Ein Schild mit dem Bild von Olaf Scholz sowie dem Satz "Herzlich Willkommen" steht an einer Straße.

Scholz reist nach Indien Unter Freunden?

Stand: 24.10.2024 10:47 Uhr

Kanzler Scholz reist zusammen mit Mitgliedern seines Kabinetts nach Indien. Es ist der bereits dritte Besuch des Kanzlers. Warum das Verhältnis zu Indien so wichtig ist.

Von Georg Schwarte, ARD-Hauptstadtstudio

"Ich bin dankbar für die Freundschaft zwischen uns beiden." Freundschaft also. Das wird auch dieses Mal der Sound sein, wenn Olaf Scholz zum jetzt dritten Mal in Delhi den indischen Premier Narendra Modi trifft. Scholz sucht die Nähe zu Modi. Es war der Kanzler, der den Inder damals 2022 als Gast zum G-7-Gipfel nach Elmau einlud. Immer wieder haben sie sich seither auch auf internationaler Bühne getroffen und unter vier Augen gesprochen.

"Die beiden haben ein sehr professionelles Verhältnis miteinander", sagt Tobis Scholz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Denn beide wissen: Indien und Deutschland brauchen einander als unverzichtbare Handelspartner und Verbündete in einer immer unruhigeren Weltenlage. "Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Länder eng verbunden sind, weil wir ganz ähnliche Vorstellungen haben", sagte der Kanzler bei den letzten deutsch-indischen Regierungskonsultationen in Berlin.

Regierungskonsultationen als vertrauensbildende Maßnahme

Diese seit 2011 stattfindenden Regierungskonsultationen sind vor allem eine große vertrauensbildende Maßnahme. Gemeinsamkeiten sollen entdeckt, Unterschiede diskutiert werden. Es war der indische Außenminister, der vor zwei Jahren in Berlin mit Blick auf den Ukrainekrieg die ketzerische Frage stellte, warum man sich aus indischer Perspektive für Europas Probleme interessieren sollte, wenn sich Europa doch nicht für Asiens Probleme interessiert?

Nun ist die Ausgangslage für Deutschland und Indien so verschieden nicht: Deutschland und die EU haben es derzeit mit einem russischen Aggressor zu tun. Indien wiederum schaut mit Sorge auf den nördlichen Nachbarn China, das im Indo-Pazifikraum militärisch und wirtschaftlich dominieren will.

"Deutschland und Indien können sehr viel voneinander lernen, wie Geopolitik unsere außenpolitischen Interessen beeinflusst", sagt Tobias Scholz von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Indien ist ein ökonomischer Riese

Scholz reist, nachdem der IWF gerade für Deutschland ein Nullwachstum für dieses Jahr prognostizierte, bewundernd in ein Land der Superlative. Indien ist das wirtschaftlich am stärksten wachsende Flächenland der Welt. Schon im April des Vorjahres hat das Land China als bevölkerungsreichstes Land der Erde überholt.

Die indische Wirtschaft wächst nicht nur, sie explodiert förmlich. Fast sieben Prozent Wachstum, die höchste Wachstumsrate aller G-20-Staaten. Während in Deutschland Infrastruktur verfällt, baut Indien jedes Jahr acht Flughäfen, ein bis zwei U-Bahnsysteme. Pro Tag entstehen dort 28 Kilometer Autobahn. Der Kanzler dürfte neidvoll auf diese Zahlen schauen.

Diversifizierung mithilfe des indischen Partners

Nicht ohne Grund sitzen zehn Unternehmer im Regierungsflieger des separat anreisenden deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck. Er besuchte als erster deutscher Wirtschaftsminister seit elf Jahren im Vorjahr den längst nicht mehr schlafenden Riesen.

Deutschland will profitieren vom Wachstum Indiens und tut es bereits. 2023 wuchsen die Exporte nach Indien um 14 Prozent. Deutschland ist Indiens Handelspartner Nummer eins in Europa.

Zudem stehen aus deutscher Sicht jetzt die beiden "Ds" im Raum. Diversifizierung und De-Risking. Deutschland will sich unabhängiger machen, vor allem von China. Indien wiederum pocht darauf, nicht nur eine Alternative zum nördlichen Nachbarn zu sein.

Auch deshalb drückt der Kanzler weiter aufs Tempo, wenn es um ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien geht. 13 lange Jahre verhandeln sie jetzt schon. "Ich will jetzt, das da Vereinbarungen zustande kommen und das nicht weiter vor sich hinplätschert", so der Kanzler beim seinem letzten Besuch in Neu-Delhi. Seither aber plätschert es weiter, auch weil die EU auf Umweltstandards und nachhaltige Lieferketten pocht.

Modi will Rüstungskooperation

Ein Bereich möglicher Kooperation: der Rüstungssektor. Noch ist Russland größter Waffenlieferant für Delhi. Nach Angaben des US-Thinktanks "Stimson Center" stammen 85 Prozent der indischen Waffen aus russischer oder sogar noch sowjetischer Produktion. Der indische Premier Modi spricht mit Blick auf den Westen und Deutschland deshalb von einem "unerschlossenen Potenzial der Rüstungskooperation".

Indien will gerade sechs deutsche U-Boote kaufen. Es wäre eine große Überraschung, sollte der Milliardendeal während der Regierungskonsultationen unter Dach und Fach gebracht werden.

Erstmals seit 60 Jahren trainierte die indische Luftwaffe gerade erst mit europäischen Nationen. Eurofighter der Bundeswehr flogen über indischem Himmel. Tankflugzeuge von Airbus betankten indische Jets russischer Bauart.

Im indischen Goa werden die deutsche Fregatte Baden-Württemberg und der Einsatzversorger Frankfurt auf ihrer Weltreise während des Kanzlerbesuches festmachen. Auch das ein Hinweis, dass Berlin verstanden hat, wie geopolitisch wichtig der Indo-Pazifik ist, wenn es um Chinas Machtstreben geht.

Krieg gegen die Ukraine bisher nicht öffentlich verurteilt

Dass Indien den russischen Angriffskrieg bisher nicht öffentlich verurteilte, sich bei Abstimmungen der Vereinten Nationen enthielt, nehmen sie in Berlin zur Kenntnis. Außenministerin Annalena Baerbock lobte immerhin Modis Satz auf dem G-20-Gipel in Bali, dass "für Indien dieses Jahrhundert kein Jahrhundert des Krieges ist". Baerbock versteht das als indisches Nein zum russischen Angriffskrieg.

"Wichtiger als Bekenntnisse ist die Frage des Verhaltens. Und das ist Indien sehr eindeutig", sagt beispielsweise Verteidigungsminister Pistorius.

Deutschland habe verstanden, dass es Indien in Sachen Ukrainekrieg nicht von heute auf morgen überzeugen könne, glaubt der Indien-Experte Scholz von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Aber Deutschland sieht auch, dass Indien nicht geopolitisch in einem russischen Camp verortet ist."

Indiens Fachkräfte lukrativ für Deutschland

Dass Arbeitsminister Heil ebenfalls mit nach Indien reist, ist auch kein Zufall. Vor zwei Jahren haben Deutschland und Indien das erste Migrationsabkommen überhaupt geschlossen. "Ein Vorbild und Frontrunner für all das, was global möglich ist", hat Kanzler Scholz es genannt.

Deutschland braucht Fachkräfte. Indien hat sie. 2023 erhielten 52.000 Inder ein deutsches Visum - 40 Prozent mehr als vor der Coronapandemie. Die Zahl der indischen Fachkräfte hierzulande hat sich seit 2020 verdoppelt.

Inder sind die erfolgreichste und einkommensstärkste Migrantengruppe im Land. "Der Altersdurchschnitt in Indien liegt bei 28 Jahren", sagt Heil bewundernd. In Deutschland liegt er bei 49. "Es gibt viele junge Menschen in Indien, die bei uns eine Chance sehen", sagt der Arbeitsminister.

Viel Gesprächsstoff für Regierungskonsultationen in Delhi, bei denen parallel außerdem die von der deutschen Wirtschaft organisierte Asien-Pacific-Konferenz stattfindet. Modi und Scholz werden dort reden, Wirtschaftsminister Habeck die Konferenz eröffnen -der Wirtschaftsminister Habeck, der vermutlich auch den Bereich der angelaufenen Energiekooperation ansprechen wird. Seit 2000 gibt eine deutsch-indische Energiepartnerschaft, zuletzt kam eine Wasserstoff-Roadmap dazu.

Der Kanzler jedenfalls ist zuversichtlich. Die deutsch-indischen Beziehungen sind für ihn "eine gute Ausgangsbasis" für all das, was man sich gemeinsam ehrgeizig für die Zukunft vorgenommen habe.