Brasiliens Präsident in Berlin "Politisch und kulturell ein idealer Partner"
Brasiliens Präsident Lula ist zu Gesprächen in Berlin. Die Beziehung der beiden Länder sei so gut wie lange nicht, sagt Politikwissenschaftler Peter Birle. Brasilien sei ein idealer Partner - das würden auch Unternehmen merken.
tagesschau: Nach vielen Jahren gibt es wieder Beratungen auf höchster Ebene zwischen Deutschland und Brasilien. Wie schätzen Sie das Verhältnis beider Länder ein?
Peter Birle: Ich glaube, das Verhältnis ist im Moment so gut, wie es lange nicht gewesen ist. Das hängt damit zusammen, dass sich Präsident Lula und Bundeskanzler Scholz seit Langem kennen. SPD und Arbeiterpartei in Brasilien stehen sich politisch einigermaßen nahe und man hat es dieses Jahr in Brasilien gesehen, dass sich die deutschen Delegationen, egal ob aus Politik oder aus Wirtschaft, sozusagen die Klinke in die Hand gegeben haben.
Nach vier Jahren Bolsonaro gab es ein großes Aufatmen in Deutschland - und es gibt ein großes Interesse an Brasilien. Und umgekehrt ist Brasilien auch sehr daran interessiert, die Partnerschaft mit Deutschland bei allen vorhandenen Unterschieden, die es auch gibt, weiter auszubauen.
tagesschau: Das Interesse ist ja vor allem wirtschaftlich. Sie sehen große Potenziale in Brasilien. In welchen Bereichen könnte der brasilianische Staat uns wirtschaftlich weiterbringen?
Birle: Brasilien ist ja schon jetzt ein wichtiger Partner. Es gibt circa 1.400 deutsche Unternehmen, die in Brasilien selbst aktiv sind. Aber Brasilien ist gerade in der jetzigen Weltlage und auch in der Situation, in der sich Deutschland befindet, ein potenziell sehr wichtiger Partner in den Bereichen Energiesicherheit - zum Beispiel, was grünen Kohlenwasserstoff oder günstige Produktion von emissionsfreien Produkten angeht.
Da ist Brasilien ein sehr wichtiger Partner und da sind auch noch ganz viele Möglichkeiten vorhanden, um die Beziehungen weiter auszubauen.
"Brasilien ist ein stabiles politisches Umfeld"
tagesschau: Aber sind das, was Sie gerade erwähnt haben, nicht alles Bereiche, in denen die deutsche Wirtschaft eigentlich auch in China Partner finden könnte? Was sind denn vielleicht die Vorteile in Brasilien im Vergleich zu China?
Birle: Das ist genau der Punkt. Brasilien ist ein demokratisches Land. Brasilien hat es geschafft, mit seinen demokratischen Institutionen auch vier Jahre eines rechtsautoritären Präsidenten Bolsonaro mit ein paar Schrammen, aber gut zu überstehen. Brasilien ist also nicht nur wirtschaftlich stabil - dieses Jahr eine ungewöhnlich positive wirtschaftliche Entwicklung - sondern Brasilien ist ein stabiles politisches Umfeld.
Brasilien ist ein Land, das uns auch kulturell sehr nahesteht. Nächstes Jahr feiern wir 200 Jahre deutsche Einwanderung in Brasilien. Insofern sind es nicht nur die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich verbessert haben in den vergangenen Monaten.
Es steht eine Steuerreform an, andere wichtige Gesetze sind auf dem Weg, um diesen sogenannten Custo Brasil - also die besonderen Kosten, die man immer mit Brasilien verbunden hat - weiter zu senken. Brasilien ist politisch und kulturell ein idealer Partner für Deutschland. Und ich glaube, auch die deutschen Unternehmen merken das immer stärker.
tagesschau: Nun ist natürlich die Hoffnung groß, dass das schon lange diskutierte Freihandelsabkommen zwischen der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur und der Europäischen Union doch näher rückt, vielleicht sogar vor dem Abschluss steht. Halten Sie das für wahrscheinlich? Warum tut man sich da bislang so schwer mit?
Birle: Ehrlich gesagt: Nach dem letzten Wochenende sehe ich die Chancen für einen Abschluss dieses Abkommens gegen null tendieren, obwohl Deutschland und Brasilien beide sehr stark daran interessiert wären. Aber der französische Präsident Macron hat am Wochenende deutlich gesagt, dass er gegen das Abkommen ist. Und ohne dass Frankreich dabei ist, wird es nichts werden.
Es kommt hinzu, dass in Argentinien am 10. Dezember ein Regierungswechsel ansteht. Und der zukünftige Präsident Milei von Argentinien hat den Mercosur als solchen infrage gestellt. Also in dieser Situation halte ich es für sehr unwahrscheinlich - auch wenn ich es persönlich für sehr positiv finden würde, gerade aus geopolitischer Perspektive auch, dass das Abkommen zustande kommt.
"Abkommen wäre ganz wichtiges geopolitisches Signal"
tagesschau: Welche Folgen hätte das dann für die europäische, aber eben auch für die südamerikanische Wirtschaft?
Birle: Ich glaube, die wirtschaftlichen, die direkten wirtschaftlichen Folgen sind gar nicht so gravierend, denn man hat dieses Abkommen 20 Jahre lang verhandelt. Dann hat man sich 2019 auf einen Text geeinigt, der aber nicht ratifiziert wurde, weil es vor allen Dingen von europäischer Seite Bedenken gab wegen der Klima- und Umweltschutzbedingungen im Vertrag. Aber natürlich läuft der Handel weiter.
Das Problem, wenn dieses Abkommen jetzt nicht zustande kommt, würde ich eher darin sehen, dass es eine schlechte politische Signalwirkung ist. Denn ein Assoziierungsabkommen ist ja mehr als Freihandel. Ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur wäre ein ganz wichtiges geopolitisches Signal in dieser Welt, dass diese beiden Regionen konstruktiv weiter zusammenarbeiten.
Die wirtschaftlichen Beziehungen werden natürlich nicht leichter, wenn das Abkommen nicht abgeschlossen wird, aber sie werden weiterlaufen. Natürlich ist dadurch in gewisser Hinsicht auch die Gefahr gegeben, dass Brasilien sich in den nächsten Jahren noch stärker Richtung China orientiert.
Das Gespräch führte Romy Hiller, tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert.