Boris Rhein vor Hessenwahl Der Achterbahnfahrer
Ministerpräsident ist er schon, aber nun muss sich Boris Rhein erstmals einer Landtagswahl stellen und sein Amt verteidigen. Für den CDU-Politiker ging es in seiner Karriere nicht immer aufwärts.
Er liebt Achterbahnfahrten. Als Boris Rhein nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im Frühsommer vergangenen Jahres über die hessischen Jahrmärkte tingelte, um sich im Land bekannt zu machen, konnte er diese Leidenschaft ausleben. Es gibt Fotos von Rhein, wie er vergnügt in Fahrgeschäften sitzt und sich auf und ab schleudern lässt. Andere Politiker würden solche Bilder meiden. Schließlich laden sie doch zu Wortspielen über das Auf und Ab politischer Karrieren ein, die Politiker gerne vermeiden. Doch Rhein weiß, dass sein Werdegang ohnehin mit einer Achterbahnfahrt verglichen wird.
2010 wurde der CDU-Politiker hessischer Innenminister und gab sich als Hardliner. "Ich bin ein sehr konsequenter Verfechter eines sehr starken Staates, weil das eben insbesondere die Schwächeren in der Gesellschaft schützt", sagte er damals.
Etikett des Wahlverlierers
Er verteidigte die Einkesselung von Demonstranten bei den "Blockupy"-Demonstrationen durch die Polizei und ließ die Frankfurter Rockergruppe "Hells Angels" verbieten. Gegen "gewaltbereite Problemfans" der Frankfurter Eintracht kündigte er eine "härtere Gangart" an. Die zahlten es ihm 2012 im Wahlkampf um das Frankfurter Oberbürgermeisteramt heim, indem sie gegen Rhein Stimmung machten. Er verlor krachend. Von da an klebte an ihm das Etikett eines Wahlverlierers. Innerhalb der schwarz-gelben Landesregierung von Ministerpräsident Volker Bouffier musste Rhein schließlich ins weniger bedeutende Wissenschaftsressort wechseln.
2019 wurde er von Bouffier gar nicht mehr ins Kabinett geholt, sondern ins vermeintlich politisch unbedeutende Amt des Landtagspräsidenten abgeschoben. Doch Rhein ergriff seine Chance und erwarb sich Respekt in der neuen Rolle. Er führte souverän das Parlament und traf in seinen Reden den richtigen Ton. Nach dem Attentat von Hanau im Jahr 2020, als neun Menschen mit Migrationshintergrund aus rassistischen Motiven ermordet worden waren, bescheinigte er Deutschland ein Problem mit Rechtsextremismus: "…hier, ausgerechnet in Deutschland!".
Machtübergabe im Mai 2022: Volker Bouffier übergibt das Amt des Ministerpräsidenten an seinen Nachfolger Boris Rhein.
Nicht erste Wahl für Bouffier-Nachfolge
Als es um die Nachfolge von Ministerpräsident Bouffier ging, weil der in der Legislaturperiode aus dem Amt scheiden wollte, war Rhein nicht erste Wahl. Die beiden haben entgegen allen öffentlichen Beteuerungen kein ungetrübtes Verhältnis. Doch mangels anderer Kandidaten lief es am Ende doch auf Rhein hinaus. Auch der grüne Koalitionspartner trug den CDU-Mann mit. Es war eine fast schon überraschend reibungslose Machtübergabe gut ein Jahr vor der Landtagswahl.
Das Kalkül der Hessen-CDU: Rhein sollte mit Amtsbonus in die Wahl gehen. Schließlich hat er ernsthafte Konkurrenz: Die Grünen schicken Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir ins Rennen um die Staatskanzlei. Die SPD setzt auf Bundesinnenministerin Nancy Faeser.
Tour de Hessen
Rhein startete die Mission Machterhalt mit einer Tour durchs Land. Er besuchte zahllose Volksfeste und schüttelte möglichst viele Hände. SPD-Spitzenkandidatin Faeser nannte ihn daraufhin einen "Grüßaugust". Denn inhaltlich machte Rhein wenig von sich reden. Erst als sich CDU-Chef Friedrich Merz missverständlich zur Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene äußerte, meldete sich auch Rhein überregional zu Wort. Mit "diesen Leuten" von der AfD habe die CDU nichts gemein, die Brandmauer müsse stehen - so distanzierte er sich von der AfD und seinem eigenen Parteivorsitzenden gleichermaßen. Dass die Thüringer CDU ausgerechnet kurz vor der Hessenwahl das Thema erneut aufgeworfen hat - und das offenbar mit der Billigung von Merz - dürfte das gegenseitige Verhältnis der beiden nicht befördert haben.
Wahlkampf ohne Polarisierung
Der Wahlkampf, den Rhein führt, verzichtet auf laute Auseinandersetzungen und Polarisierungen, vielleicht eine Lehre aus seinem verlorenen Oberbürgermeisterwahlkampf in Frankfurt. Er stichelt ein wenig gegen die Ampelregierung im Bund, fordert Grenzkontrollen, um die illegale Migration zu bekämpfen und warnt vor einem Einheitsschulmodell, das seine Konkurrenten zwar gar nicht mehr fordern, das er aber für ein zuverlässiges Schreckgespenst für konservative Wähler hält.
Rhein muss auch gar nicht viel kämpfen: Seine Konkurrenten Al-Wazir und Faeser sind schon deshalb in allen Umfragen weit abgeschlagen, weil der Wahlkampf in Hessen von der Bundespolitik überlagert wird und beide für die Politik der Ampelregierung in Haftung genommen werden. Und alle drei wissen, dass sie nach der Wahl aufeinander angewiesen sein werden, wenn sie eine Regierung bilden wollen. Auch das hemmt die Streitlust.
So scheint die Achterbahnfahrt derzeit für Rhein nach oben zu führen, direkt zum Wahlsieg. Dann müsste er sich vermutlich nur noch entscheiden, ob er mit den Grünen weiterregieren will, oder sich die SPD als Koalitionspartner aussucht. Das Einzige, was seine Mission Machterhalt noch bedrohen könnte, wäre eine Ampel in Hessen. Eine Regierung an der CDU vorbei gilt nach den Umfragen zwar als unwahrscheinlich, ist aber nicht unmöglich. Dann wäre Rhein Wahlsieger und Verlierer zugleich.