Vor Wahl in Hessen Der schwarz-grüne Zusammenhalt schwindet
Mit CDU-Ministerpräsident Bouffier haben die Grünen in Hessen seit 2013 erfolgreich und geräuschlos zusammengearbeitet. Mit seinem Nachfolger Rhein knirscht es aber. Das liegt nicht nur am Wahlkampf.
Es gibt Sätze, von denen man nicht ahnt, dass sie sich später als das Geheimnis einer guten Beziehung entpuppen werden. Dieser Satz ist so einer: "Jetzt stellen wir uns alle mal vor, der andere könnte vielleicht auch Recht haben."
Gesprochen hatte ihn Volker Bouffier, damals hessischer CDU-Vorsitzender und Ministerpräsident, als er 2013 nach der Landtagswahl sondierte, ob mit den Grünen nicht vielleicht doch eine Koalition möglich sein würde.
Vielen galt das als ausgeschlossen. Zu spinnefeind waren sich die Parteien jahrelang im hessischen Parlament begegnet. "Grüne und CDU waren wie Feuer und Wasser, die Debatten konfrontativ, die Gemüter dauererregt - und darauf waren wir alle im 'härtesten Parlament Deutschlands' auch noch stolz", beschrieb Tarek Al-Wazir später die damalige Situation. Volker Bouffier, jahrelang als Innenminister stolz auf das Etikett "Schwarzer Sheriff", war alles andere als ein Traumpartner für die Grünen.
Eine Gesprächsgrundlage
Andererseits waren die nach Jahren der Opposition und dem Frust über eine gescheiterte rot-grüne Regierungsbildung unter Duldung der Linken nicht länger bereit, ihr Heil weiter nur im linken Lager zu suchen und sich auf ewig an die glück- und sieglose SPD zu ketten. Die Grünen wollten endlich wieder regieren. Und Bouffier bot ihnen mit dem Satz, der andere könne vielleicht auch Recht haben, eine Gesprächsgrundlage.
So kam es 2013 zur ersten schwarz-grünen Koalition in einem Flächenland. Sie hält bis heute, was nicht heißt, dass sich die beiden Parteien in allem einig sind. Im Gegenteil. Die CDU stimmte nur zähneknirschend einem Landesaufnahmeprogramm für afghanische Flüchtlinge zu. Sie hätte gerne die Maghrebstaaten zu sicheren Drittstaaten erklärt, aus Koalitionsräson musste Hessen sich allerdings im Bundesrat enthalten.
Und das Corona-Sondervermögen, ein Schattenhaushalt, der später vom Staatsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt wurde, entstand auf Wunsch der Grünen. Der CDU-Finanzminister Michael Boddenberg setzte ihn für die Koalition durch - und kassierte vor Gericht die Klatsche. Auch der Ausbau der Ökolandwirtschaft in Hessen stand beileibe nicht auf der Wunschliste der CDU. Sie musste ihn mittragen und sich der Kritik der Landwirte stellen.
Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier und sein grüner Stellvertreter, Tarek Al-Wazir, haben lange gut zusammengearbeitet.
Ähnliche Arbeitsweise
Andererseits mussten die Grünen den Bau des dritten Flughafenterminals und der Autobahn 49 in Nordhessen mittragen. Besonders schwer fiel es ihnen, sich mehrfach schützend vor den CDU-Innenminister Peter Beuth zu stellen. Der stand wegen rechter Chats von Polizisten, "NSU 2.0"-Drohschreiben nach Adressabrufen von hessischen Polizeicomputern, in den Untersuchungsausschüssen zum Mord am CDU-Politiker und Regierungspräsidenten Walter Lübcke und zum rassistischen Attentat von Hanau in der Kritik. Es fiel den Grünen sichtbar nicht immer leicht, fest an der Seite des Koalitionspartners zu bleiben.
"Je länger man regiert, umso schwieriger wird es", analysierte Bouffier kurz vor seinem Rücktritt als Ministerpräsident. "Irgendwann kommt der Wunsch, klare Kante zu zeigen. Das kann man fordern, aber demokratische Politik braucht die Fähigkeit zum Kompromiss. Kompromissfähigkeit bedeutet Regierungsfähigkeit."
Es half sicher, dass Grüne und CDU in Hessen eine ähnliche Arbeitsweise haben. Gestritten und diskutiert wird intern, nach außen wird das Gemeinsame vertreten, dem Partner werden Erfolge gegenseitig gegönnt. Wöchentliche Koalitionsrunden in der Dienstvilla des Ministerpräsidenten dienten nicht nur der Beilegung inhaltlicher Streitigkeiten - mit gemeinsamem Essen und ausführlichen Gesprächen wurde Gemeinsamkeit geschaffen. Auch wenn es mitunter anstrengend war, so Al-Wazir, "wenn er uns an seiner reichhaltigen Lebenserfahrung teilhaben ließ". Gemeint war der Hang Bouffiers zu ausschweifenden Erklärungen und Anekdoten.
Enges Vertrauensverhältnis
Wer Al-Wazir länger kennt, kann auf die Idee kommen, dass er diesen Wesenszug im Lauf der Jahre von Bouffier übernommen hat. Das enge Vertrauensverhältnis der beiden war sicher ein wichtiger Stabilisator der schwarz-grünen Zusammenarbeit.
Die zweite schwarz-grüne Koalition war von Krisenbewältigung geprägt. Bouffier erkrankte an Hautkrebs, machte kaum eine Pause, obwohl er sichtlich angeschlagen war. Der Mord an Lübcke, der Anschlag in Hanau, in Volkmarsen raste ein junger Mann absichtlich in einen Fastnachtszug, dann die Corona-Pandemie, der Suizid des Finanzministers Thomas Schäfer, der Ukrainekrieg: Die hessische Politik kam aus dem Krisenmodus kaum heraus.
Vielleicht haben die Grünen auch Bouffier zuliebe zugestimmt, mitten in der Legislaturperiode Boris Rhein zu Bouffiers Nachfolger zu wählen. Das ist keineswegs selbstverständlich - ermöglichten sie ihm doch auf diesem Weg, mit Amtsbonus in die Landtagswahl zu gehen. Die CDU in Baden-Württemberg hat es dagegen gerade abgelehnt, einen Nachfolger für den 75-jährigen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zu wählen.
Offene Kritik wird wieder geäußert
So wird Schwarz-Grün in Hessen seit über einem Jahr von Rhein geführt. Die Grünen haben den Anspruch formuliert, nach der Wahl den Ministerpräsidenten zu stellen. Zum ersten Mal kandidieren der Amtsinhaber und sein Stellvertreter um den Spitzenjob in der Staatskanzlei.
Seitdem schwindet der Zusammenhalt im schwarz-grünen Regierungslager, es wird auch mal offen Kritik geäußert. Zum Beispiel, als Rhein Grenzkontrollen fordert, um die Zahl der illegalen Flüchtlinge zu begrenzen, und Al-Wazir diese Grenzkontrollen "grundfalsch" nennt.
Doch von der Schärfe der Auseinandersetzung früherer Jahrzehnte ist das weit entfernt. Schließlich wissen beide Seiten, dass sie nach der Wahl womöglich wieder aufeinander angewiesen sind. Derzeit geben die Umfragen Schwarz-Grün weiter eine Mehrheit. Aber auch eine Koalition aus CDU und SPD wäre eine Option.
Die CDU schließlich fürchtet, dass es am Ende doch noch eine Ampelkoalition geben könnte. Deshalb werden sie sich auch nach dieser Landtagswahl wieder mit der bewährten Grundhaltung begegnen: "Jetzt stellen wir uns alle mal vor, der andere könnte vielleicht auch Recht haben."