Das Rote Rathaus in Berlin.
interview

Berlin-Wahl "Kein Anspruch auf das Rote Rathaus"

Stand: 13.02.2023 14:21 Uhr

Die CDU ist stärkste Kraft in Berlin - und beansprucht die Regierungsbildung für sich. Mit der Erzählung vom "Wahlklau" sollte sie dennoch sehr vorsichtig sein, sagt Politikwissenschaftler Thorsten Faas.

tagesschau.de: Der Berliner CDU-Kandidat Kai Wegner ist ein Wahlsieger, der womöglich nicht regieren kann. SPD-Kandidatin Franziska Giffey ist dagegen eine abgestrafte Regierende Bürgermeisterin, die trotzdem weitermachen will. Und dann haben wir noch eine deutlich geringere Wahlbeteiligung in Berlin. Können Sie diesem Wahlergebnis trotzdem irgendwas Positives abgewinnen?

Thorsten Faas: Ja - es hat alles funktioniert. Das ist schon sehr beruhigend, weil wir natürlich darauf vertrauen müssen, dass Wahlen in Deutschland funktionieren. Das war 2021 in Berlin nicht überall der Fall, aber gestern hat es funktioniert. Ansonsten haben wir ja solche Situationen oft erlebt, dass die Tage nach dem Wahltag mindestens so spannend sind wie die Tage davor. Weil es verschiedene Koalitionsoptionen gibt und nicht völlig klar ist, was aus so einem Ergebnis eigentlich folgt. Natürlich können alle reklamieren, dass sie irgendwie einen Auftrag haben. Aber das sind keine Fragen von Mathematik, sondern das sind harte Verhandlungsfragen.

Thorsten Faas
Zur Person
Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt "Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland" am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität in Berlin.

tagesschau.de: In den Umfragen stellt es sich so dar, dass sehr viele Menschen in Berlin sehr unzufrieden sind.

Faas: Ja, das stimmt. Daran merkt man auch, dass dieser rot-grün-rote Senat insofern ungewöhnlich war, als dass er seltsam wenig geschlossen war. Das ist auch eine Quelle dieser Unzufriedenheit, die in Umfragen gerade überall sichtbar wird. Wenn es für diesen Senat weitergeht, dann muss die Zusammenarbeit dort eine andere werden. Denn das Bild nach außen war in der Tat kein gutes. Es wäre sicherlich keine Basis, um noch einmal dreieinhalb Jahre gemeinsam zu regieren.

Thorsten Faas, Politikwissenschaftler Freie Universität Berlin, analysiert die Wahlergebnisse und das Wahlverhalten

tagesschau24 10:00 Uhr

tagesschau.de: Hat Rot-Grün-Rot das Potenzial, eine völlig andere Zusammenarbeit hinzubekommen?

Faas: Da gibt es ja einen ausverhandelten Koalitionsvertrag. Das könnte auch durchaus ein Vorteil sein - im Vergleich zu Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot, die bei Null anfangen müssten für neue Verhandlungen. Veränderungen ließen sich auch über Personalentscheidungen transportieren. Darauf hat Giffey nach der Regierungsbildung 2021 in weiten Teilen verzichtet. Und das würde dieses Mal sicherlich sehr, sehr anders aussehen.

Aber spannend bleibt auch, wie sich die Parteien intern sortieren. Wir reden sehr viel darüber, wer da zwischen den Parteien zu Koalitionen zueinander findet. Aber gerade findet auch eine Meinungsbildung innerhalb der Parteien statt. Wer steht da eigentlich noch zu wem? Gibt es auch Signale, dass man sich anderes vorstellen könnte? Das ist eigentlich gerade der entscheidende Moment. Wie stellen sich die Parteien für die Verhandlungen auf?

tagesschau.de: Spannend bleibt auch die Frage, wie die CDU wohl reagieren wird, falls ihr der Zugriff auf die Macht verwehrt bleibt. Sie hat im Vorfeld schon von möglichem "Wahlklau" gesprochen.

Faas: Das haben sie sich gestern zum Glück nicht mehr zu eigen gemacht. Denn das sind Begrifflichkeiten, die wir mit großer Vorsicht verwenden sollten. In den USA und auch in Brasilien wurden deshalb Parlamente gestürmt. Man muss schon gucken, dass man Begrifflichkeiten findet, die politische Mitbewerber hart kritisieren, aber nicht gleich in die Richtung gehen, dass fundamentale Prinzipien unserer Demokratie nicht mehr funktionieren. Denn so ist es nicht.

Es gibt keinen Anspruch auf Platz eins, auf das Rote Rathaus oder auf einen Regierungsposten. Das sind Verhandlungssachen. Und wer da am Ende eine Mehrheit zusammen schmiedet, ist erfolgreich - und der andere eben nicht.

tagesschau.de: Dann lassen Sie uns noch ganz kurz auf die FDP gucken. Die hat seit der Bundestagswahl schlechte Ergebnisse in Serie, muss in den Landesparlamenten in die Opposition oder fliegt eben wie jetzt gleich ganz raus. Kann sich die FDP davon noch erholen?

Faas: Das ist, glaube ich, genau die Frage, die den Strategen bei der FDP viel, viel Kopfzerbrechen bereitet. Zumal es ja mit der Regierungszeit 2009 bis 2013 auf Bundesebene ein sehr dramatisches Beispiel für die FDP gibt, wo das enden kann: nämlich mit einem Nichteinzug in den Deutschen Bundestag. Der FDP ist gerade eine Erzählung abhandengekommen.

Das war hochinteressant gestern, wenn man das Schicksal von FDP und CDU vergleicht, beide mit sehr ähnlicher Kampagne gegen den amtierenden Senat, auch ähnlich bekannte und beliebte Spitzenkandidaten. Aber während es der CDU eben gelungen ist, sich als klare Alternative zum rot-grün-roten Senat zu positionieren, ist der FDP das überhaupt nicht gelungen, weil sie auf Bundesebene mit Rot und Grün in einem Boot sitzt.

Aber es gibt auch keine einfache Lösung für die FDP. Sie kann jetzt nicht die Ampel verlassen. Sie kann auch nicht sagen, wir brauchen mehr Profilierung. Dann entsteht sehr schnell der Eindruck, dass die Ampelkoalition nicht funktioniert. Das ist ein echtes Dilemma für die FDP. Und der Druck wächst natürlich immens mit jeder neuen Wahlniederlage.

Das Interview führte Gerrit Derkowski für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.