Sondervermögen für die Bundeswehr Bisher nur wenig Geld abgeflossen
100 Milliarden Euro für die Bundeswehr - für diese Ankündigung bekam die Ampel viel Applaus. Doch bisher ist nur ein Bruchteil der Mittel abgeflossen, wie Zahlen aus dem Verteidigungsministerium zeigen.
Seit rund anderthalb Jahren ist Olaf Scholz nun Kanzler. Doch von seinen vielen Reden ist bisher nur eine in Erinnerung geblieben. Drei Tage nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine prägt der SPD-Politiker einen Begriff, der wohl für immer mit seiner Kanzlerschaft verbunden bleibt: "Der 24. Februar 2022", hatte Scholz bei dieser Sondersitzung des Parlaments festgestellt, "markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents."
Ein Umbruch, der vermeintliche Gewissheiten erschüttert. Zum Beispiel die, dass ein groß angelegter Angriffskrieg in Europa undenkbar sei. Jetzt soll die Bundeswehr modernisiert werden, verspricht der Kanzler: "Wir brauchen Flugzeuge, die fliegen, Schiffe, die in See stechen, und Soldatinnen und Soldaten, die für ihre Einsätze optimal ausgerüstet sind."
Viel Geld für militärische Großprojekte
Möglich machen soll es ein eigenes Sondervermögen für die Bundeswehr. Also ein Schuldentopf, gefüllt mit Kreditoptionen von 100 Milliarden Euro. Viel Geld für neue Kampfjets, Panzer, Luftverteidigungssysteme und andere militärische Großprojekte. Doch schon bald macht sich Ernüchterung breit. Der Vorwurf von Teilen der Opposition: Das Geld fließe nicht ab. "Es kommt nichts an", bemängelt etwa der CDU-Abgeordnete Johann Wadephul Ende des vergangenen Jahres.
Tatsächlich ist zu diesem Zeitpunkt noch kein einziger Euro aus dem Sondervermögen ausgegeben worden. Und bis Mitte Juni dieses Jahres sind lediglich rund 1,2 Milliarden abgeflossen. Das teilte das Verteidigungsministerium auf ARD-Anfrage mit. Mit dem Geld wird zum Beispiel der Einstieg in den Kauf von modernen Tarnkappenjets aus den USA bezahlt.
Dass die Mittel insgesamt nicht schneller abfließen, wird so begründet: Das Geld könne aus haushaltsrechtlichen Gründen erst abfließen, wenn das bestellte Gerät geliefert wurde. Und das dauere bei Großprojekten wie modernen Kampf- und Schützenpanzern eben seine Zeit.
CDU fordert mehr Tempo
Ein Argument, das Kritiker wie Roderich Kiesewetter nicht überzeugt: "Wo ein politischer Wille ist", findet der CDU-Außenpolitiker, "kann man auch sehr schnell Abflüsse schaffen." Einerseits lobt er Verteidigungsminister Boris Pistorius dafür, dass dieser damit begonnen hat, den Verwaltungsapparat zu reformieren - beispielsweise durch das Streichen unnötiger Vorschriften.
Andererseits gehen Kiesewetter die bisherigen Schritte nicht weit genug. Vor allem müsse das Beschaffungsamt der Bundeswehr aus seiner Sicht neu aufgestellt werden: "Gegen die Lehmschicht, gegen die Bedenkenträger." Hier sei politischer Wille gefragt - den aber sehe er nicht, so Kiesewetter.
Die Koalition weist solche Vorwürfe zurück. Der FDP-Abgeordnete Karsten Klein findet, dass die Ampel ein hohes Tempo vorlege. Als Beispiel nennt er den Kauf des Flugabwehrsystems "Arrow 3". Vor Kurzem hat der Bundestag erste Mittel dafür freigegeben. So sollen bestimmte Teile bestellt werden können, bevor eine umfangreiche Beschaffungsvorlage für das Projekt fertig ist. Von einer solchen Geschwindigkeit habe "die Union in ihrer Zeit in der Verantwortung im Verteidigungsministerium nur träumen können", meint der FDP-Politiker.
Bisher ein Drittel aus Sondervermögen verplant
Bis Ende dieses Jahres will die Bundesregierung das Ziel erreichen, dass zwei Drittel des Geldes aus dem Sondervermögen verplant sind - in Form von Verträgen und anderen festen Vereinbarungen mit der Rüstungsindustrie. Bisher ist aber nur ein Drittel der Kredite vertraglich gebunden. Und bis zum Jahresende sind es keine sechs Monate mehr.
Hinzu kommt, dass Inflation und Zinszahlungen Teile des Sondervermögens auffressen. Im dazugehörigen Wirtschaftsplan beziffert die Bundesregierung den Schuldendienst für das laufende Jahr auf knapp 280 Millionen Euro. Doch bisher ist eben nur ein kleiner Teil der zur Verfügung stehenden Kreditoptionen gezogen worden. Und angesichts steigender Zinsen ist davon auszugehen, dass die Zinszahlungen gegen Ende der Laufzeit des Sondervermögens erheblich höher liegen werden.
Wackelt die Schuldenbremse?
Spätestens dann muss die Politik eine Antwort auf die Frage gefunden haben, wie die Modernisierung der Streitkräfte auf Dauer finanziert werden kann. Das ist auch im Hinblick auf das NATO-Ziel relevant, künftig zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in Verteidigung zu stecken. In den nächsten Jahren soll es erst einmal mithilfe des Sondervermögens für die Bundeswehr erreicht werden. Was danach kommt, ist offen.
In den Augen des zuständigen Ministers wird auch darüber zu diskutieren sein, ob möglicherweise die Schuldenbremse des Grundgesetzes zugunsten weiterer Rüstungsausgaben aufgegeben wird. Das sei "eine Frage der Prioritäten", sagte Pistorius kürzlich im ARD-Interview.
Ganz ähnlich argumentiert der Oppositionspolitiker Kiesewetter: "Die Schuldenbremse und die Schwarze Null sind kein Selbstzweck." Der CDU-Abgeordnete schlägt vor, die haushaltspolitischen Vorgaben des Grundgesetzes "mit Investitionen in unsere Sicherheit zu verknüpfen".
Das dürften nicht alle in der Unionsfraktion so sehen. Doch die Äußerungen zeigen, dass die Diskussion über die Zeit nach dem Sondervermögen schon begonnen hat.