Europawahl 2024
Spitzenkandidaten des BSW Zwei Einzelkämpfer für das BSW
Fabio De Masi und Thomas Geisel sind die Spitzenkandidaten des Bündnisses Sahra Wagenknecht für die Europawahl. Zwei Männer, die schon eine politische Karriere hatten - allerdings in unterschiedlichen Parteien.
Es wäre nicht neu für Fabio De Masi, wenn er Abgeordneter im Europaparlament werden würde, denn das war er von 2014 bis 2017 schon einmal. Aber: Damals war er es für eine andere Partei. Vor zehn Jahren zog er für die Linke nach Brüssel, nun versucht er es für seine neue Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Brüssel passt zu De Masi, dem Kosmopoliten, der neben Deutsch, auch fließend Englisch, Französisch und Italienisch spricht, einem, der immer unter Dampf zu stehen scheint. Er kommt aus einer deutsch-italienischen Familie, hat in Hamburg, Berlin und Kapstadt studiert. Wirtschaft war immer schon sein Thema, insbesondere der Kampf gegen die Finanzkriminalität.
Kaum einer kenne sich so gut im Cum-Ex-Skandal aus wie De Masi, hieß es - dem komplizierten und kaum zu durchschauenden Betrug mit der Rückerstattung von nie gezahlten Steuern. Das trug ihm in seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter in den Jahren zwischen 2017 und 2021 auch den Respekt von Abgeordneten anderer Parteien ein.
Mit dem markigen Prädikat "Cum-Ex-Jäger" wirbt das BSW für ihren Spitzenkandidaten De Masi.
Ein harter Schnitt
Die wohl wichtigste Zäsur in De Masis bisheriger politischer Karriere war der Austritt aus der Linken. Er, der schon lange ein enger Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht war, der ehemaligen Vize-Chefin der Linken und jetzigen Co-Vorsitzenden des BSW, zog im September 2022 einen harten Schnitt.
Heute sagt er, dass er schon 2019 zu der Einsicht gelangt sei, dass es mit der Linken nichts mehr werden würde und er nur noch seine Projekte zu Ende bringen wollte. "Aber die beste Arbeit bringt nichts, wenn die Mannschaft aufs eigene Tor spielt. Mit dem Kurs der Migrationspolitik, der die Überforderung der Kommunen vollständig ignorierte, wirkte die Linke zunehmend weltfremd."
Der Begriff "Spitzenkandidat" kann verwirrend sein, denn er bedeutet im Kontext der Europawahlen zweierlei:
Einerseits steht er für die Listenersten der deutschen Parteien, die bei der Europawahl antreten. Entsprechend dieser Listen werden die Spitzenkandidaten bei ausreichender Stimmzahl als erste für ihre Partei ins EU-Parlament gewählt.
Andererseits steht der mittlerweile europaweit verwendete Begriff für jene Person, die von den europäischen Parteizusammenschlüssen im Europaparlament als Kandidat oder Kandidatin für den Chefposten der "EU-Regierung", den Präsidentenposten der Kommission, nominiert wurde.
Manche Europapolitikerinnen sind beides: Spitzenkandidatin ihrer deutschen Partei und für die Kommissionspräsidentschaft.
Die Ziele für Brüssel
Die Gründung des BSW war ein politischer Glücksfall für ihn. Seine unbedingte Loyalität zu Wagenknecht und seine Erfahrung in Brüssel haben ihn auf Listenplatz 1 für die Europawahl gebracht. Es gilt angesichts der bisherigen Umfrageergebnisse als sicher, dass De Masi demnächst zurück ins Europaparlament kehren wird.
Was er dort bewegen will? "Das Steuerdumping der Tech-Konzerne zu Lasten des Mittelstandes muss beendet werden, etwa durch Straf- beziehungsweise Quellensteuern", sagt er. In der Außenpolitik kritisiert er zu wenig diplomatische Initiativen zum "Einfrieren des Ukraine-Krieges" und fordert eine neutrale Ukraine und Abrüstungsinitiativen.
Es wird nicht einfach werden, dafür in Brüssel politische Partner zu finden. Nach eigener Aussage ist er bereits damit befasst, eine Fraktion im EU-Parlament aufzubauen. Aber wer das sein könnte, darüber schweigt er.
Überraschungserfolg in Düsseldorf
Aus einer völlig anderen Richtung als De Masi kommt Thomas Geisel. Mit der Europawahl ist es auf den Tag genau zehn Jahre her, dass er überregionale politische Aufmerksamkeit bekam: Im Juni 2014 gewann er überraschend die Stichwahl gegen Amtsinhaber Dirk Elber (CDU) und war plötzlich Oberbürgermeister Düsseldorfs.
Die Landeshauptstadt wurde fortan von einem sozialdemokratischen Ex-Manager aus der Energiewirtschaft geführt. Dabei stand Geisel für alles, was der katholisch-rheinischen Gemütlichkeit suspekt sein dürfte.
Sein schwäbischer Akzent lässt unüberhörbar auf seine Herkunft schließen. Der passionierte Marathon-Läufer war Presbyter seiner evangelischen Kirche im Düsseldorfer Stadtteil Pempelfort, und er bezeichnete einst Max Webers "Protestantische Ethik" als eines seiner Lieblingswerke.
Auf den Wahlplakaten mit Thomas Geisel rückt das BSW Inhalte wie Frieden oder Wohlstand nach vorne.
Ein hoher Anspruch und die Folgen
Und dennoch wählten ihn die Düsseldorfer und Düsseldorferinnen ins Rathaus. Geisel eckte vom Start aus an. Mit seinem hohen Arbeitsanspruch vergraulte er viele Menschen aus seinem engsten Umfeld. Der heute 60-Jährige ruhte selten, kam wöchentlich mit neuen Ideen um die Ecke und verlor damit noch weitere Unterstützer, auch in seiner Partei.
Fragt man nach Geisel in der Landes-SPD, dann wird seiner politischen Arbeit viel Respekt entgegengebracht. Er habe viel für die Stadtteile geleistet, bezahlbares Wohnen in einer sehr teuren Stadt zumindest zeitweise nach vorne gebracht - das hört man nicht selten. Es kommt jedoch sofort das "Aber", wenn es um die Person geht. Er hat in der SPD das Image des ehrgeizigen, rastlosen Besserwissers.
Streitbare Ampel - am Rhein
Die Liste derjenigen in der NRW-SPD, mit denen sich Geisel in seiner Zeit anlegte, ist lang. Zeitweise schielte er auf die Nachfolge der damaligen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Sogar mit Norbert Walter-Borjans, dem einstigen Finanzminister des Landes und SPD-Chef, stritt sich Geisel darum, wie seine Stadt mit Gewinnen der örtlichen Sparkasse umgehen solle.
2017 holte Geisel den Start der Tour der France nach Düsseldorf. Bis heute rechnen ihm das viele Menschen der Stadt an. Dass die Finanzierung allerdings wackelig war, wird dabei gerne vergessen. Beinahe zerlegte sich deshalb das regierende Ampel-Bündnis im Rat der Stadt.
Eine schwer verdauliche Niederlage
Bei der Kommunalwahl 2020 verlor Geisel in der Stichwahl gegen seine Herausforderer von der CDU. Das zu verkraften, fiel Geisel schwer. Er mischte sich weiter per Wortmeldung in den städtischen Diskurs ein, liebäugelte angeblich mit einem Comeback-Versuch, stieß damit in seiner Partei aber auf wenig Rückhalt. Spätestens nach unglücklichen Äußerungen zum Krieg gegen die Ukraine stand er in der SPD nur noch am Spielfeldrand.
Als ihm das klar wurde, wechselte Geisel zum BSW - kurz nachdem er zu seinem 40-jährigen Parteijubiläum erklärt hatte, er wolle für immer Sozialdemokrat bleiben.
Damit ist Geisel zurück auf der Bühne der Politik, dieses Mal sogar auf der großen EU-Bühne. Es dürfte ihm gefallen, in diesem Rampenlicht zu stehen. Oder wie die frühere Stadträtin und heutige FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann über ihn mal sagte: "Er war halt kein Kommunalpolitiker!"