Narendra Modi und Wladimir Putin im September 2022.
analyse

Indischer Premier in Russland Zwischen den Stühlen

Stand: 08.07.2024 15:19 Uhr

Die Beziehungen zwischen Indien und Russland scheinen enger denn je. Trotzdem versucht sich Indien geopolitisch weder klar für noch gegen Russland zu positionieren. Ein schwieriger Balanceakt.

Es klingt erst einmal nicht ungewöhnlich: ein Abendessen, Kranzniederlegung, bilaterale Gespräche. Das steht auf der Agenda, wenn der indische Premierminister Russlands Präsidenten Wladimir Putin besucht.

Doch setzt Narendra Modi damit schon jetzt ein klares Zeichen: Die erste Auslandsreise seit seiner Wiederwahl führt ihn nach Moskau. Und es gibt etliche Themen, die besprochen werden müssen. Das dringendste Problem: die Sache mit dem Geld.

Komplizierte Zahlungen

Seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine ist Indien nach China der größte Abnehmer russischen Rohöls. Russland wiederum ist Indiens größter Lieferant. Rund 40 Prozent aller Ölimporte nach Indien kommen mittlerweile aus Russland. Ein Rekordhoch.

Gut für Indien, könnte man meinen, und noch besser für Russland, das damit seinen Krieg in der Ukraine finanzieren kann. Doch so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint, ist es nicht.

Denn Indien bezahlt das russische Öl nicht wie auf dem Weltmarkt sonst üblich in Dollar, sondern wohl auch in Rupien, der eigenen Währung. Weil die allerdings nicht frei konvertierbar sind und Russland vom internationalen Bankentransfersystem SWIFT ausgeschlossen ist, fließt nicht alles aus diesen Einnahmen auch wieder zurück nach Russland.

Auf den indischen Konten der russischen Ölkonzerne sollen sich deshalb Milliarden von Rupien angesammelt haben. Geld, das Russland erst einmal wenig zu nützen scheint.  

Finanziert Indien Russlands Krieg?

Es ist ein Problem, das es mit China, dem anderen Großabnehmer russischen Öls, nicht gibt. Im Gegensatz zum Handel mit China ist das Sortiment indischer Waren, die Russland kaufen und importieren kann, relativ beschränkt. Das Tauschgeschäft russisches Öl gegen indische Waren funktioniert daher nicht wirklich. Wie schlecht es funktioniert, verkörpert der Handelsbilanzüberschuss.

Indien hat im vergangenen fiskalischen Jahr Waren aus Russland, vor allem Öl und militärisches Equipment, im Wert von 66 Milliarden Dollar gekauft. Dem gegenüber bezog Russland aus Indien allerdings nur rund vier Milliarden Dollar an Waren. Die Differenz aus beidem ergibt einen Handelsbilanzüberschuss für Russland von mehr als 60 Milliarden Dollar.

Manche Analysten meinen, dass ein Großteil des Handelsüberschusses in Indien verbleibe. Geld also, das formal Russland gehöre, tatsächlich aber auf indischen Konten versauere. Andere halten diesen Wert für überhöht. Klar ist nur, dass Russland nicht auf alle Einnahmen aus dem Ölgeschäft mit Indien auch direkt zugreifen kann. Der allgemeine Vorwurf, Indien finanziere Russland den Krieg in der Ukraine, greift also zu kurz.

Vielleicht auch im Sinne des Westens

Gleichzeitig fällt auf, dass der Westen Indien beim Handel mit russischem Öl weitestgehend gewähren lässt. Manche mutmaßen, dass dieses Geschäft sogar im Interesse des Westens sei. Ein Argument, was auch die indische Seite immer wieder vorbringt. Denn würde die derzeit am schnellsten wachsende Weltwirtschaft Indien ihr Öl so wie viele westliche Staaten auf dem Weltmarkt kaufen, würde der Preis vermutlich exorbitant steigen. Auch für westliche Staaten.

Zum anderen kauft Indien in Russland mit Rabatt ein und drückt so den Preis für Öl aus Russland. Zwar bezahlt Indien mehr als 60 Dollar pro Barrel, was dem von den USA und der EU eingeführten Preisdeckel auf russisches Öl entspricht. Trotzdem schmälert auch Indien die vor dem Krieg noch astronomisch hohen Gewinne Russlands aus dem Rohstoffhandel.

Zudem wird vermutet, dass auch Deutschland direkt von Indiens Ölgeschäft mit Russland profitiert, indem unter anderem Deutschland indischen Treibstoff kauft, der vermutlich aus russischem Rohöl hergestellt wurde.

Russland und Indien historisch eng

Russland und Indien pflegten schon seit dem Kalten Krieg eine besondere Beziehung, erklärt Harsh V. Pant, Vizepräsident der indischen Denkfabrik Observer Research Foundation. Denn im Krieg mit Pakistan 1971 war es die Sowjetunion, die Indien zur Seite sprang.

Seitdem kauft Indien den Großteil seiner Militärausrüstung beim Partner Russland ein. In früheren Jahren kamen durchschnittlich mehr als 60 Prozent aller Rüstungsimporte aus Russland, heute sind es laut dem Stockholmer Friedensinstitut SIPRI immerhin noch rund 45 Prozent.

Auch wegen dieser Abhängigkeit pflegt Indien eine enge Partnerschaft mit Russland. Doch seit dem Krieg gegen die Ukraine gestalteten sich die Beziehungen aus verschiedenen Gründen schwierig, erklärt Pant. Zum einen nähere sich Russland China, dem außenpolitischen Gegenspieler Indiens, immer weiter an. Zum anderen nehme Russland eine antagonistische Position gegenüber dem Westen ein - eine Position, die den außenpolitischen Zielen Indiens eigentlich widerspricht.  

Alles Freunde?

Indien wolle mit allen befreundet sein, unterstreicht der Wirtschaftsprofessor Ashwani Mahajan, der dem hindunationalistischem RSS nahesteht. Und so hat Indien den Krieg Russlands zwar nicht direkt kritisiert.

Auf einem Gipfel im September 2022 sagte Modi allerdings im Beisein und wohl auch zur Überraschung Putins, dass nun nicht die "Ära des Krieges sei" und fügte in Richtung seines russischen Amtskollegen hinzu: "Das hatte ich Ihnen schon am Telefon gesagt."

Indien steht damit zwischen den Stühlen und wird auch deshalb geopolitische vom Westen hofiert. Doch es sei ein Spagat, meint Experte Pant, der die indische Außenpolitik vor große Herausforderungen stelle. Trotz oder gerade wegen der engen Beziehungen zu Russland.