Bündnis Sahra Wagenknecht Im Osten ein Machtfaktor
Sahra Wagenknechts Partei hat bei der Europawahl Hunderttausende Stimmen der SPD und der Linken gewonnen. Ihr Erfolg könnte die Machtverhältnisse bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen verschieben.
Die Machtbasis des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) liegt im Osten Deutschlands. Dort erreicht die neue Partei einen mehr als doppelt so hohen Stimmenanteil wie im Bundesdurchschnitt.
Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist dies insbesondere für SPD und Linke ein bitterer Befund. Beide Parteien haben bei der Europawahl Hunderttausende Stimmen an das BSW verloren. Experten und Politikwissenschaftler gehen davon aus, dass Wagenknechts Bündnis am 1. September seine Wähler ähnlich stark mobilisieren kann. Dann müsste die Linke und womöglich auch die SPD um den Wiedereinzug in den sächsischen Landtag bangen.
Kaum Chancen für Ramelows Machterhalt
Für die Thüringer Linken würde es zudem nochmals schwieriger, mit Bodo Ramelow den einzigen Ministerpräsidenten der Partei im Amt zu halten. Die Erfurter Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen hat nach aktuellen Prognosen kaum Chancen auf eine Fortsetzung.
Die Ergebnisse bei den EU-Wahlen bestätigen diesen Trend - auch wenn die Ergebnisse von EU-Wahlen und Landtagswahlen sich nicht direkt vergleichen lassen. So holte Wagenknechts Neugründung in Thüringen aus dem Stand 15 Prozent, die Linke nur 5,7 Prozent. Die SPD kam auf 8,2 Prozent und die Grünen auf 4,2 Prozent.
Ein Einstieg des BSW in eine Neuauflage der regierenden Mitte-Links-Koalition unter Ramelows Führung erscheint nicht nur rechnerisch unwahrscheinlich. Es wäre für das BSW zu riskant: Wagenknechts Neugründung soll einen politischen Neuanfang markieren, die Abgrenzung von der Linken stünde in Frage.
BSW - Schlüssel für das Thüringer Patt?
Trotzdem könnte sich für die seit Jahren festgefahrene Thüringer Landespolitik mit dem BSW eine neue Machtoption ergeben: eine Koalition von CDU und BSW. Zwar würde es zumindest nach aktuellem Stand nicht für ein Zweierbündnis reichen. Aber zumindest in Thüringer CDU-Kreisen wird eine solche Allianz ergebnisoffen diskutiert. Nicht zuletzt, weil die CDU ihre Unvereinbarkeitsbeschlüsse, weder mit der Linken noch mit der AfD zu regieren, in einer solchen Verbindung einhalten könnte.
Zwar hat der Bundesvorsitzende Friedrich Merz gerade erst eine Koalition mit dem BSW ausgeschlossen. Offiziell beschlossen ist dies aber nicht. Stattdessen signalisierte Thüringens ehemaliger CDU-Vorsitzender Mike Mohring gegenüber dem MDR Sondierungsbereitschaft: "Frau Wagenknecht sagt ja nicht umsonst, dass sie mit allen reden und sprechen und vielleicht koalieren möchte." Deswegen sei Mohring eher dafür, "dass man zunächst in der Lage ist, miteinander zu reden".
Machtoption auch in Sachsen
Nach dem 1. September könnte das BSW auch für die sächsische CDU zum Gesprächspartner werden. Die bestehende Regierungskoalition - in Dresden aktuell im Verbund mit SPD und Grünen - darf ebenfalls kaum auf eine eigene Mehrheit hoffen. Zusammen erreichten sie weniger als 35 Prozent bei den EU-Wahlen.
Mit Blick auf die laufende BSW-Profilierung bemühte sich Sahra Wagenknecht allerdings bereits einen Tag nach der Europawahl um Abgrenzung zur CDU: "Wenn wir mit fliegenden Fahnen unter Herrn Kretschmer in eine Regierung gehen und alles geht weiter wie bisher, würden wir nicht nur unser Parteiprojekt zerstören, sondern auch viele enttäuschen. Das wird nicht stattfinden."
Doch auch an der Elbe könnte ein starkes Abschneiden der AfD, begleitet von heftigen Verlusten von SPD, Linke und auch Grünen eine Koalition unter BSW-Beteiligung zur Machtoption werden lassen. Denn die FDP kann sich weder in Sachsen noch in Thüringen Hoffnung auf einen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde machen.
Fast alles hängt an Wagenknecht
Das erfolgreiche Abschneiden des BSW beim ersten Reality-Check ist vor allem der Popularität von Sahra Wagenknecht zuzuschreiben. Ohne ihre Namensgeberin würde die Partei - zumindest derzeit - kaum gewählt: 78 Prozent der BSW-Wählenden gaben in einer Umfrage von Infratest dimap an, dass sie das Bündnis ohne Sahra Wagenknecht nicht gewählt hätten.
Im Kult um ihre Führungsfrau könnte die wohl größte Schwachstelle des BSW liegen, genauer: In der von Wagenknecht ein Leben lang gepflegten Opposition. Der Politologe Albrecht von Lucke sieht darin gar eine Methode: "Die Methode Wagenknecht besteht darin, sich in Distanz zum normalen Betrieb zu stellen."
Die Landesverbände des BSW in Thüringen und Sachsen müssen den Erfolg der EU-Wahlen zunächst in Stimmen bei den Landtagswahlen ummünzen. Sollten ihnen das gelingen, könnten sie gezwungen sein, aus der Opposition direkt in eine Regierung einzutreten - und damit auch aus dem Schatten von Sahra Wagenknecht.
Die Dokuserie "Trotz und Treue - Das Phänomen Sahra Wagenknecht" sehen Sie heute Nacht um 0.15 Uhr in der ARD oder jederzeit in der ARD-Mediathek.
In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, mehr als doppelt so viele Menschen hätten in Ostdeutschland für das BSW gestimmt als im Bundesdurchschnitt. Gemeint war allerdings der Stimmenanteil, der doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt.
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