Postenvergabe in Ministerien Wo beginnt der Interessenkonflikt?
Nach der "Trauzeugen-Affäre" im Habeck-Ministerium steht die Art und Weise von Auftrags- und Postenvergaben der Bundesministerien auf dem Prüfstand. Braucht es strengere Regeln?
Die "Trauzeugen-Affäre" ist zwar ausgestanden für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck - nicht jedoch die weitergehende Frage für die Ampelkoalition, wie Posten innerhalb von Ministerien vergeben werden.
Habeck selbst hatte zuletzt öffentlich aus dem Fall geschlussfolgert: Hier müsste das gesamte Compliance-Regelwerk überprüft und eventuell nachgeschärft werden - innerhalb der Bundesregierung, nicht nur im eigenen Ministerium.
Gesagt hatte der Grünen-Politiker das, als er seinen Staatssekretär Patrick Graichen in den einstweiligen Ruhestand schickte, weil dieser in drei Fällen private Beziehungen und Amt nicht klar getrennt hatte. Auch in den dazu geführten Ausschusssitzungen des Bundestages hatte Habeck das deutlich gemacht.
Lücken im Regelwerk
Zwar gibt es Regelwerke für Stellenbesetzungen und Auftragsvergaben, sie haben aber offensichtlich Lücken. Etwa, dass es im Wirtschaftsministerium bisher in der Eigenverantwortung eines Staatsekretärs lag einzuschätzen, ob er bei einer Stellenbesetzung befangen sein könnte.
Künftig werde dies, so Habeck, vorher aktiv abgefragt. Solche Befangenheitserklärungen sind etwa bei Berufungsverfahren an Universitäten üblich. Erstaunlich, dass es das so bisher im Ministerium nicht gab.
Weiterer Staatssekretär im Blick
Zwischenzeitlich geriet ein weiterer Habeck-Staatssekretär in den Blick, der unter anderem für Industriepolitik, Außenwirtschaftspolitik, Digital- und Innovationspolitik zuständig ist: Udo Philipp, der Beteiligungen an Start-ups etwa für Erneuerbare Energien unterhält.
"Es ist im Einklang mit den Compliance-Regeln des Hauses sichergestellt, dass ich mit möglichen Entscheidungen zu den Unternehmen nicht befasst werde", erklärte Philipp gegenüber "Business Insider".
Wo fängt der Anschein eines Interessenkonflikts an? Wo könnte die Person wirtschaftlich durch Aktienbeteiligung oder Unternehmensanteile durch den Posten im Ministerium profitieren? Letztlich geht es bei Stellenbesetzungen dieser hochpolitischen Ämter immer um diese beiden Fragen.
Probleme nicht nur im Wirtschaftsministerium
Das Wirtschafts- und Klimaministerium ist nicht alleine mit dem Problem: Im Arbeitsministerium (BMAS) wurde inzwischen ein Abteilungsleiter als Trauzeuge von SPD-Minister Hubertus Heil identifiziert, der 2018, noch in Zeiten der Großen Koalition, berufen wurde.
Die Ernennung sei transparent und vollständig im Einklang mit den für das BMAS geltenden Vorschriften erfolgt, erklärt das Ministerium auf Nachfrage von tagesschau.de - "Interessenskonflikte sind zu keinem Zeitpunkt entstanden". Die Frage, ob der Minister die Trauzeugenschaft damals gegenüber der Compliance-Stelle transparent gemacht hatte, wird nicht beantwortet.
Posten für Ex-FDP-Schatzmeister
Auch die FDP-geführten Ministerien Verkehr und Finanzen sind inzwischen wegen Berufungen in die Kritik geraten: So entsendete Finanzminister Christian Lindner seinen ehemaligen FDP-Schatzmeister Harald Christ in den Aufsichtsrat der Commerzbank - der Bund ist dort größter Einzelaktionär.
Das "Manager Magazin" betitelte Christ als "Christian Lindners Geldeintreiber" in seiner Funktion als Schatzmeister der Partei von September 2020 bis April 2022 - er sammelte ziemlich erfolgreich Spenden in Millionenhöhe ein. Da wirkt der hochdotierte Aufsichtsratsposten wie ein dickes Dankeschön seitens des FDP-Chefs Lindner.
Was ist gängige Praxis?
FDP-Verkehrsminister Volker Wissing wiederum geriet in die Kritik der Unionsfraktion im Bundestag, weil er gleich 18 Abteilungsleiter- oder Referentenposten ohne Stellenausschreibung besetzt hatte. Das ist allerdings durchaus üblich und in Einzelfällen gerade bei der oft mit Vertrauenspersonen besetzten Leitungsebene erlaubt. Schließlich kann es für die Arbeitsfähigkeit eines politisch besetzten Ministeriums wichtig sein, Gleichgesinnte an Schaltstellen zu haben.
Auch Habeck hat zwei seiner engsten politischen Vertrauten, Robert Heinrich und Nicola Kabel, zu seinem Koordinator und zur Sprecherin gemacht. Olaf Scholz machte etwa seinen langjährigen engen Mitstreiter Wolfgang Schmidt zum Kanzleramtschef.
"Nicht per se schlecht"
"Dass das Vertraute sind, die lange in der Sache mit gekämpft haben, ist nicht per se schlecht", sagt Timo Lange vom Verein LobbyControl, manchmal brauche es in einem Ministerium so einen Bruch: "Politiker wurden ja für ein bestimmtes Programm gewählt". Deswegen gebe es den "Politischen Beamten". Es dürfe aber nicht der Eindruck entstehen, dass Parteifreunde Versorgungsposten bekommen.
Eine Gratwanderung - und auch eine Frage des Gespürs der politisch Handelnden. Wer wegen Erfahrung und Fachkompetenz berufen wird, hat eine berufliche Vorgeschichte und berufliche Netzwerke.
Bei Wissings Vorschlag, den FDP-Parteifreund Stefan Birkner zum Chef der bundeseigenen Autobahn GmbH zu machten, ging diese Gratwanderung offenbar daneben. Am Ende votierte der dortige Aufsichtsrat dagegen, laut "Handelsblatt" wegen der Art und Weise, wie Wissing den Personalwechsel vorbereitet und kommuniziert habe. Kurioserweise war Birkner auch noch Schwippschwager von Minister Habeck.
Strengere Regeln gefordert
Der Verein LobbyControl fordert insgesamt strengere Richtlinien für Ministerien bei solchen Entscheidungen. Doch selbst wenn Regeln verschärft werden, kann es bei nicht wirklich lösbaren Dilemmata bleiben. Das zeigt auch der Fall Graichen. Die Opposition kritisierte unabhängig vom Fehler in der "Trauzeuge-Affäre" Graichens Vernetzung zum Öko-Institut - und zwar über seine Geschwister, die dort arbeiten.
Das Institut hatte bereits unter Habecks CDU-Amtsvorgänger Peter Altmaier Studien für das Ministerium erarbeitet. Doch weder wäre es angemessen gewesen, Graichen nicht ins Amt zu berufen, weil er beim Öko-Institut arbeitende Geschwister hat - noch wäre es denkbar, die Geschwister zu bitten, ihre Arbeit für das Institut zu beenden, weil ihr Bruder Staatssekretär wird. So schätzt das der LobbyControl-Experte Lange ein.
Politik lebt von Vertrauen - letztlich wird der Bundesregierung nichts anderes übrigbleiben, als für strengstmögliche Regeln und maximale Transparenz zu sorgen. Denn eine Politik, die den Bürgerinnen und Bürgern in der Klima- und Energiekrise viel Veränderungsbereitschaft abverlangt, wird besonders auf die Glaubwürdigkeit angewiesen sein, dass ihre Mitglieder hochkompetent sind und nur deswegen und aus keinem anderen Grund berufen wurden.