in einen sicheren Drittstaat überführt werden" soll, um dort ein Asylverfahren zu durchlaufen und bei Bedarf dort Schutz finden soll. So steht es auch im Grundsatzprogramm der CDU. Die SPD hat eine Auslagerung von Asylverfahren in ihrem Wahlprogramm dagegen ausdrücklich abgelehnt. 

Druck vor allem aus der Union

Im vergangenen Jahr machten bei dem Thema vor allem die unionsgeführten Bundesländer Druck. So forderte die Ministerpräsidentenkonferenz die Bundesregierung zuletzt im Oktober auf, bis Mitte Dezember "konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transitstaaten zu entwickeln". 

Nachdem das für Dezember geplante Treffen zwischen den Ländern und Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Bruch der Ampelkoalition abgesagt wurde, verstrich diese Frist. Die Bundesregierung kündigte allerdings an, den Bericht "zeitnah" zu veröffentlichen, wie das ARD-Hauptstadtstudio damals berichtete.

Zwei Monate später, im Februar, hieß es aus dem Bundesinnenministerium lediglich, der Bericht sei "weiter in der Endredaktion". Dieselbe Antwort teilt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums nun erneut mit und ergänzt: "Über die Veröffentlichung ist noch nicht entschieden."  

Gründe für die Verzögerung nennt das Innenministerium nicht, stellt aber klar, dass über die "politischen Schlussfolgerungen und die weitere Positionierung in dieser Frage" die "künftige Bundesregierung bestimmen" wird. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios wurde der Entwurf Mitte Dezember 2024 an das Kanzleramt geschickt.

Von den Bundesländern, die im Sommer noch so laut waren, hört man derweil nichts mehr dazu. Auch auf Nachfrage bleibt das aktuelle Vorsitzland der Ministerpräsidentenkonferenz, das CDU-geführte Sachsen, zurückhaltend: Es hätte keinen Sinn ergeben, diesen "wichtigen Aspekt der Migrationspolitik weiterhin mit der bisherigen Bundesregierung zu diskutieren". Man gehe davon aus, dass die neue Bundesregierung sich des Themas annehme. 

23 Expertinnen und Experten wurden angehört

Dabei ist in den Bericht viel Arbeit geflossen. Das Bundesinnenministerium hat im Frühjahr 2024 bei insgesamt fünf Terminen 23 nationale und internationale Expertinnen und Experten angehört. Mehrere der beteiligten Sachverständigen haben sich in den vergangenen Monaten verärgert gezeigt, dass der Bericht noch immer nicht veröffentlicht wurde.  

"Die Regierung hat mit der Prüfung viel Aufwand betrieben, aber kaum Ergebnisse veröffentlicht", sagt etwa die Migrationsforscherin Victoria Rietig. "Ich wünsche mir mehr Transparenz über den Abschlussbericht der Prüfung. Sonst entsteht der Eindruck, dass die Politik die Wissenschaft nur als Feigenblatt nutzt und bei Entscheidungen ignoriert."  

Ärzte ohne Grenzen hatte sich in einem offenen Brief an die Bundesregierung ähnlich geäußert und die Intransparenz als "inakzeptabel" bezeichnet. Eine faktenbasierte Debatte sei nur möglich, wenn alle relevanten Informationen zugänglich seien. "Ein Bericht mit so weitreichenden politischen und humanitären Implikationen darf nicht in der Schublade verschwinden", heißt es in dem Schreiben.  

Trauernde stehen nach einer Kranzniederlegung in einem Park in Aschaffenburg.

"Ich bin politisch sehr enttäuscht, dass die Bundesregierung das aufwendige Prüfverfahren ins Leere laufen lässt", sagt Andreas Grünewald von Brot für die Welt. "Das schafft Unsicherheit - und trägt dazu bei, dass Menschen das Vertrauen in politische Prozesse verlieren."  

Während die Sachverständigen also weiter auf den Bericht warten müssen, ist unklar, ob zumindest den Arbeitsgruppen von CDU, CSU und SPD, die gerade den Koalitionsvertrag verhandeln, der neueste Entwurf vorliegt. Das Bundesinnenministerium wollte das nicht konkret beantworten. Ein Sprecher teilt lediglich mit, dass das Ministerium "auf Nachfrage fachliche Informationen zur Verfügung" stellt - und die "Verhandlungspartner werden dabei gleich behandelt".  

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Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 23.03.2025 17:20 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info Aktuell am 21. Juni 2024 um 16:00 Uhr.